Annalena Baerbock hat ab ihren ersten Schritten als Außenministerin viel Kritik geerntet. Ihre Auftritte seien undiplomatisch, unsicher und unprofessionell, heißt es hinter vorgehaltenen Händen – die in den sozialen Medien gerne zum Lautsprecher umgeformt werden. Als erste Frau an der Spitze des Auswärtigen Amtes fällt es vielen politischen Beobachtern schwer, Baerbock nicht mit zweierlei Maß messen, sondern nur an ihrem Vorgänger Heiko. Doch ein Blick zwischen die Zeilen ihrer Antrittsrede zeigt: Auch was außen nicht glänzt, kann wertvoll sein.
Fahrig auf Reisen
Die ersten außenpolitischen Besuche Baerbocks in Paris und Brüssel waren von Nervosität geprägt. Vor der ausländischen Presse bewegt Baerbock ihre Hände schnell und ruckartig durch die Luft, nickt allzu energisch mit dem Kopf, lächelt angespannt. Die Körpersprache passt nicht zu den politischen Inhalten. Auf die Frage nach der Position Deutschlands zu Frankreichs Atomenergie sagt Baerbock zum Beispiel mit einem verschmitzten Lächeln: „Dass wir zu der Frage Nuklear unterschiedliche Positionen haben, das ist ja bekannt“. Nach den vielen Worten zur deutsch-französischen Freundschaft wirkt es ganz so, als wolle sich Baerbock eher mit dem Journalisten anfreunden als mit ihrem neuen Amtskollegen. Auf eine Frage zu China zieht Baerbock mit strengem Blick die Augenbrauen hoch. So manch ein Vertreter der deutschen Wirtschaft tut intuitiv wohl das gleiche, aber eher aus Sorge um die zukünftigen Geschäfte in Asien.
Beim Sprechen liegt Baerbock fast durchgehend über ihrer natürlichen Stimmlage – es wirkt angestrengt und anstrengend zugleich. Dazu kommen unzählige Verhaspler und Versprecher, die nicht nur an Baerbocks persönlicher Glaubwürdigkeit kratzen, sondern auch außenpolitische Positionen Deutschlands mit Fragezeichen versehen. Wenn Baerbock eine „Terrier-torriale“ Integrität der Ukraine fordert und vom russischen „troop depelopment“ spricht, wird Putin wohl eher an seinen Hund denken und gelangweilt in der Nase popeln. Und wenn Baerbock später in Brüssel deklariert, man stehe als „Europeanions“ für Werte, dann fällt es irgendwie schwer, sich gegenüber anderen Großmächten nicht winzig klein zu fühlen.
Halb Mensch, halb Ministerin
Ja, Baerbocks rhetorische Fähigkeiten sind ausbaufähig. Doch es lohnt ein Ausblick über den Tellerrand der bloßen Stilkritik. Denn inhaltlich bringt Baerbock durchaus neue, erfrischende Akzente ins Haus. Das zeigt sich vor allem bei ihrer Antrittsrede im Auswärtigen Amt: So beginnt sie nicht mit Zitaten von Kissinger oder Brandt, sondern mit einer Anekdote über die Sorgen ihrer Tochter. Die Dankesworte an ihren Vorgänger Heiko Maas sind nicht nur Pflichtprogramm, sondern kommen von Herzen. Auch die Begrüßung ihrer neuen Kolleginnen und Kollegen inklusive „Kind und Kegel“, die in New York vielleicht „beim Morgenkaffee zugeschaltet“ sind und in Sidney „gerade das Feierabendbier am Bildschirm trinken“ hat etwas Nahbares, etwas Menschliches. Baerbock ist eben noch nicht in der Maschinerie des Professionalismus untergegangen, sondern kennt noch ein bisschen was vom Alltag des normalen Lebens. Das mag diplomatische Langzeitprofis der alten Garde verwirren. Aber diese holprige Normalität vermittelt auch eine schöne Botschaft: Wir sind eben alle nur Menschen.
Annalena Baerbock spricht ein bisschen anders über die Welt als herkömmliche Berufspolitiker. Wenn es um den deutschen Afghanistan-Einsatz geht, sagt Baerbock zum Beispiel: „Das kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen, so aus einem sicheren Berlin heraus.“ Sie spricht von den Kindern, den Familien, den Ehepartnern, von den vielen Frauen und Mädchen in Afghanistan. Und Baerbock macht sich auch Gedanken darüber, wen sie da eigentlich vertritt in der Welt. Als Außenministerin sehe sie sich nicht nur als Repräsentantin eines Staates, „sondern vor allen Dingen von über 82 Millionen ganz unterschiedlichen Menschen in unserem Land“. Die 20 Millionen Menschen mit Migrationsbiografie und ihre familiären Verbindungen in die ganze Welt seien dabei „unsere besten Botschafterinnen und Botschafter“. Und sie will auch die „vielen, vielen jungen Menschen“ repräsentieren, „die weltweit studieren, arbeiten, lieben oder einfach unterwegs sind“. Solch offene Worte können für Kritiker unprofessionell klingen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir uns im Laufe der Jahrzehnte an eine politische Sprache gewöhnt haben, die wenig Raum für Natürlichkeit bietet.
Neuer Stil, neue Chance?
Annalena Baerbock wird als neue Außenministerin Deutschlands zu Recht kritisch beobachtet, immerhin repräsentiert sie eines der wichtigsten Länder der Europäischen Union. Angesichts der vielen aktuellen Krisen in der Welt ist ihre Schonfrist bereits beim Amtsantritt abgelaufen. Die deutsche Bevölkerung erwartet eine verlässliche Außenpolitik im Dienste des Landes. Um diesen hohen Ansprüchen gerecht zu werden, wird es als Chefin des Auswärtigen Amtes auch darauf ankommen, in Zukunft mehr diplomatische Souveränität auf der internationalen Bühne auszustrahlen. Gleichzeitig bringt Baerbock viel menschliches Potenzial und persönlichen Elan mit. Ihre Rhetorik mag nach außen manchmal unklar sein. Innerlich scheint sie aber einen „klaren Wertekompass“ verfolgen zu wollen – auch wenn es von ihr genuschelt leider nach „Wertekompost“ klingt. Aber an souveräner Rhetorik und der wirkungsvollen Präsentation von Ideen kann man arbeiten. Und dann könnte Außenministerin Baerbock es ja vielleicht tatsächlich schaffen, aus dem unverständlich ausgesprochenen „soft Bauer“ eine europäische Softpower zu machen.