Das tödliche „Friedensbollwerk“
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Es gibt Gedenktage, die gehen Politikern der Linkspartei leicht von der Hand. Wenn jedes Jahr im Januar an die von Freikorps getöteten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erinnert wird, zeigen sich Politiker der SED-Nachfolgepartei gern in vorderster Reihe und legen Blumen für die Kommunisten-Ikonen nieder. Deutlich schwerer tun sich Angehörige der Linkspartei mit den Mauertoten.

Am 24. August 1961 starb der Erste jener vielen Menschen, die ihren Fluchtversuch aus der DDR mit dem Leben bezahlten. An jenem 24. August 1961 wurde der erste Bürger aus dem sogenannten „Arbeiter- und Bauernparadies“ erschossen, der der DDR den Rücken kehren wollte. So jährt sich in diesem Jahr der Todestag von Günter Litfin zum 55. Mal. Der Schneider aus dem Berliner Stadtteil Weißensee wollte an jenem Tag als einer von insgesamt zwölf Menschen den sowjetischen Sektor der geteilten Stadt hinter sich lassen. Gegen 16.00 Uhr wurde Litfin, der auch Mitglied der damals illegalen West-CDU war, von Grenzpolizisten entdeckt. Während seines Fluchtversuchs sprang er in den Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal und wollte die 40 Meter zum rettenden Westufer schwimmen. Nach rund der Hälfte der Strecke wurde er jedoch tödlich von einer Polizeikugel am Kopf getroffen und ertrank aufgrund der erlittenen Verletzung. Bereits fünf Tage später erschossen DDR-Grenzer den nächsten Flüchtling. Wie viele Menschen genau an der Berliner Mauer den Tod fanden, ist bis heute Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Historikern. Denn das Ministerium für Staatssicherheit der DDR gab sich Mühe, derartige Fälle zu vertuschen und auch die Hinterbliebenen im Unklaren über das Schicksal ihrer Angehörigen zu lassen. So gehen das Zentrum für Zeithistorische Forschung und die Stiftung Berliner Mauer derzeit von 138 Maueropfern aus. Dabei sind auch acht Grenzsoldaten mitgerechnet, die während ihres Einsatzes ums Leben kamen. Andere Quellen sprechen jedoch von deutlich über 200 Mauertoten. Die Tötung Litfins am 24. August 1961 war jedoch der erste Fall, in dem die DDR-Grenzer ihren im Vorjahr erhaltenen Schießbefehl in letzter Konsequenz in die Tat umsetzten. Der Bruder des Toten, Jürgen Litfin, war sich auch Jahrzehnte später sicher, dass sich Günter Litfin den Grenzern ergeben wollte. Gegenüber dem Spiegel betonte er vor wenigen Jahren noch, dass sein Bruder nicht damit rechnete, erschossen zu werden. Doch der damaligen DDR-Führung um Walter Ulbricht war es wenige Tage nach der Schließung der Sektorengrenze in der geteilten Stadt ernst damit, die „Grenzsicherung“ bis zum Äußersten durchzusetzen.