Verblasster Glanz
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Amerika ist vom rechten Weg abgekommen. Und zwar ordentlich. Es ist nicht länger die Demokratie, die von de Tocqueville als Balance von Freiheit und Gleichheit gerühmt wurde und auch nicht Winthrops märchenhafte "shining city upon a hill". Vielmehr ist es ein Ort, an dem politische Polarisierung historische Ausmaße erreicht hat und die Lebensmittelversorgung jedes siebten Haushaltes unsicher ist.

Die US-Wirtschaft bleibt bettlägerig, während die Arbeitslosenquote im Juni auf 9,2 Prozent angestiegen ist. Beinahe die Hälfte der Erwerbslosen war mindestens sechs Monate ohne Anstellung - ein historischer Wert, der selbst in der Great Depression in den 1930ern nicht erreicht wurde. Während der Mittelstand seit 1969 um rund zehn Prozentpunkte dahingeschmolzen ist, war Armut seit Beginn der empirischen Erfassung nie verbreiteter als heute. Und der kometenhafte Anstieg des Einkommens der oberen zehn Prozent - und im Besonderen des oberen einen Prozents - ist seit der wirtschaftlichen Blütezeit Amerikas zum Ende des 19. Jahrhunderts beispiellos. Tragischerweise erleben wir dieser Tage die Neuinszenierung der Fehler von 1937, als die US-Regierung versuchte, sich durch Kürzungen aus dem Fangnetz der Krise zu schneiden und dadurch die Rezession noch beschleunigte. Der heute vorgeblich „demokratische“ Präsident hat die Logik konservativer Republikaner adaptiert, die Schulden und Staatsdefizit als Grund für das wirtschaftliche Siechtum Amerikas sehen – und nicht die hohe Arbeitslosigkeit und fehlenden Konsum. Dabei bedeuten Ausgabenkürzungen inmitten einer sich abkühlenden Konjunktur die Aufgabe von 75 Jahren keynesianischer Grundlehren und die Wiederholung der tragischen Fehler von 1937.