Nach der Wahl: Viele Verlierer und ein Schwenk nach links
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Die SPD hat auf den richtigen Kandidaten gesetzt, die Union erzielte als programmatisch entkernte Partei das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Und die Grünen haben nie mehr Stimmen als diesmal bekommen – aber angesichts ihres Anspruchs auf das Kanzleramtn gehören auch sie zu den Verlierern des Wahlsonntags

Noch sind die Briefwahlstimmen nicht ausgezählt. Darum sind Analysen am Wahlsonntag zunächst Stückwerk. Gleichwohl lassen sich erste Lehren aus der Bundestagswahl 2021 ableiten:
- Obwohl es Rot-Grün-Rot nicht geben wird, hat Deutschland am Ende der Ära Merkel einen leichten Linksruck erlebt. Das Lager der linken Mitte plus links der Mitte (SPD, Grüne, Linke) wuchs von 38,6 Prozent 2017 auf diesmal 44,3 Prozent. Machten vor vier Jahren hingegen 56,2 Prozent der Wähler ihr Zweitstimmen-Kreuz in der bürgerlichen Mitte (Union, FDP) oder rechts davon (AfD), sank dieser Anteil nach den ersten Hochrechnungen am Sonntag auf 47,1 Prozent. Das Ergebnis (bei dem die Freien Wähler für beide Wahlen ausgeklammert bleiben) bedeutet einen massiven Warnschuss für Deutschlands Bürgertum. Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und der Abgeordnetenhauswahlen in Berlin bestätigen diesen Trend.
- Die Union hatte mit Armin Laschet den falschen, weil an der Basis nicht zündenden Kandidaten nominiert und lebte nur noch von ihrem positiven Image als zuverlässige Regierungspartei. Das hat sie nach deutlich schlechteren Umfragen auf Augenhöhe mit den Sozialdemokraten gehalten – aber mit dem miserabelsten Resultat ihrer Geschichte. Darum sind CDU und CSU die Verlierer der Wahl, obwohl die Ohrfeige dezenter ausfiel als in den vergangenen Wochen von Demoskopen vorausgesagt. Und das wird auch auf die scheidende Kanzlerin und langjährige Parteichefin Angela Merkel zurückfallen, die den Christdemokraten zwar viele Jahre der Regierung beschert, aber sie dabei um ihren Markenkern gebracht hat. (Nebenbei: dass Laschet der falsche Kandidat für den Wahlkampf war, heißt nicht, dass CSU-Chef Markus Söder der bessere gewesen wäre, wie ein Blick auf die Verluste der Christsozialen in Bayern zeigt. Und richtig bleibt auch, dass schwache Wahlkämpfer später zu akzeptablen Amtsinhabern werden können.)
- Die SPD als klarer Wahlsieger hatte mit Olaf Scholz den richtigen Kandidaten, und der konnte das schlechte Image seiner Partei, wie es von Spätsozialisten wie Saskia Esken oder Kevin Kühnert geschaffen wurde, bei vielen Wählern vergessen machen. Die starke Wanderung von CDU/CSU zur SPD (1,3 Millionen) beweist das. Sollte die bis dato totgesagte SPD dem Scholz-Kurs weiterhin folgen, anstatt wieder nach Linksaußen zu steuern, könnte sie im 25-Prozent-Segment wieder zur zweiten Volkspartei neben der Union werden. Damit wäre sie sogar ein nachhaltiger Wahlsieger – selbst wenn zunächst unklar blieb, ob die Union nicht dank vieler Überhangmandate doch noch die stärkste Fraktion stellen würden.
- Die Grünen haben im Bund ebenfalls auf die falsche Kandidatin gesetzt. Annalena Baerbock ist zu unerfahren, sie trat zu wenig professionell auf, sie hat, von den Verschönerungen ihres Lebenslaufs bis zu ihrem dahingeschluderten Buch, zu viele Fehler gemacht. Der charismatische Robert Habeck, dessen Bücher offenkundig ohne plagiierte Stellen zu Erfolgen wurden und der als promovierter Philosoph wohl auch keine Nachfragen zu seinem akademischen Lebenslauf hätte fürchten müssen, wäre der stärkere Kandidat gewesen. Aus ideologischen Gründen hatten sich die Grünen für die weibliche Kandidatin entschieden, die von den Medien auch prompt zur Kanzlerkandidatin hochgejubelt wurde. Gemessen an diesem Auftakt des Wahlkampfs und den damit gesetzten Erwartungen haben die Grünen einen enttäuschenden Wahlsonntag erlebt, obwohl sie das beste Ergebnis ihrer Bundestagsgeschichte eingefahren haben.
- Dass die Grünen vom Wähler nicht als Kanzleramts-tauglich angesehen wurden, zeigt, dass die Konzentration der Medien (und in deren Folge bald auch der Spitzenkandidaten Laschet und Scholz) auf das Thema "Klimapolitik" nicht mit den Sorgen der Wähler harmonierte. Das sollten sich Union und auch SPD merken: Arbeitsplätze, Sicherung des Wohlstands, Rentenreform, innere Sicherheit, Digitalisierung, Entbürokratisierung, freies Unternehmertum, Bildung, Kontrolle der Migration, interessengeleitete Außenpolitik bleiben mindestens ebenso wichtige Themen. Die grüne Agenda, man müsse Klimaneutralität auch um den Preis der Vernichtung von Kernindustrien herstellen, wurde von den Wählern abgelehnt. Sie haben (im Gegensatz zu etlichen Journalisten) begriffen, dass radikale Maßnahmen eines Landes, das nur zwei Prozent zum globalen CO2-Ausstoß beiträgt, zwar anderen Volkswirtschaften nutzen mag, aber nicht das Klima verändern würde.
- Die FDP hat gegenüber 2017 weiter zugelegt. Parteichef Christian Lindner profitierte von der Schwäche der Union und der partiellen Übergriffigkeit der Politik bei den Anti-Corona-Maßnahmen und ist nun der mögliche Königsmacher. Erstmals wurden die Liberalen zweimal in Folge zweistellig. Das macht Lindner stark und zeigt, dass es Bedarf für eine marktliberale Politik in Deutschland gibt. By the way: Bei den Erstwählern schnitt die FDP sensationell stark ab.
- Die AfD hat sich im Bundestag offenkundig etabliert, aber gegenüber 2017, als sie stärkste Oppositionspartei wurde, verloren. Die Gründe: Erstens wird der AfD wenig Kompetenz zugemessen bei den dominierenden Themen im Wahlkampf, von Klima bis zur Wirtschaft. Zweitens gab es anders als mit der Migrationskrise 2015 diesmal kein Ereignis, das der AfD in die Karten gespielt hätte. Drittens macht die bürgerliche Mitte einen zunehmenden Bogen um eine Partei, die sich nicht klar von Rechtsaußen abgrenzt und auf Parteitagen den Austritt aus der EU beschließt.
- Die Linke ist bundesweit kein Faktor mehr, unabhängig von der Frage, ob sie am Ende im Bundestag verbleibt oder nicht. Dass die extreme Spielart des Lagers bei der eingangs erwähnten Linksverschiebung des Wählerspektrums an Bedeutung verliert, ist einerseits tröstlich. Andererseits ist nach diesem Wahlkampf endgültig klar, dass die Linkspartei künftig immer als Mehrheitsbeschaffer für Rot-Grün (oder Grün-Rot) in Frage kommen. Voraussetzung ist nur, dass sie mindestens fünf Prozent erzielen.
Rot-Schwarz. Schwarz-Rot. Jamaika. Ampel. Armin Laschet und Olaf Scholz erheben gleichermaßen Anspruch auf das Kanzleramt. Eine Dreierkoalition (unabhängig von der Dualität der Union) ist wahrscheinlicher als eine Zweierkoalition. Söder warb denn auch in der "Berliner Runde" gleich für die Zusammenarbeit mit Grünen und FDP. Nie hat es am Wahlabend so viele denkbare Koalitionsalternativen gegeben. Eine Gewähr für eine starke Regierung und gute Politik im Bund ist das gleichwohl nicht.