Aktien, Armut, Wachstum: Das ist die Bilanz von vier Jahren Donald Trump
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Donald Trump hat in seinen vier Jahren im Weißen Haus längst nicht das erreicht, was er versprochen hat – aber doch deutlich mehr, als ihm seine Kritiker zubilligen. In dem neuen Buch „Trump verrückt(e) die Welt“ zieht TheEuropean-Herausgeber Ansgar Graw, der den heutigen Präsidenten in den USA hautnah erlebte, eine faire Bilanz.

In Washington hat Ansgar Graw Donald Trump im Wahlkampf und im Weißen Haus erlebt. Der damalige WELT-Chefkorrespondent für die USA schrieb darüber 2017 ein Buch, das er jetzt völlig überarbeitet, erweitert und aktualisiert hat. Ab heute ist „Trump verrückt(e) die Welt“ (Langen-Müller-Verlag, München, 240 S., 15 Euro) hier online oder im Handel erhältlich. Der Autor, inzwischen Herausgeber des TheEuropean, geht kritisch, aber fair mit dem Präsidenten um. Er analysiert, warum der frühere Immobilienunternehmer und TV-Entertainer 2016 gewählt wurde, welche Fehler die Demokraten zuvor gemacht haben und wie sich Amerika in den vier Jahren seiner Amtszeit entwickelt hat. Und schließlich: Was bringt Joe Biden mit? Wir veröffentlichen einen gekürzten Auszug aus dem Buch zur Bilanz des Donald Trump zu einer Bilanz mit Licht und Schatten:
Wie fällt die Bilanz der vier Jahre von Donald Trump im Präsidentenamt aus? Trump selbst misst sich ständig an seinem Vorgänger Barack Obama und betont gern, er habe die Armut im Land bekämpft und die Zahl der Lebensmittelmarken-Bezieher massiv schrumpfen lassen.
Das ist richtig. Im Januar 2009 zu Obamas Amtsantritt erhielten 33 Millionen Menschen diese Form von Sozialhilfe. Bis 2013 stieg die Zahl nach Angaben des zuständigen Landwirtschaftsministeriums auf 47,6 Millionen. Anschließend sank sie wieder. Im Wahljahr 2016 bezogen 44,2 Millionen Amerikaner food stamps und analog zum Wirtschaftsaufschwung schrumpfte die Zahl unter Trump auf 35,7 Millionen im Jahr 2019.
[caption id="attachment_43582" align="alignnone" width="186"] "Trump verrückt(e) die Welt": Das neue Buch von TheEuropean-Herausgeber Ansgar Graw[/caption]
Dass sich unter Obama die Staatsverschuldung nahezu verdoppelt hat, wie Trump sagt, ist ebenfalls richtig. 2008 betrug sie rund zehn Billionen Dollar und 2016 etwa 19,6 Billionen Dollar. Er werde binnen acht Jahren die Schulden der USA „eliminieren“, hatte Trump im Wahlkampf 2016 versprochen. Stattdessen nahm die Verschuldung schon vor Corona massiv zu und kletterte von 20,2 Billionen US-Dollar (2017) auf 22,7 Billionen (2019). Sollte Trump bis 2025 im Amt bleiben, würde die Staatsverschuldung nach Einschätzung des von seinem Weißen Haus 2020 veröffentlichten Bericht „A Budget für America’s Future“ um 8,3 Billionen auf 28,5 Billionen Dollar anwachsen. Und darin waren, wohlgemerkt, die Negativeffekte, Hilfsmaßnahmen und nötigen Konjunkturpakete infolge von Corona noch nicht eingerechnet.
Erfolgreiche Steuerreform
Wenn Trump also sagte, er habe »ein Fiasko geerbt«, hat er recht in Bezug auf die Verschuldung – die er allerdings selbst nie zu stoppen versuchte. Hingegen waren Wirtschaft und Arbeitsmarkt der USA beim Wechsel von Obama zu Trump zwar weit entfernt von ihrer Bestform. Aber sie entwickelten sich längst positiv. Der Präsident beschleunigte lediglich den Trend.
Im Wahlkampf versprach Trump eine unternehmerfreundliche Politik mit niedrigeren Steuern und weniger Regulierungen. Seine Republikaner arbeiteten 2017 die umfassendste Steuerreform seit 30 Jahren aus. Sie wurde im Dezember des Jahres von Senat und Abgeordnetenhaus angenommen, weitgehend entlang der Parteifarben mit allerdings zwölf Nein-Stimmen von republikanischen Abgeordneten aus Staaten wie Kalifornien, New York und New Jersey. Vielfach wurde kritisiert, weil die Körperschaftssteuer permanent, aber Einkommenssteuer nur zeitlich begrenzt gekürzt wurden, sei die Reform in erster Linie „der Wirtschaft“ zugutegekommen. Das ist allerdings ein sehr kurzsichtiger Einwand. Denn eine starke Wirtschaft stellt zusätzliche Jobs bereit und zahlt höhere Löhne, was wiederum den Konsum ankurbelt und damit die Wirtschaft weiter stärkt.
Wovon viele Afroamerikaner profitierten
Davon profitierten nicht zuletzt Menschen mit im Durchschnitt geringerer Bildung. Unter den Afroamerikanern, die oft über niedrigere Bildungsabschlüsse verfügen, sank die Arbeitslosenquote von 8,4 Prozent im Wahljahr 2016 auf 6,1 Prozent im Vor-Corona-Jahr 2019. Ähnlich war die Entwicklung bei Hispanics und Weißen ohne College-Abschluss. Trump hat also nicht unrecht, wenn er für sich reklamiert, viel für die Schwarzen getan zu haben (auch wenn sie sicher nicht im Fokus seiner Steuerkürzungen standen). Dass er sich damit nahezu gleichauf mit dem Sklavenbefreier Abraham Lincoln wähnt, ist hingegen seiner üblichen Prahlerei geschuldet.
Allerdings wurden als Preis für die Deregulierung etliche Standards des Umweltschutzes gelockert oder ganz eliminiert. Den Etat für die Umweltschutzbehörde EPA kappte der Präsident ab dem Finanzjahr 2021 um 26 Prozent. Zugleich ließ er 50 laufende EPA-Programme streichen. Bereits im Juni 2017 hatte er die Kündigung der Pariser Klimaschutzvereinbarungen annonciert. Am 4. November 2019 folgte der förmliche Austritt, der ein Jahr später wirksam wird. Das kam nicht wirklich überraschend, hatte er doch 2014 das Thema globale Erwärmung als hoax bezeichnet und 2012 getwittert: »Das Konzept der globalen Erwärmung wurde von und für die Chinesen erfunden, um die US-Produktion wettbewerbsunfähig zu machen.«
Vor Trumps Steuerreform versprach sein Finanzminister Steven Mnuchin ein wirtschaftliches Wachstum von drei Prozent im Durchschnitt der nächsten zehn Jahre. Dadurch würde am Ende ein ausgeglichenes Budget erreicht. Trump war noch ambitionierter. Mit ihm als Präsident seien jährliche Wachstumsraten von vier, fünf vielleicht gar sechs Prozent möglich? Ist das realistisch? In den 1990er Jahren schafften die USA ein durchschnittliches Wachstum von 3,4 Prozent. Doch dies war nicht nur heimischer Politik zu verdanken, sondern dem weltwirtschaftlichen Nachholbedarf nach dem Zusammenbruch des Ostblocks.
Trump verfehlte alle Wachstumsziele
Der Präsident hat nicht nur sein eigenes ehrgeizige Ziel verfehlt, sondern auch die von Mnuchin genannten Werte. 2017 wuchs das Bruttoinlandsprodukt um 2,2 Prozent und 2018 um 3,18 Prozent. 2019 sank es aber wieder auf unzureichende 2,33 Prozent. Offenkundig war der Effekt der Steuersenkungen nicht nachhaltig. Und dann kam Corona – im zweiten Quartal 2020 stürzte das BIP um 31,7 Prozent ab.
Mit dieser Krise habe niemand rechnen können, sagt Trump zu seiner Verteidigung. Doch das ist eine Binse. Es galt für jeden früheren Konjunktureinbruch ebenso, ob nach 9/11 in der Zeit von George W. Bush oder für die Weltfinanzkrise, mit deren wirtschaftlichen Folgen Obama kämpfen musste.
Er werde industrielle Arbeitsplätze aus China und Mexiko zurück in die USA bringen und das Land von Importen, vor allem aus China, weitgehend abkoppeln, hatte Trump 2016 versprochen. Auch hier ist die Bilanz eher dürftig. In den letzten drei Amtsjahren von Obama stieg die Zahl der Industriearbeitsplätze von 14,4 Millionen (2014) über 14,5 Millionen (2015) auf 14,7 Millionen (2016). Unter Trump waren es 14,6 Millionen (2017), 14,9 Millionen (2018) und 15 Millionen (2019). Das ist ein positiver Trend – aber er bedeutet keineswegs, dass Fabriken aus dem Ausland „heimgekehrt“ wären. Denn die alten Industriearbeitsplätze gibt es schlicht nicht mehr, sie fielen der Automatisierung zum Opfer. Heute sind Unternehmen Wachstumstreiber, die mit vergleichsweise wenig Personal gewaltige Umsätze erwirtschaften, etwa in der Software-Industrie, in der Pharmazie oder bei Halbleitern. Und wer T-Shirts, Werkzeuge oder Baumaterialien „Made in USA“ erwerben will, muss so tief in die Tasche greifen, dass die meisten Konsumenten bei allem Patriotismus darauf bald verzichten dürften.
Der Dow Jones stärker als je zuvor
Trump brüstet sich, unter seiner Regierung habe Amerikas Wirtschaft eine „historische Höhe“ erreicht und sei „die größte aller Zeiten“. Gemessen an den 29.551 Punkten, die der Dow Jones Industrial Average (kurz: der Dow) als Aktienwert der 30 größten US-Aktiengesellschaften am 12. Februar 2020 erreichte, hat er recht. Obwohl der Dow im März wegen der Pandemie um 20 Prozent abstürzte, kletterte er in den ersten Septembertagen wieder auf über 29.000 Punkten. „Ihr könnt euch so glücklich schätzen, dass ihr mich als euren Präsidenten habt. Mit Joe Biden gäbe es einen Crash“, twitterte der Präsident.
Doch zu einer verantwortungsvollen Wirtschaftspolitik gehört auch der Blick auf die Staatsschulden, weil man ansonsten den nachfolgenden Generationen die eigene hohe Rechnung für das eigene Wohlergehen aufbürdet. Trump hat mit einer sehr protektionistischen Haltung, einem (in der Sache durchaus berechtigten) Handelskrieg gegen China und handelskriegerischen Warnschüssen auch gegen Europa und vor allem Deutschland keine Abkoppelung der USA von Importen und damit Handelsdefiziten hinbekommen. Es bedurfte nicht Corona, um zu zeigen, dass Trump über kein hinreichendes ökonomisches Konzept verfügte. Jetzt geht es für den nächsten Präsidenten vor allem um die Bewältigung der Folgen der Pandemie. Und darum, das gespaltene Amerika wieder zusammenzuführen..
Falls Joe Biden ins Amt kommt, übernimmt der Co-Pilot das Steuer, der neben Obama beim Konjunkturprogramm 2009/10 saß. Aber ob mit Keynesianismus, weiterer hemmungsloser Staatsverschuldung und Steuererhöhungen, den traditionellen Werkzeugen der Demokraten, die neue Krise zu bewältigen ist, darf bezweifelt werden. Wichtiger wäre, dass die Gesellschaft wieder geeint wird und den Geist einer neuen Pionierzeit entfesselt. Mit so viel Staat wie nötig und so viel Freiheit wie möglich. Können das die Demokraten? Im Moment muss Amerika auf sie hoffen. Die von Trump ihrer Prinzipien beraubten Republikaner als Anwälte von Marktwirtschaft und Freihandel stehen selbst dann nicht zur Verfügung, wenn der Amtsinhaber am 3. November bestätigt werden sollte.