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Gesellschaft & Kultur > Wird Mali zum zweiten Afghanistan?

In Mali könnte die Bundeswehr wie in Afghanistan scheitern

In Afghanistan ist die Weltgemeinschaft kläglich gescheitert. Trotz vieler Warnungen aus Kabul hatten die Regierungschefs zu spät reagiert und die mögliche Machtübernahme durch die Taliban unterschätzt. In Mali könnte der nächste militärisch-politische Gau drohen. Das afrikanische Land ist politisch ähnlich instabil und auch dort wollen Islamisten das Ruder an sich reißen. Von Stefan Groß-Lobkowicz.

Ein Soldat der Bundeswehr steht am Flughafen nahe des Stützpunkt in Gao im Norden Malis neben seinem Maschinengewehr, Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler
Ein Soldat der Bundeswehr steht am Flughafen nahe des Stützpunkt in Gao im Norden Malis neben seinem Maschinengewehr, Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Eklatantes Politikversagen auf internationaler Ebene – das bleibt das beschämende Resümee des gescheiterten Afghanistaneinsatzes. Nach der Niederlage am Hindukusch stellt sich nunmehr denn je die Frage nach Sinn und Zweck von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Wie die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer betonte, müsse „man aus diesem Einsatz“ Lehren ziehen“. Und die CDU-Politikerin fügte hinzu: Man werde „die anderen Auslandseinsätze der Bundeswehr dahingegen prüfen, ob wir gut aufgestellt sind. Fakt ist jedenfalls: Wie einst in Afghanistan ist der Einsatz der Bundeswehr in Westafrika besonders gefährlich.

Ein weiteres Scheitern könnte drohen

Nach der internationalen Pleite am Hindukusch rückt nun der Mali-Einsatz der Bundeswehr zunehmend in den Fokus des öffentlichen Interesses. Die Befürchtungen sind groß, dass hier ein zweites Afghanistan droht. Und die Zeichen, dass die Truppe wieder Gefahr läuft, das Ruder aus der Hand zu geben, ist derzeit relativ hoch. Der unter US-Leitung geführte Afghanistaneinsatz kostete Deutschland, wie das „Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)“ bei einem „realistischen Szenario“ einschätze, zwischen 26 bis 47 Milliarden Euro. Auch der Einsatz in Mali verschlingt ebenfalls Unsummen an deutschem Steuergeld. Allein zwischen 2016 und 2020 gab Deutschland vor allem für Entwicklungsprojekte und zivile Stabilisierungsmaßnahmen in Westafrika und damit auch in Mail 3,2 Milliarden Euro aus.

Während Afghanistan kampflos den Taliban übergeben wurde, will die Bundeswehr ihr Engagement in Westafrika nun sogar verstärken. Eine wichtige Rolle bei der deutschen Unterstützung spielte der Wunsch, im Schulterschluss mit Paris die Handlungsfähigkeit der EU bei Kampfeinsätzen im Ausland zu stärken. Erst in diesem Jahr betonte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, SPD-Politiker Michael Roth, dass „in der Sahel-Region“ eine „gelebte europäische Teamarbeit“ auf der Agenda stehe.

Seit 2013 ist Deutschland an der UN-Friedensmission MINUSMA in Mali beteiligt. Der Einsatz gilt nach Afghanistan als derzeit gefährlichster der UN. Das belegen Anschläge der letzten Jahre. 2016 attackierten Extremisten das Hauptquartier der „European Union Training Mission Mali“ (EUTM). 2018 gab es einem Anschlag auf die Ferienanlage „Le Campement“. Im Februar 2019 wurde das Training Center an der malischen Offizierschule in Koulikoro von mehreren Angreifern mit Handfeuerwaffen und durch zwei mit Sprengsätzen präparierte Autos angegriffen. Erst Ende Juni 2021 gab es einen Anschlag, der auf das Konto der Al-Kaida nahen Gruppe „JNIM“ geht, die sich in einem Bekennervideo im Internet zum Attentat bekannte. Allein zwölf deutsche Soldaten wurden beim Attentat verletzt. Doch im Lande brodelt es seit Jahren, zudem bereitet das Klima bei Kampfeinsätzen große Probleme. Nicht nur unerträgliche Hitze und Staub bringt die Soldateninnen und Soldaten an die psychische und physische Belastungsgrenze, auch die Guerilla-Taktik der Islamisten bleibt eine beständige Bedrohung, die auch im Jahr 2021 dafür sorgt, dass die Lage weiter brenzlig ist – nicht zuletzt, weil die Islamisten permanent ihre Methoden und Angriffstaktiken ändern. Auch in Mali sieht sich die Bundeswehr mit einer „asymmetrischen“ Kriegsführung des islamistischen Gegners konfrontiert, genau wie bis zuletzt in Afghanistan. Dass die Lage in Westafrika permanent in Gefahr steht, aus dem Ruder zu laufen, mussten die Franzosen Anfang 2013 erleben. Nur durch einen massiven Kampfeinsatz der „Opération Serval“ gelang es, den Vormarsch islamistischer Terrorgruppen auf die Hauptstadt Bamako zu stoppen. Derzeit kämpft Frankreich mit 5100 Soldaten und seiner Anti-Terror-Einheit „Barkane“ gegen den transnationalen und islamistischen Terrorismus.

Lage wird immer bedrohlicher

Seit 2016 hat sich die Sicherheitslage in der westafrikanischen Sahel-Region drastisch verschlechtert. Dschihadisten und ethnische Konflikte destabilisierten nicht nur Mali, sondern auch die fünf Sahel-Staaten („G5“) Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso und Tschad. Doch anders als in Afghanistan setzt man in Afrika nicht auf „Provincial Reconstruction Teams“, sondern schwört nunmehr auf die so genannte „Stabilisation Platform“. Es sind nicht die Ortkräfte, die eine zentrale Rolle spielen, sondern die Befriedung und der Aufbau der Region soll durch Entwicklungsexperten wie der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) mit organisiert werden. So sehr das Auswärtige Amt aber die neue Strategie schon als Erfolg feiert, so einfach gestaltet sich die Lage dennoch nicht.

Eine Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) beurteilt den Einsatz von Deutschen und Franzosen bereits jetzt schon als „erfolglos“. Wie Wolfram Lacher betonte, sei bereits die Koordination zwischen beiden Nationen im Krisengebiet schwierig. Während Paris nach den islamischen Anschlägen in Frankreich Härte im Kampf gegen den internationalen Terror zeigen will und eine Drohkulisse aufbaut, will das in den Bundeswahlkampf versunkene Berlin eher beweisen, dass es nun mehr internationale Verantwortung übernehmen kann. Dass die Mission heikel ist, unterschreibt auch Joachim Krause vom Institut für Sicherheitspolitik an der Uni Kiel. Der Experte hatte den Afghanistaneinsatz als „hoffnungslosen Fall“ bezeichnet und gibt für Mali wenige Lichtblicke. „Wir sind dort, weil wir den Franzosen einen Gefallen tun wollen.“ Auch Christian Klatt, der das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in der malischen Hauptstadt Bamako leitet, betont: „Die Sicherheitslage im Land ist fragil. Zwei Drittel des Landes stehen nicht oder kaum unter staatlicher Kontrolle.“ Auch ein ehemaliger Kampfmittelbeseitiger der Bundeswehr, der in Afrika Sprengfallen entschärft hat, unterstreicht die sich immer weiter verschlechternde Sicherheitslage. „Die Aufständischen probieren sich aus, sie lernen dazu, verwenden mehr oder andere Sprengmittel.“ Je länger der Konflikt dauert, desto mehr lernen die dschihadistischen Aufständischen voneinander. Mittlerweile gebe es teilweise einen regelrechten Know-how-Transfer.

Ein Netzwerk aus Korruption beherrscht Afrika

Und tatsächlich regiert in Westafrika wie am Hindukusch ein Netzwerk aus Korruption, Kleptokratie, Tribalismus, Clans und Warlords. Und genau diese strategischen wie strukturellen Unübersichtlichkeit minimieren die Erfolgsaussichten. Die kritischen Stimmen stehen dabei diametral zu den Tönen, die aus dem Auswärtigen Amt kommen. Dort vertraut man auf die staatlichen Strukturen in Mali und betont, diese zu stärken, denn „Stabilisierung ist ein Kernbestandteil unserer Außenpolitik geworden“. Das sich Außenminister Heiko Maas (SPD) schon in Afghanistan blamierte und nicht zurücktrat, steht auf einem anderen Blatt.

Die Leitung der Bundeswehr macht erneut große Fehler

Erschwerend kommt für Bundeswehr mit einer derzeitigen Truppenstärke von knapp 1.000 Soldaten hinzu, dass sie immer öfter in das Visier von IS-nahen Dschihadistengruppen geraten, die ihr Waffenpotential und damit ihren hegemonialen Anspruch in den letzten Jahren durch improvisierte Bomben und Selbstmordanschläge wirkmächtig demonstrieren konnten. Aber anstatt Flankendeckung für die deutsche Truppe in Sachen militärischem Equipment zu geben, ist der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, vor einer zu schnellen Aufrüstung seiner Soldaten nicht überzeugt. Noch in einer Sitzung des Verteidigungsausschusses Mitte Juli 2021 hatte zwar Zorn davor gewarnt, dass die Islamisten in Afrika ähnlich wie die Taliban extrem gut militärisch ausgestattet sind, doch halte er es derzeit für vorschnell, auf bessere Panzer und bewaffnete Drohnen zu setzen. In Berlin fürchtet man, dass die Soldaten durch die Aufrüstung noch stärker zum Ziel von Angriffen werden könnten.

Mali als Vorposten für eine ungefilterte Migration

Am 7. Juli 2021 hat der deutsche Brigadegeneral Jochen Deuer die Führung über EUTM-Soldaten im westafrikanischen Land übernommen. Als multinationale Ausbildungsmission der Europäischen Union (EU) mit Hauptquartier der Hauptstadt Bamako versucht man die malischen Streitkräfte „Forces Armées et de Sécurité du Mali“ (FAMa) mit militärischer Grundlagenausbildung und Beratung dazu zu befähigen, gegen islamistische Milizen in der Region vorzugehen. Man setzt mit diesem Engagement darauf, „Instabilität und Gewalt einzudämmen und einem möglichen Staatszerfall der G5-Sahel-Staaten vorzubeugen“, so zumindest steht es in einem Dokument mit dem Namen „Strategische Ausrichtung des Sahel-Engagements“ der Bundesregierung. Nordafrika und die Sahel-Zone werden laut dem Papier als „geostrategisches Vorfeld“ Europas bezeichnet und damit als Vorposten für eine mögliche ungefilterte Migration. Wie wichtig der Bundesregierung, die von den Militär-Partnern eine enge Zusammenarbeit im Bereich Migration und Rückführung einfordert, diese Mission als Pufferzone für größere Migrationsbewegungen in Richtung Europa ist, bleibt in Anbetracht globaler Flüchtlingsströme im Zusammenhang von Wirtschafts- und Klimamigration allzu verständlich.

So sehr man der Mission in Mail Erfolg wünscht, die mangelnde Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten war bereits in Afghanistan ein Dauerthema. Galt am Hindukusch die Ausbildung einheimischer Truppen als Kern der „Exit“-Strategie – so ist diese gescheitert. Auch die von Deutschen in Mali ausgebildeten Militärs hatten sich 2021 erneut an die Macht geputscht und sowohl den Interimspräsident Bah N’Daw und Premierminister Moctar Ouane festgenommen. Er war bereits der zweite Putsch innerhalb eines Jahres. Eine Schlüsselrolle spielte dabei der 38-jährige Oberst Assimi Goita Goita, der bereits Anführer der Putschisten im August 2020 war und jetzt neuer Interims-Staatschef ist. Allein diese Instabilität der von Deutschen mitausgebildeten Militärs stellt den gesamten Einsatz in Frage und zeigen dunkle Parallelen zum gescheiterten Afghanistaneinsatz.

Wie Christian Klatt von der Friedrich-Ebert-Stiftung betont, hätte ein „Abzug der internationalen Truppen“ auch in Afrika gravierende Folgen. „Die malische Armee hat unzureichende Ressourcen und Ausbildung, um für Stabilität zu sorgen.“ Sowohl die Bundesregierung, die noch amtierende Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer als auch Außenminister Heiko Maas müssen in Anbetracht der Instabilität nun überprüfen, „wie gut“ die Bundeswehr in Afrika tatsächlich aufgestellt ist. Irren sie sich bei der Einschätzung der Lage wie in Afghanistan erneut, droht ihnen nicht nur politisch ein Waterloo. Die Schlacht, die am 18. Juni 1815 rund 15 km südlich von Brüssel in der Nähe des Dorfes Waterloo stattfand, war bekanntlich die letzte Schlacht des französischen Kaisers Napoleon Bonaparte und beendete seinen Anspruch auf Weltherrschaft für immer.

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