Warum ich jetzt mit der SPD regieren will
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Der ehemalige und künftige CDU-Ministerpräsident von Hessen hat eine politische Bombe gezündet: Er will nicht länger in einer Koalition mit den Grünen zusammenarbeiten, sondern setzt auf die SPD. Ist das ein Signal für Berlin? Wir dokumentieren die historische Wechsel-Rede.Von Boris Rhein

Die Wählerinnen und Wähler haben der hessischen Union am 8. Oktober einen sehr deutlichen und sehr klaren Auftrag zur Bildung einer Regierung für Hessen erteilt. Wir haben diesen Auftrag unmittelbar angenommen und haben deswegen sofort nach der Wahl mit Sondierungsgesprächen begonnen. Natürlich mit unserem bisherigen Partner, mit den hessischen Grünen, aber auch mit der SPD und - ja das war uns sehr wichtig - auch mit der hessischen FDP, weil wir eine gute gemeinsame Geschichte haben. Ich glaube, dass es deswegen auch aus Stilgründen durchaus sinnvoll war, mit der FDP zu sprechen.
Wir haben mit Grünen und SPD dann jeweils fünf Gespräche auf höherer Ebene geführt und nebenher hat es sehr intensive Arbeitsgespräche gegeben. Wir haben ebenfalls sehr intensiv und sehr viele Stunden an inhaltlichen Leitplanken einer möglichen Koalition gearbeitet. Wir haben die Gespräche mit beiden Partnern von Anfang an ergebnisoffen geführt. Wenn wir drei miteinander sprachen vor den Gesprächen und während der Gespräche und nach den Gesprächen, ist das nicht so, dass wir eine festgelegte Meinung hatten, sondern uns war sehr klar, dass das wirklich offen ist. Ich glaube, das ist auch eine Begründung für die Dauer der Gespräche. Die Tatsache, dass wir fünf Wochen miteinander gesprochen haben, zeigt, dass wir uns die Entscheidung nicht leicht gemacht haben, sondern dass wir sehr intensiv abgewogen haben, was wir tun und wie wir die Gespräche gestalten.
Für uns gab es eine zentrale Frage, die im Mittelpunkt gestanden hat, und das ist die Frage, mit welchem Partner können wir mehr erreichen für das Land, mehr erreichen für die Bürgerinnen und Bürger. Mit wem können wir mehr bewegen für die fünf kommenden Jahre in Hessen. Eines muss man ja sehr deutlich sagen: Das Wahlergebnis hat eine sehr klare Sprache gesprochen. Das Wahlergebnis hat sehr deutlich gemacht, dass die Erwartungshaltung von Bürgerinnen und Bürgern in Hessen eine CDU geführte Regierung ist. Die CDU hat ein Vorsprung von 20 Prozent gegenüber allen anderen Parteien. Die CDU hat so viele Prozente, wie SPD, Grüne und FDP zusammen. Auch das ist eine sehr klare Aussage welche Erwartung und welche Hoffnung in die CDU gesetzt wird.
Die Situation, in der wir heute sind, ist eine Situation multipler Krisen. Wir haben den Ukraine-Krieg, wir haben jetzt seit dem 7.10.2023 den furchtbaren Hammas-Terror, wir haben eine Migrationskrise, eine Preiskrise, sind mittendrin in der Wirtschaftskrise. Das meine ich, wenn ich sage, es sind multiple Krisen. In dieser Krisensituation haben die Bürgerinnen und Bürger eine Hoffnung, und diese Hoffnung haben sie am 8.10. gewählt und das ist unser Arbeitsauftrag gewesen. Der Auftrag des 8. Oktober ist insoweit sehr klar gewesen: Eine CDU geführte Regierung soll die richtigen Entscheidungen bei den zentralen Herausforderungen unserer Zeit treffen, die ich eben genannt habe.
Ich will ich ihnen hier sagen, wir haben uns diese Entscheidung alles andere als leicht gemacht. Das sind für uns anstrengende Woche gewesen, sehr anstrengende Wochen. Nicht nur körperlich, sondern auch emotional und in der Frage des Abwägens und des Diskutierens miteinander. Das war insbesondere auch der Sinn unserer sogenannten Reflexionswoche in deren Anschluss wir jetzt eine Entscheidung getroffen haben, die heute einstimmig, das will ich sehr deutlich betonen: einstimmig, durch die Gremien der CDU angenommen worden ist. Wir wollen als CDU den Versuch unternehmen, in Hessen eine Regierung mit der SPD zusammen zu bilden und zum ersten Mal seit 70 Jahren in einer christlich-sozialen Koalition zusammenarbeiten. Das erste Mal seit 70 Jahren gibt es in Hessen eine christlich-soziale Koalition.
Das Ziel für die jetzt vor uns liegenden Verhandlungen ist sehr klar: Wir wollen gemeinsam mit der Sozialdemokratie in Hessen ein christlich-soziales Programm schreiben. Ein Programm, das Vernunft und Fortschritt miteinander verbindet, ein Programm für Vernunft im Umgang mit der Migration. Besonnen nie mit Schaum vor dem Mund, aber doch mit sehr klaren Entscheidungen und auch sehr klaren Weichenstellungen. Denn alles, was wir tun, ist natürlich auch eine Frage, die wir im Bundesrat dann gemeinsam zu vertreten haben. Das gilt für das Thema innere Sicherheit und natürlich für Anreize statt Verbote. Das ist ein ganz wichtiges Thema für uns als Union. Auch das ist etwas, das am 8.10. bei der Wahl deutlich von Bürgerinnen und Bürgern zum Ausdruck gebracht worden ist. Die Menschen wollen nicht bevormundet werden. Sie sind bereit zur Veränderung, aber eben durch Anreize statt Verbote. Sie wollen nicht bevormundet werden, sie wollen beteiligt werden, sie wollen entlastet werden und nicht belastet werden. Und deswegen ist das, was jetzt zu erarbeiten ist und was in Grundzügen vorliegt, ein Programm für Fortschritte bei der Wirtschaft und für Innovation in Wissenschaft und Forschung, aber eben auch bei Energie und Mobilität.
Wir wollen dabei natürlich auch weiter den neuen Stil behalten, den wir eingeleitet haben. Wir schließen keinen klassisches Koalitionsvortrag, in dem das Prinzip Leistung und Gegenleistung festgeschrieben ist. Wir wollen einen Koalitionsvertrag, der keine alten Kompromisse schließt, sondern einen, der einen neuen Konsens erreicht, der unsere Gesellschaft zusammengeführt in einer Situation, die oftmals sehr fragmentiert ist.
Ich möchte mich zum Abschluss ausdrücklich bedanken. Mein Dank gilt ganz ausdrücklich den hessischen Grünen und ganz persönlich möchte ich mich bedanken bei Tarek al Wazir, bei Angela Dorn und Matthias Wagner. Wir haben zehn gute Jahre hinter uns, wir haben in diesen zehn Jahren enorm viel erreicht, wir haben gemeinsam sehr erfolgreich für Hessen gearbeitet. Darauf wollen wir jetzt aufbauen. Wir haben eine Zusammenarbeit erlebt, die von größter Zuverlässigkeit und Verlässlichkeit geprägt ist. Die geprägt gewesen ist von einem großen Vertrauen, von einem freundschaftlichen Miteinander. Und ich persönlich habe den Grünen auch viel zu verdanken. Sie haben einen Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten mitgetragen. Das wissen wir sehr wohl wertzuschätzen und dafür sage ich herzliches Dankeschön. Ich werde mich natürlich immer daran erinnern, und das soll auch unserer Zusammenarbeit in den nächsten Jahren als Opposition und Regierung prägen. Ich glaube ohnedies, dass es in Zeiten wie diesen wichtig ist, dass die Regierung auch in der Lage ist mit der Opposition zusammenzuarbeiten, immer Brücken schlägt in die Opposition hinein. Das ist auch mein Signal an die Grünen: Sie sollen uns nicht schonen, sie werden uns nicht schonen, sie werden eine muntere und auch sehr kraftvolle Opposition sein. Das ist uns bewusst, und trotzdem werden wir uns im Umgang mit ihnen so verhalten, wie wir das auch in den vergangenen hinter uns liegenden zehn Jahren miteinander gemacht haben.
Heute aber starten wir für Hessen ein neues Kapitel und zwar mit der Verhandlung einer neuen christlich-sozialen Koalition. Da gibt es Leitlinien und diese Leitlinien sind sehr klar: Wir arbeiten für einen starken Staat, wir arbeiten für eine stabile Wirtschaft und wir arbeiten für eine sanfte Erneuerung. Das heißt also für eine Modernisierung mit den Menschen und nicht gegen die Menschen. Das ist das, was unseren Koalitionsvertrag prägen soll.