Seit im Saarland Annegret Kramp-Karrenbauers CDU einen überraschenden Wahlsieg errang, erlebt ein alterprobtes Wahlkampfinstrument aus vordigitaler Zeit plötzlich fröhliche Wiederauferstehung in Parteien und Medien: der Haustür-Wahlkampf. CDU-Generalsekretär Peter Tauber propagiert ihn als Wunderwaffe für seine schleswig-holsteinischen Parteifreunde, die am 7. Mai Landtagswahlen zu bestehen haben. Und natürlich für seine Wahlkämpfer an Rhein und Ruhr, wo am 14. Mai gewählt wird. Auch die Grünen setzen vor allem in Nordrhein-Westfalen auf den mobilisierenden Haustürwahlkampf, um sich am Wahlabend nicht im parlamentarischen Aus zu finden.
“Klinkenputzen” gehört seit jeher zum Wahlkampf-Repertoire
Was jetzt als innovatives Wahlkampfinstrument entdeckt wird, über das sich selbst die Kanzlerin von ihrem Generalsekretär im CDU-Präsidium berichten lässt, ist aber ein alter Hut. Seit Jahrzehnten betreiben Bürgermeisterkandidaten Haustürwahlkampf – landauf landab. Auch in Bundestags- und Landtagswahlen gehört das „Klinkenputzen“ für mich jedenfalls zum Standardrepertoire eines engagierten Wahlkampfs. Ich selbst habe als Bewerber in zwei Bürgermeister-, zwei Landtagswahl- und sechs Bundestagswahlkämpfen in zweieinhalb Jahrzehnten Zehntausende von „Klinken geputzt“.
Haustürkontakte schlagen sich im Wahlergebnis nieder
Und ja, meine eigene Erfahrung zeigt: In all den Wahlbezirken, in denen ich Haustürkontakt mit vielen Bürgern hatte, steigerte sich mein persönliches Ergebnis. Doch eine entscheidende Einschränkung will ich nicht unterschlagen: Wenn der Landes- oder Bundestrend gegen die vom Kandidaten vertretene Partei läuft, dann kann der Bewerber den Trend nicht umkehren. Das heißt im Klartext: Wenn die eigene Partei einbricht, dann mildert ein profilierter Kandidat den Einbruch in seinem Wahlkreis zwar ab. Gegen den generellen Abwärtstrend deutlich zuzulegen, ist aber auch für starke Kandidaten so gut wie unmöglich. Bei einem positiven Trend für die eigene Partei lässt sich dieser zwar vom Kandidaten verstärken, aber auch nicht spektakulär.
Persönlicher Kurzkontakt schlägt digitales Infotainment
Dass der persönliche Kontakt zum Wähler ausgerechnet in Zeiten propagiert wird, in denen vor allem über den gefährlichen Erfolg digitaler Wahlkampagnen in den sozialen Netzwerken räsoniert wird, halte ich für eine erfreuliche Wendung. Die Authentizität eines persönlichen Kurzkontakts schlägt im Zweifel jedes digitale Infotainment. Die persönliche Kontaktaufnahme zwischen Politikern und Bürgern ist aber viel zeitaufwendiger und deshalb ziemlich aus der Mode gekommen. Auch Zehn- oder gar Hunderttausendfache Haustürbegegnungen von Kandidaten und Wählern werden die Entfremdung zwischen Politik und Volkes Stimme nicht beseitigen. Im Zweifel heißt es selbst dann: „Die kommen ja nur zu Wahlkampfzeiten, wenn sie unsere Stimmen wollen!“
Politik trifft Realität
Ich will mit anekdotischer Evidenz diesen Grundtenor bestätigen. Als ich von 2006 bis Anfang 2008 für die Grünen als Abgeordneter im Stuttgarter Landtag saß, machte ich jeden Monat einen ganzen Tag lang Hausbesuche in einer Gemeinde oder Stadt in meinem Wahlkreis. In der Lokalpresse war das jeweils kurz angekündigt: „Metzger klingelt.“ Obwohl ich mich nicht für ganz unbekannt hielt, wurde ich an jeder vierten Haustür gefragt: „Wer sind Sie? Wir kaufen nichts!“ Das erdet und schützt vor Selbstüberschätzung. Oder dort, wo ich den Leuten bekannt war: „Ja sind denn schon wieder Wahlen, Herr Metzger?“ Und dann die erstaunte und positive Reaktion: „Sie kommen tatsächlich außerhalb von Wahlkampfzeiten.“
Doch die wichtigste Erkenntnis nach einem solchen Tag mit oft bis zu hundert persönlichen Kurzgesprächen war eine andere: Die Themen, die Politik und Medien jeweils intonieren, sind ganz selten auch die Hauptthemen der Bürger. Die Diskrepanz zwischen politisch-medialer Öffentlichkeit und der „Vox populi“ war für mich nach solchen Tagen greifbar wie selten: Politik trifft Realität!
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