Ingo Friedrich. Ein überzeugter Europäer
Nach fast 40 Jahren Engagement für Europa sagt Ingo Friedrich heute nachdenklich: „Also leicht ist diese europäische Einigung nicht." Aber trotz aller Verwerfungen, mit der die EU immer wieder zu kämpfen hat, ist er letztlich optimistisch, was den Fortgang des europäischen Einigungsprozesses angeht.

Sie weht an Gedenktagen über öffentlichen Gebäuden von Helsinki bis nach Athen, flattert neben der schwarz-rot-goldenen Bundesflagge auf dem Berliner Reichstag im Wind1 und wird von Bürgern geschwenkt, die als „Pulse of Europe“ für ein starkes Europa demonstrieren:2 Die Europafahne mit dem goldenen Sternenkranz auf blauem Grund ist aus dem öffentlichen Raum kaum mehr wegzudenken. Dass die EU dieses starke Emblem besitzt, hat sie dem CSU-Politiker Ingo Friedrich zu verdanken, der 30 Jahre Abgeordneter des Europaparlaments war, davon 8 Jahre dessen Vizepräsident. Dabei wollte der Mann aus Mittelfranken eigentlich in den Bundestag. Als CSU-Vorsitzender im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen, Bezirksvorsitzender der Jungen Union und Mitglied des Stadtrats und des Kreistags standen seine Chancen recht gut, bei den Bundestagswahlen 1980 ein Mandat zu erringen. Das EU-Parlament galt hingegen damals als ziemlich unattraktiv: Es hatte kaum Kompetenzen und seine Abgeordneten wurden nicht von den Bürgern gewählt, sondern von den nationalen Parlamenten nach Straßburg geschickt. „Hast du einen Opa, dann schick ihn nach Europa“, spottete der Volksmund und spielte damit auf das Image des EU-Parlaments an, Entsorgungsstätte für Altpolitiker und zahnloser Debattierclub zu sein.3 Aber 1979 wurde das Parlament erstmals direkt von der Bevölkerung der damals neun EG-Staaten gewählt und hat sich seitdem beständig neue Rechte erkämpft. Dass es heute eine mächtige Institution ist, die die EU volksnäher und demokratischer gestaltet hat, liegt auch an engagierten Politikern wie Ingo Friedrich, die ihre Chance zur Mitgestaltung erkannt und ergriffen haben. Als Franz-Josef Strauß den Nachwuchspolitiker Friedrich fragte, ob er 1979 statt in den Bundestag nicht für die CSU ins Europaparlament wolle – er spreche doch Englisch und Französisch und arbeite bei einem internationalen Konzern – , hatte er sechs Wochen Bedenkzeit. Seine Entscheidung traf er dann mehr aus dem Bauch heraus: Die Internationalität, Brüssel, Straßburg, die Sprachen, das Reisen entsprachen seinem Naturell mehr als eine Tätigkeit im eher provinziellen Bonner Bundestag: „Das Internationale war für mich noch ein Stück interessanter als die deutsche Politik“, erklärt er rückblickend4. Ein bisschen war auch die Europakarte schuld, die in den 1960er Jahren im kleinen Textilgeschäft seiner Eltern am Marktplatz in Gunzenhausen an der Wand hing. Waren die Eltern unterwegs, machte der Bub Ingo seine Hausaufgaben am Ladentisch und verkaufte zwischendurch Socken und Pullover. Dabei blieb sein Blick immer wieder auf der Europakarte hängen, in deren Zentrum Straßburg lag: „Straßburg als Nahtstelle zwischen Deutschland und Frankreich hat mich schon als Jugendlicher fasziniert“, erläutert Ingo Friedrich: „Das wurde dann irgendwie zu meinem Traum: Da möchte ich hin!“5