Die Hysterie der gesamtgesellschaftlichen Covid-Diskussion wurde vonseiten der politischen Entscheidungsträger nicht beseitigt, ganz im Gegenteil. Eine Beruhigung der Bevölkerung ist nicht in Sicht. Derzeit tendiert der politische Diskurs weiter zur Verschärfung. Und damit zum Aufbrechen der fragilen Cleavages, jener sensiblen Bruchlinien in der Gesellschaft.
Pandemien zählen neben anderen Formen von Katastrophen zu jenen Phänomenen, für die selten Verursacher festzumachen sind. Weder für deren Entstehung noch für deren Verlauf. Verschwörungstheorien haben daher Hochkonjunktur. Auf unvollständiger Information basierend, herrscht oftmals die Gewalt des Verdachtes.
Hätte die Corona-Pandemie die Form einer klassischen griechischen Tragödie, käme es der aristotelischen Tragödientheorie zufolge nunmehr zur sogenannten “Peripetie”. Nach mehreren Episoden markiert die Peripetie eine Änderung des Handlungsverlaufes. Einen Umschwung, der entweder die Lösung des Problems einleitet, oder zur endgültigen Katastrophe führt.
Ein Rechenbeispiel für Österreich
Seit vielen Monaten ist bekannt, dass es neben zahlreichen Nebenschauplätzen einen Hauptschauplatz gibt: die zu geringe Anzahl an Intensivbetten samt intensivmedizinischer Betreuung, die zur Überlastung des Gesundheitssystems führen kann. Man stelle sich vor, eine ausreichende Zahl an Intensivbetten wäre vorhanden. Der gesellschaftspolitische Corona-Diskurs verliefe wohl nur mehr halb so aggressiv.
In Österreich – mit seinen 8,9 Millionen Menschen etwa ein Zehntel der Größe Deutschlands – wurde die nationale Impfkampagne bis dato mehr oder minder erfolgreich umgesetzt. Doch in der Zwischenzeit hätten an einem oder mehreren Standorten im Umfeld der größten Städte des Landes längst Intensivbetten samt Infrastruktur geschaffen werden können. Zum Beispiel 10.000 solcher Krankenhausbetten. Das entspräche in etwa einer Verfünffachung der derzeitigen Kapazität an landesweit verfügbaren Intensivbetten. Viele IntensivkrankenpflegerInnen hätten zwischenzeitlich ausgebildet, umgeschult oder aus anderen Ländern eingeladen werden können, finanzielle Anreize vorausgesetzt. “Kleinstädte der Heilung” wären längst vor den Toren Wiens und anderer Städte im Entstehen.
Zu hohe Kosten? Die einmaligen Anschaffungskosten pro vollwertigem Intensivbett – wobei dessen medizintechnische Ausstattung und damit die Kosten variieren und auch Lieferengpässe bei Beatmungsgeräten bestehen – liegen bei etwa 85.000 Euro. Bei 10.000 Einheiten für das Alpenland demzufolge 850 Millionen. Dagegen verursacht jeder Lockdown in Österreich einen Wertschöpfungsverlust in Höhe von über 100 Millionen Euro. Und zwar pro Tag. Selbst wenn der volkswirtschaftliche Schaden von Lockdown zu Lockdown etwas geringer ausfällt, er bleibt gigantisch. Ein weiterer Größenvergleich: der laufende Betrieb eines tatsächlich belegten Intensivbettes kostet knapp € 2.000 pro Tag, die Flugstunde eines einzigen Abfangjägers dagegen weit mehr als € 50.000.
Überdies wäre die Herstellung nötiger Krankenhaus-Infrastruktur nicht nur aus der Perspektive der Kosten, sondern auch als staatlicher Konjunkturimpuls mit positivem Nebeneffekt für den österreichischen Arbeitsmarkt zu sehen.
Varianten von Besorgnis
Liest man bei den Statements der internationalen Pharmakonzerne zwischen den Zeilen, gehen diese von einem stabilen Covid-Geschäft über Jahre oder gar Jahrzehnte aus. Schon allein deshalb sollte der massive Ausbau zu den strategischen und operativen Zielen jedes staatlichen Gesundheitssystems zählen. Auch bräuchte man künftig nicht bei jeder neuen Mutation, die von der WHO zur VOC (Variant of Concern) erklärt werden wird, gesamtgesellschaftliche Schockwellen medial rund um den Planeten zu jagen.
Apokalyptische und pandemische Themen sind weltweite Blockbuster. In der Politik, in der Unterhaltungsindustrie sowie in den diese begleitenden Medien. Die konstruktive Suche nach Krisenlösungen sollte künftig auf politischem Mut und Weitblick für die Entwicklung visionärer Vorschläge basieren.
Zwei Jahre sind in Zeiten der Krise, in der rasches Reagieren, Planen und Handeln Pflichtsache ist, eine lange Zeitspanne. Aristoteles zufolge entfalten “Peripetien” dann ihre stärkste Wirkung, wenn sie durch eine “Anagnorisis”, den Moment des (Wieder-)Erkennens, eingeleitet werden.