Die Kirche braucht ein Parlament
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Das Dritte Vatikanische Konzil muss die Reformen fortsetzen, die das Zweite begonnen hat. Die katholische Kirche darf sich nicht schon wieder von einer Kulturrevolution den Schneid abkaufen lassen.

Die katholische Kirche steht vor einer seltsamen Wende: Sie hat die Lufthoheit über Stammtische, Politik, Gesellschaften und Seelen verloren. Nach 1.600 Jahren sieht sie sich das erste Mal als Minorität in der Welt und in Europa. Deswegen könnte sie sich heute bescheidener, mutiger und freier an ein Drittes Vatikanum wagen. Um über dieses Dritte zu sprechen, muss man aber zunächst an das Zweite Vatikanische Konzil erinnern. "Das Zweite Vatikanum vor 50 Jahren":http://www.theeuropean.de/alexander-kissler/5333-konzil-und-kirchenreform war im Bewusstsein der Konzilsväter tief in die Tradition eingebettet. Sie wollten keine andere Kirche, sondern dieselbe Kirche in einem neuen Gestus, in einer anderen Sprache. Es war der erste Aufbruch zu neuen Ufern. Die daraus resultierenden Neuerungen lassen sich in drei Punkten zusammenfassen: Blick von außen: Die katholische Kirche hatte sich beim Zweiten Vatikanum zum ersten Mal aus dem Blick der anderen Kirchen, der anderen Religionen und der Zeitgenossenschaft gesehen. Sie sah sich nicht mehr als Zentrum. Humane Standards: Die Kirche hatte endlich die aufgeklärte Blickwende vorsichtig mitvollzogen. Also begriffen, dass Religion humanen Standards genügen muss. Das heißt: liebenswert, lebensdienlich, verständlich. Im Tonfall sogar naiv-optimistisch. Gottgeneigter Mensch und menschengeneigter Gott: Die Konzeption Gottes und des Mysteriums hatte sich verändert. Die Kirche sprach nun vom gottgeneigten Menschen auf der Sinnsuche und vom menschengeneigten Gott, der den Menschen sucht.