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Ben Wisch - mit diesem Mann befreite Helmut Schmidt einst deutsche Geiseln aus palästinensischer Hand

Mindestens acht Menschen mit deutschem Pass sind noch in der Gewalt Hamas. Während andere Nationen bereits Freilassungen erreichen konnten, zittern die Angehörigen der Deutschen noch immer. Die Bundesregierung schweigt über ihre Verhandlungsbemühungen. Ihr fehlt ein erfahrener Vermittler – über den einst Bundeskanzler Helmut Schmidt verfügte, als er über Geiseln verhandeln musste, die ebenfalls von Palästinensern entführt worden waren.Von Oliver Stock / The European

Hans-Jürgen Wischnewski war ein deutscher Politiker und zuletzt Staatsminister im Bundeskanzleramt.
Hans-Jürgen Wischnewski war ein deutscher Politiker und zuletzt Staatsminister im Bundeskanzleramt.

Noch immer befinden sich unter den rund 200 Menschen, die die Terroristen der Hamas bei ihrem Überfall auf Israel am 7. Oktober als Geiseln genommen haben, mindestens acht Deutsche. Zwar hat die Hamas nach Angaben des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz jetzt zwei Frauen, die als Geiseln festgehalten worden waren, freigelassen. Deutsche sind allerdings nicht darunter. Zuvor hatte es Medienberichte über eine möglicherweise bevorstehende Freilassung von 50 Geiseln gegeben. Eine Bestätigung gibt es dafür bislang jedoch nicht. 

Das Auswärtige Amt in Berlin spricht bisher von acht Fällen, in denen Entführte sowohl die deutsche wie die israelische Staatsbürgerschaft besitzen. In einem Fall könnten auch mehrere Familienmitglieder betroffen sein. Weil es bislang keine sichtbaren Fortschritte bei deren Freilassung gibt, haben sich die Angehörigen der Entführten inzwischen öffentlich an die Bundesregierung gewandt. Ein Vater sprach direkt Olaf Scholz an: „Herr Kanzler, ich bitte Sie“, sagt Yoni Asher, dessen Frau, die beiden Töchter und die Schwiegermutter in den Gazastreifen verschleppt wurden. „Sie sind ein fähiger Mann, Deutschland ein fähiges Land, sie können es schaffen. Und ich flehe sie an, denken Sie daran, was in Deutschland passieren kann. Sie haben uns ‚nie wieder‘ versprochen, jetzt ist die Zeit, dieses Versprechen umzusetzen.“ Doch Scholz tappt möglicherweise genauso wie Außenministerin Annalena Baerbock im Dunkeln, was die Lage, den Aufenthaltsort und auch den Gesundheitszustand der deutschen Verschleppten in Gaza anbelangt.

Das ist über die Geiseln bekannt 

Bekannt ist bisher folgendes: Die 35-jährige Deutsch-Israelin Yarden Roman hielt sich nach Angaben ihrer Familie während des Hamas-Überfalls gemeinsam mit ihrem Mann Alon und ihrer dreieinhalbjährigen Tochter Gefen zu einem Besuch bei ihren Schwiegereltern im Kibbuz Beeri auf. Die radikalislamischen Kämpfer drangen in den Schutzraum der Familie ein und verschleppten Yarden, Alon und Gefen aus dem Kibbuz. Auf dem Weg in den Gazastreifen gelang es dem Paar zunächst, gemeinsam mit ihrer Tochter aus dem Fahrzeug ihrer Entführer zu springen und zu fliehen. Yarden trennte sich jedoch von ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter, weil sie zu langsam war. Während sich Alon und Gefen erfolgreich verstecken konnten, ist Yarden seither verschwunden - und auch von ihrer Schwiegermutter und ihrer Schwägerin fehlt jede Spur. 

Bei dem Überfall auf den Kibbuz Beeri wurden auch die Wissenschaftlerin Shoshan Haran und neun ihrer Familienmitglieder verschleppt. Die Opfer sind nach Angaben von Freunden und Angehörigen drei bis 65 Jahre alt, das Jüngste ist Harans Enkeltochter. Laut Jüdischer Allgemeine ist Shoshan Haran deutsche Staatsbürgerin, ebenso wie drei weitere Angehörige. 

Familienmitglieder versuchten nach eigenen Angaben immer wieder, ihre vermissten Angehörigen über Handy zu erreichen. Ein Handy der Vermissten ließ sich demnach im Gazastreifen lokalisieren. Schließlich meldete sich einer Erklärung der Angehörigen und Freunde zufolge eine Stimme am Telefon und sagte nur drei Worte mit arabischem Akzent auf Hebräisch: „Gilad Schalit Gaza“ - eine klare Anspielung auf einen im Jahr 2006 entführten israelischen Soldaten, der erst fünf Jahre später im Zuge eines Gefangenenaustauschs wieder freikam.

Auch die 22-Jährige Shani Louk wird seit dem Hamas-Angriff vermisst. Sie war bei einem Rave-Festival in der Negev-Wüste. Ihre Mutter Ricarda Louk ist überzeugt, dass sie noch lebt und mit Kopfverletzungen in einem Krankenhaus in Gaza liegt. Ricarda Louk erkannte ihre Tochter auf einem Video, auf dem die 22-Jährige halbnackt auf einem Pick-Up zwischen mehreren Hamas-Männern offenbar im Gazastreifen zu sehen ist, mit dem Gesicht zum Boden, die Beine verdreht.

Ricarda Louk beschreibt ihre Tochter als „lebensfroh und friedliebend“, die gerne tanze und Musikfestivals besuche. Nach Angaben eines Freundes arbeitet die gelernte Tätowiererin seit zwei Jahren als Kellnerin in einem Restaurant in Tel Aviv. Shani Louk hat laut „Spiegel“ die deutsche und die israelische Staatsbürgerschaft und war mehrfach zu Besuch bei ihren Großeltern in Ravensburg in Baden-Württemberg. Ihre Mutter, eine Katholikin, die später zum Judentum konvertierte, war nach Israel ausgewandert. Der jüdische Vater ist Israeli.

Auch die 77-jährige Margalit Moses und ihr 79-jähriger Mann Gadi wurden vermutlich als Geiseln aus Nir Oz in den Gazastreifen verschleppt. Nach Angaben ihres Bruders Chanan Cohan leidet Margalit Moses an Krebs und ist schwerkrank. Der 85-Jährige, der als Sohn deutscher Siedler im damals noch britischen Mandatsgebiet Palästina geboren wurde, arbeitete mehrere Jahre in Deutschland. Ihm zufolge haben alle Angehörigen einen deutschen Pass.

Keine heißen Drähte trotz Millionen-Hilfen

Die „New York Times“ hatte berichtet, dass Israel davon ausgehe, dass die Hamas etwa 50 Geiseln, die nicht nur die israelische, sondern auch eine andere Staatsbürgerschaft hätten, freilassen könnte. Eine Bestätigung dafür fehlt jedoch. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, sagte in Washington, mit Blick auf die Verhandlungen, es sei „in der jetzigen Phase des Prozesses nicht möglich, öffentlich über die laufenden Bemühungen zu berichten“.

In wieweit Deutschland aktiv verhandelt, ist deswegen unklar. An sich sollte es Kanäle geben, über die auch die deutsche Seite Einfluss nehmen kann. Immerhin haben das Außen- und Entwicklungshilfe-Ministerium jahrelang sogenannte Hilfsgelder an die Palästinenser gezahlt. Auch jetzt hat Baerbock angekündigt 50 Millionen Euro als Soforthilfe „für Menschen in Not“ im Kriegsgebiet bereit zu stellen.

Der Fall „Landshut“

Die Situation erinnert an ein dramatisches Ereignis, das bald 50 Jahre zurückliegt. 1977 hatte ein palästinensisches Kommando die Lufthansa-Maschine „Landshut“ mit 86 Menschen an Bord nach Somalia entführt. Der SPD-Kanzler Helmut Schmidt beauftragte seinen Staatsminister im Kanzleramt Hans-Jürgen Wischnewski, genannt „Ben Wisch“, den Fall zu lösen. „Ich hatte mich auch selbst im Austausch für die Geiseln angeboten“, berichtete Wischnewski später. Er verhandelte schließlich mit dem Regime in Somalia und erreichte, dass die deutsche Antiterror-Einheit GSG 9 dort eingesetzt werden konnte und die Geiseln befreite. 

Den Namen „Ben Wisch“, hatte ihm einst Kanzler und SPD-Chef Willy Brandt wegen Wischnewskis guter Drähte zur arabischen Welt verpasst. Er trug ihn mit Stolz. Als Jungsozialist hatte Wischnewski Ende der 50er Jahre in seiner Kölner Heimat Geld der algerischen Befreiungsbewegung FLN verwaltet, die einen Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich führten. Seither vertrauten ihm arabische Politiker. Wischnewski übermittelte Schmidt nach der Befreiung der Geiseln die erlösende Nachricht am Telefon: „Die Arbeit ist erledigt.“ Die Scholz-Regierung verfügt über keinen Verhandler dieses Kalibers.

Die aktuelle Freilassung der beiden Frauen soll nach Angaben der Hamas von Katar und Ägypten vermittelt worden sein. Die Geiseln seien „trotz der Verbrechen der Besatzung“ aus „humanitären Gründen“ freigelassen worden, sagte ein Hamas-Sprecher.

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