Im „kontemplativen“ medialen Sommerloch merke ich mein Bedürfnis nach Reflexion politischer Geschehnisse in Österreich. „Oh, du mein Österreich! Da bist du ja wieder!“ titelt ein Text von Elfriede Jelinek aus dem Jahr 2018. Und sie hätte nicht gedacht, dass sie etwas sagen müsse, was sie schon einmal gesagt hätte, so die Nobelpreisträgerin in ihren Zeilen. Sie erhebt ihre Stimme und ruft zu einer Anti-Regierungs-Kundgebung auf, um dann mit den Zeilen zu enden: „Wir selbst wurden abgesagt, es folgt der Abgesang, und es folgt das, was die Öffentlichkeit froh als ihre Meinung ausgibt. Woher sie die wohl haben mag? Bitte schmeißen Sie dieses Papierl nicht weg, dort steht der Mistkübel, dort gehört es rein.“
Wie gesagt, da gibt es in mir eine Sehnsucht nach Reflexion des politischen Diskurses der Jetztzeit. Denken und schreiben helfen mir dabei – manchmal. Die Freiheit des Denkens hat etwas Stärkendes, etwas Belebendes, manchmal vielleicht auch etwas Apokalyptisches. So wurde auch ich in diesen Sommermonaten zurückgeworfen auf Beobachtungen von Skandalen und Skandälchen, die ich schon sah und die ich immer wieder sehe. Und von denen ich ebenfalls nicht gedacht hätte, dass ich wieder etwas sagen müsse, weil ich schon einmal was gesagt habe.
So geschah es etwa 2019 anlässlich der Einbringung eines Misstrauensantrages und der anschließend stattfindenden Neuwahlen in Österreich. Es sei Vorsicht angesagt, so damals meine Formulierung, wenn nach 525 Tagen voller Skandale („Süddeutsche Zeitung“) auf Seiten der politischen Parteien und deren Beobachter nicht die Chance ergriffen würde, grundsätzliche Antworten für hochkomplexe Fragestellungen (Klima, Soziales, Wirtschaft, Migration etc.) zu finden. In Anbetracht von politischen Verlogenheiten und permanenten Skandalen sei vor einer Art „eingelernten Hilflosigkeit“ der Politik dringend zu warnen.
Ein Video hatte also am 17. Mai 2019 unsere Alpenrepublik aufgerüttelt, den Sumpf der moralischen Korruption offengelegt. Der Aufschrei war lauwarm, aber er hatte jedenfalls den Anspruch für etwas Neues zu werben – für die Bekämpfung von Korruption in Österreich. Zwischenzeitlich hatte uns das „Corona-Virus“ fest im Griff. Nun, im Sommer 2021 ist es irgendwie bei einem medialen Plätschern geblieben. Vieles scheint vergessen zu sein. Die durchgeplante und inszenierte Regierungskommunikation („Message-Control“) funktioniert perfekt. Abgesehen von wenigen Zeitungen und Journalisten würden alle Medien in der Krisenkommunikation gehorsam mitspielen, wie die Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak argumentiert. Die schmutzigen Geschäfte werden medial verharmlost und insbesondere von den Boulevardmedien mit den Worten „Es war eh schon immer so“ abgetan.
Oh, du mein Österreich! Sind wir wirklich so sprachlos, um das, was geschieht, kommentarlos zu sehen? Wo ist der Aufschrei? Findet dieser Aufschrei möglicherweise nur in den sozialen Medien statt? Ist es dort etwa leichter, wenn die Medienbeauftragten der Regierung beispielsweise kritische Universitätsprofessoren in der Twitter Community blockieren? Meidet man, oder fürchtet man den konstruktiven Diskurs?
Man muss ja nicht gleich den Niedergang der politischen Kultur an die Wand malen. Mahnende Beispiele würde man zwar finden. In Erinnerung darf aber schon gebracht werden: Der parlamentarische Untersuchungsausschuss (Ibiza-Untersuchungsausschuss) war aufschlussreich und hatte weitreichende Konsequenzen: Aufgrund einer Flut von „seltsamen“ Chatnachrichten mussten schließlich die Herren Thomas Schmid (Vorstand der Österreichischen Beteiligungs AG), Wolfgang Brandstetter (Verfassungsrichter) und Christian Pilnacek (Sektionschef) ihre Sessel räumen. Vieles wissen wir noch nicht und werden wir auch nie wissen. Jedenfalls müssen wir hoffnungsvoll in die Zukunft schauen – auch da wiederhole ich mich: Zwölf wichtige Proponentinnen und Proponenten haben in Österreich eine Initiative zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und gegen Korruption ins Leben gerufen. Die dringende Forderung nach Pressefreiheit in dieser Initiative ist an Aktualität aufgrund der stattgefundenen ORF-Wahl zum Generaldirektor kaum zu überbieten.
Oh, du mein Österreich! Ja, wir passen uns manchmal an, sind leise, aber wir melden uns auch zu Wort. Immer mit dem Anspruch für ein respektvolles demokratisches Miteinander.