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Russland: So viel Medien-Unterdrückung war noch nie

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Russland macht dicht: Westliche Medien ziehen ab, die eigenen werden an die kürzestmögliche Leine genommen. So viel Unterdrückung war in Europa seit Beginn des digitalen Zeitalters noch nie. Eine Bestandsaufnahme von Christian Jakubetz.

Dunkle Zeiten: In Russland kommt es zu einem Ausmaß der Unterdrückung von Medien wie noch nie im digitalen Zeitalter. (Foto: Shutterstock)
Dunkle Zeiten: In Russland kommt es zu einem Ausmaß der Unterdrückung von Medien wie noch nie im digitalen Zeitalter. (Foto: Shutterstock)

Vor einer Woche gingen viele der Fronten im Informationskrieg zwischen Russland und dem Westen über die Landesgrenzen hinaus. Westliche Tech-Giganten, die Russlands Zugang zu Geld und Publikum beschränken, und westliche Regierungen und Kabelsysteme, die russische Propaganda von ihren Bildschirmen verbannen. Apple, Netflix, Facebook und andere, in ihrem Ziel waren sie sich einig: Russische Propaganda-Möglichkeiten einschränken, Russland möglichst isolieren.

Jetzt ändern sich die Dinge. Besser: Sie verschärfen sich. Und die Richtung ist eindeutig. Sagen darf man alles, solange es das Richtige ist.

Paradox und parallel dazu: Die Russen verfolgen dasselbe Ziel. Soziale Netzwerke sind für Putin eine potentielle Gefahr, unabhängige Informationen aus dem Westen (und wenn man ehrlich ist: inzwischen fast aus dem ganzen Ausland) sind eine potentielle Gefahrenquelle. Facebook und Twitter sind fast gar nicht mehr erreichbar, stattdessen zensiert der Kreml die eigenen Medien mittlerweile soweit, dass ein exaktes Wording für den Krieg vorgegeben ist. Sogar der Krieg darf nicht Krieg heißen.

Was "Fake" ist, entscheidet der Staat allein

Am vergangenen Donnerstag billigte ein Ausschuss der Duma eine Änderung des russischen Mediengesetzes, die die Verbreitung von "gefälschten" Nachrichten oder Informationen über den Krieg in der Ukraine unter Strafe stellt - wobei der "Fake" einer Meldung allein von den russischen Behörden bestimmt wird. Die Auswirkungen waren sofort spürbar. Sowohl russische als auch internationale Nachrichtenorganisationen zogen entweder ihre Reporter aus dem Land ab, änderten ihre Arbeitsweise oder stellten ihre Tätigkeit ganz ein. Weil die Formulierung alleine schon derart viele Interpretationsmöglichkeiten zulässt, dass alles, was dem Kreml unliebsam ist, künftig als Fake bezeichnet werden können (Ähnlichkeiten zu anderen Präsidenten sind rein zufällig).

Inzwischen ist fast alles draußen aus Russland, was relevant ist: ARD und ZDF vorneweg. Bloomberg kündigte an, "die Arbeit seiner Journalisten in Russland vorübergehend einzustellen", die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Kanadas und Italiens kündigten dasselbe an. Auch die BBC teilte mit, dass sie "die Arbeit ihrer Journalisten in Russland vorübergehend einstellt" und dass "BBC News in russischer Sprache weiterhin von außerhalb des Landes produziert werden".  Zahlreiche andere renommierte Medien haben solche oder ähnliche Schritte ebenfalls angekündigt oder denken zumindest sehr konkret daran, Russland zu verlassen.

Der Beginn eines dunklen Informations-Zeitalters

Das ist – auf der einen Seite – nur zu verständlich.  Es spielt auf der anderen Seite dem Autokraten im Kreml in die Hände. Weil er nicht nur die unabhängigen ausländischen Medien los ist, sondern auch die eigenen noch verbliebenen staatskritischen Journalisten (viele waren das ja ohnehin nicht mehr). Konkret: Angeblich  sind in den letzten Tagen mehr als 150 russische Journalisten aus dem Land geflohen.

Kombiniert man diese Zensur mit einer neuen und aggressiveren Runde der Sperrung von Websites durch den Kreml - einschließlich Facebook, Twitter und einer Reihe internationaler Nachrichtenseiten – dann kommt man auf ein Ausmaß an Medien-Unterdrückung, das es im Europa des Internet-Zeitalters bisher noch nicht gegeben hat.

Die Konsequenzen daraus sind klar: Mehr denn je spielen digitale Kanäle eine wichtige Rolle. Nicht alle davon sind seriös, vieles von dem, was publiziert wird, kann nicht verifiziert werden.

Für den Kreml ist das Risiko dieser Strategie allerdings höher als der vermeintliche Gewinn: Die Kontrolle geht zunehmend verloren, wenn es zu einer Art Guerilla-Kommunikation kommt.  Was vor 100 Jahren noch Flugblätter waren, sind heute digitale Kanäle. Und an Flugblättern, so banal sie sind, sind vor Putin schon andere gescheitert.

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