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Gesellschaft & Kultur > Volker Wissing ist der Neue im Machtzentrum der Republik

Der Sommelier und Organist der Ampelregierung

FDP-Generalsekretär Volker Wissing steht plötzlich im Rampenlicht der Berliner Republik. Er wird neuer Verkehrs- und Digitalminister. Doch wer ist die neue Schlüsselfigur der Ampelregierung wirklich? Da gibt es Überraschungen im Persönlichen. Von Wolfram Weimer.

FDP-Politiker Volker Wissing, Foto: picture alliance/dpa | Philipp Znidar
FDP-Politiker Volker Wissing, Foto: picture alliance/dpa | Philipp Znidar

Volker Wissing ist der Neue im Machtzentrum der Republik. Lindner, Habeck, Scholz, Baerbock kennt das Wahlvolk inzwischen bestens. Doch dieser neue Verkehrs- und Digitalminister aus der tiefsten pfälzischen Provinz, wer ist der eigentlich?

Äußerlich wirkt er auf seine Fans wie ein Daniel Craig mit Juraexamen, auf Kritiker eher wie der klassische FDP-Staatssekretär mit gesteiftem Hemdkragen, der seit 70 Jahren bundesdeutsche Ministerien scharenweise bevölkert - mehr Akten-Hans also als James Bond. Einig sind sich alle - der höfliche Wissing ist ein korrekt gekleideter Mann von gepflegter Seriosität.

Tatsächlich ist der private Wissing aber variantenreicher, als man ahnt. Er stammt aus einem pfälzischen Winzerbetrieb und kennt sich mit Weinen besser aus als die gesamte Toskana-Rotweinfraktion der rot-grünen Koalitionspartner. Wissing dazu im gepflegten Ton des Connaisseurs: „Für einen trockenen, mineralischen Riesling kann ich mich ebenso begeistern wie für einen eleganten Spätburgunder. Aber ich genieße Wein nicht nur im Glas, sondern habe im An- und Ausbau selbst Erfahrungen im eigenen Familienweingut gesammelt. Die Entscheidungen, die man im Wingert trifft, beeinflussen Art und Charakter des Weins. Dinge vom Ende her zu denken, ist auch in der Politik kein schlechter Ansatz.“

Die zweite Überraschung entdeckt man bei ihm, wenn es um die Dinge jenseits der Politik geht. Denn Wissing ist bekennender Christ, engagiert in der evangelischen Kirche und das auch noch als aktiver Musiker: „Ich bin Organist und habe viele Jahre im Nebenamt Gottesdienste gespielt,“ verrät er verblüfften Berlinern, die Orgeln zuweilen seit Jahren nicht mehr gehört haben. Und so könnte er beim Advents-Gottesdienst zur Einführung der neuen Bundesregierung entweder dankbar „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ spielen oder aber hoffnungsfroh "Geh aus, mein Herz, und suche Freud" oder aber appelativ für die schwierige Ampelkoalition "Möge die Straße uns zusammenführen“.

Wissing gilt im neuen Ampel-Ensemble der Republik schon jetzt als der „Substanzielle“. Ernsthaft, kenntnisreich und hoch gebildet sucht er im Tonfall eines abwägenden Richters seit Monaten Brücken, wo andere noch lauthals Gräben ausheben. Seine Biografie hilft ihm bei dieser Rolle. Er hat nicht nur Jura studiert (in Saarbrücken und Freiburg), erstes und zweites Staatsexamen, er wurde auch zu einem (grünen!) Thema promoviert mit der Arbeit „Überlassungspflichten begründende Gemeinwohlinteressen im System des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes“. Wissing trat hernach nicht - wie viele andere Politiker - in irgendeine Kanzlei ein, um rasch Geld oder Karriere zu machen. Er wurde Richter und Staatsanwalt in den Weiten von Rheinland-Pfalz, Landau und Zweibrücken waren seine Stationen. Später gründete er - jeder guter Liberale hat irgendwann irgendein Unternehmen gegründet - die auf Wirtschaftsrecht und Vermögensnachfolge ausgerichtete Kanzlei „Wissing Rechtsanwälte“. Der Mann sucht den Ausgleich und bohrt gerne dicke Bretter.

Wissing ist eigentlich ein wertkonservativer Liberaler, Mitglied im Schaumburg Kreis (mehr Otto Graf Lambsdorff als Burkhardt Hirsch) und Freund der Wirtschaftsliberalen. Gleichwohl hat ihn das Schicksal zum „Mister Ampel“ gemacht, lange bevor die Bundesrepublik sich mit dieser Konstellation ernsthaft beschäftigt hat. So war Wissing im Mainzer Ampelkabinett von Malu Dreyer seit 2016 Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau, vor allem aber stellvertretender Ministerpräsident. Der schlaue Christian Lindner berief ihn auch wegen dieser Ampel-Erfahrung zum FDP-Generalsekretär, um der deutschen Öffentlichkeit die mittige Anschlussfähigkeit der FDP zu demonstrieren. Das Kalkül ist aufgegangen. Obwohl Wissing selber lieber in eine Jamaika-Koalition eingetreten wäre, ist er nun der große Brückenbauer, der einzige Bundespolitiker, der weiß, wie eine Ampelkoalition wirklich funktioniert.

Beim Ludwig-Erhard-Gipfel im Frühjahr konnte man beobachten, wie Wissing dort diskret Bande mit Lars Klingbeil (SPD) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) knüpfte, wie er höflich die Union und SPD auf gleiche Distanz hielt und sein liberales Programm so ernsthaft vortrug als sei es das Grundgesetz der neuen Republik. Als neuer Verkehrs- und Digitalminister wird er eine Schlüsselfigur der neuen Regierung, denn Digitalisierung hat die selbsternannte „Fortschritts-Koalition“ als ein Hauptthema definiert. Von Wissing wird man also hören - und sei es in Orgellautstärke.

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