Die unendliche Geschichte
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Bei der deutschen Geschichtsaufarbeitung darf es keinen Schlusspunkt geben. Jahrestage wie der 17. Juni bieten die Gelegenheit, den kritischen Maßstab auch an uns selbst anzulegen. Denn die Vorstellung einer unumstößlichen und ewigen Wahrheit ist auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten.

Mit Fug und Recht lässt sich sagen, dass die Aufarbeitung in die Jahre gekommen ist. Sicherlich: Die Ansätze zu einer Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte waren in den ersten Nachkriegs-Jahrzehnten wahrlich übersichtlich. Von einer Aufarbeitung der NS-Herrschaft im Sinne einer breiten öffentlichen Diskussion können wir also erst seit den 1970er-Jahren sprechen. Aber auch diese Anfänge liegen inzwischen knapp vier Jahrzehnte zurück. Neue Generationen sind herangewachsen, Generationen mit ihren jeweils eigenen Fragen, Befindlichkeiten, Sichtweisen. Und bedenken wir die Schnelligkeit heutiger Entwicklungsrhythmen, so dürfte es eine ganze Reihe an Generationen sein, die diesen öffentlichen Diskurs durchschritten und geprägt haben. Auf einen kürzeren Zeitraum blickt die Aufarbeitung der DDR-Geschichte zurück, hat sie doch erst seit dem Ende der SED-Diktatur eine breite gesellschaftliche Beteiligung erfahren. Aber auch hier sind mittlerweile über 20 Jahre vergangen, hat es Generationen- und damit verbundene Perspektivenwechsel gegeben. Was bedeutet dies für die Aufarbeitung der deutschen Diktaturgeschichte? Es ist längst Zeit für eine selbstkritische Standortbestimmung, und dabei sollten wir am allerwenigsten uns selbst und unser Selbstverständnis schonen, ebenso wenig unsere Themenbegrenzungen oder unsere Urteilsskala. Festgefügte Klassifizierungen und Perspektiven machen bequem. Es gilt unsere tatsächlich oder vermeintlich bestätigten Bewertungen zu überprüfen, denn auch wir – ob „Pioniere“ oder später Hinzugekommene – sind letztlich Zeitzeugen, und den kritischen Maßstab, den wir zu Recht im Umgang mit Zeitzeugnissen fordern, müssen wir auch an uns selbst anlegen.