„Nie abhängig von einem Partner machen“
Artikel vom
Mittelständische Unternehmen können aus den Fehlern der Politik lernen, sagen Gründungspartner Marcus Schreiber und Managing Partner Sebastian Moritz von der Unternehmensberatung TWS

Die Welt wird gerade vom Ukraine-Krieg erschüttert. Was meinen Sie als Spieltheoretiker: Hätten Regierung und Wirtschaft sich auf ein solches Szenario vorbereiten können?
Marcus Schreiber: Der Ukraine-Krieg hat eine Denklücke offenbart, die in Deutschland besteht. Wir leben in einer Welt, in der wir ausschließlich darüber diskutieren, was wir selbst wollen. Als Spieltheoretiker müssen wir feststellen, dass etwas ganz Wichtiges fehlt – nämlich die Kultur, sich in den anderen hineinzuversetzen. Wir schauen auf Wladimir Putin als einen Menschen, der im selben Kosmos lebt und denkt wie wir. Ein solches Agieren passt sicher gut im Verhalten zu Frankreich, das die gleichen Spielregeln verfolgt, wie wir. Aber das klappt nicht bei einem Mann wie Putin. Doch wir haben keine Denkkultur, um mit jemandem, der auf einem völlig anderen Planeten lebt, zu verhandeln.
Zum Beispiel?
Schreiber: Putin verfolgt eine alte KGB-Denkweise. Daher müssen wir die Möglichkeit erachten, dass er möglicherweise nicht die Wahrheit sagt. Im Geschäftsleben nennen wir so etwas einen strategischen Umgang mit der Wahrheit. Jeder, der in Verhandlungen eintritt, blufft manchmal. Das gilt für einen Mann wie Putin besonders und daher darf man nicht blind darauf vertrauen, was er sagt. In Deutschland leiden Politik, Medien und Wirtschaft aber leider massiv unter einem Mangel an diesem strategischen Umgang mit der Wahrheit. Das zu beobachten ist auf eine deprimierende Art faszinierend.
Sebastian Moritz: Die Amerikaner denken viel mehr daran, wie sie ein bestimmtes Ziel erreichen. Demgegenüber tragen wir Deutschen oft ein Dogma vor uns her und das gilt dann absolut. Es wird gar nicht danach gefragt, ob es das richtige Mittel ist, um unsere Ziele zu erreichen.
Gilt das auch für den Umgang mit China oder sind wir da wacher?
Schreiber: Wir werden gerade aufgeweckt. Das bis jetzt gültige Dogma „Wandel durch Handel“ ist älter als 20 Jahre. Spätestens in den vergangenen fünf oder zehn Jahren hätten wir uns angesichts des chinesischen Auftretens die Frage stellen müssen, ob wir eigentlich auf dem richtigen Weg sind. Jetzt stellen wir fest, dass Änderungen nötig sind. Natürlich müssen wir uns bewusst sein, dass jede Änderung im Umgang mit China sehr schmerzhaft wird. Aber im Fall Russland erkennen wir ja gerade, dass nichts zu tun noch viel schmerzhafter werden kann.
Moritz: Hätten wir in Deutschland daran geglaubt, dass Energie eine geopolitische Waffe sein kann, hätten wir die Diskussion um die russische Pipeline Nordstream 2 sicher ganz anders geführt. Jetzt wachen wir auf, und das führt dazu, dass wir zunehmend auch auf China anders schauen. Das gilt für die Politik, aber gerade auch für die mittelständischen Unternehmen.
Und was erkennen wir im Wachzustand?
Moritz: China betreibt beispielsweise eine massive Politik der Normsetzung in der globalen Industrie als Konkurrenz zu unseren DIN-Normen. Wie sehr man damit beispielsweise Überwachungs- und Militärtechnologie zu einem chinesischen Standard definieren kann, dem wir nur noch hinterherlaufen, wird uns jetzt erst bewusst.
Sind aber nicht mittelständische Unternehmen letztlich wehrlos gegen diese Entwicklung?
Schreiber: Der entscheidende Punkt ist nicht, dass es falsch war, mit Russland und China Geschäfte zu machen. Sondern entscheidend ist, sich nicht von ihnen abhängig zu machen. Unternehmen dürfen nicht so aufgestellt sein, dass sie ohne China nicht mehr auskommen können. Es muss ihnen auch dann noch gut gehen, wenn ein wichtiger Geschäftsteil wegbricht. Ein solches Risikomanagement traue ich eigentlich jedem Mittelständler zu.
Moritz: Mittelständler dürfen sich auch nicht auf Dogmen festlegen, sondern müssen immer die Fähigkeit behalten, auf neue Situationen strategisch zu reagieren. Kleine und mittlere Unternehmen haben gegenüber großen Konzernen dabei den Vorteil, dass sie geringere Fixkosten haben und sich daher geänderten Rahmenbedingungen schneller anpassen können. Das gilt derzeit zum Beispiel für die Umstellung auf andere Energieformen.
Halten Sie es eigentlich für richtig, sich jetzt völlig von russischen Gas- und Öllieferungen zurückzuziehen?
Schreiber: Ich halte es für falsch, Putin zu sagen, dass wir uns komplett davon verabschieden, zugleich aber deutlich zu machen, dass das kurzfristig gar nicht geht. Jetzt hat Putin nichts mehr zu verlieren. Es macht uns fassungslos zu beobachten, wie die deutsche Politik die eigenen Karten der russischen Seite quasi umgedreht unter die Nase hält. Weniger schlau kann man nicht vorgehen. Die Folge ist, dass Putin schrittweise die Preise erhöhen könnte, weil er ja nun weiß, dass wir abhängig von ihm sind. Unternehmen können aus diesem katastrophalen Fehler der Politik etwas lernen: Wenn sie mit Russland Geschäfte machen, muss Russland etwas gewinnen können – aber eben auch verlieren.