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Gesellschaft & Kultur > Opposition kritisiert Corona-Krisenprogramm von Minister Gerd Mueller

CSU-Mann Gerd Müller und der Traum von einer Weltregierung

Einen „Weltkrisenrat“ und 50 Milliarden Euro für die Bekämpfung von Corona in Afrika fordert der CSU-Minister Gerd Müller. Die AfD kritisiert das gesamte Vorhaben, die FDP verlangt eine Umschichtung von Mitteln. Immerhin die Grünen stimmen dem Kostenvoranschlag des Entwicklungsministers zu – aber reagieren auf eine andere Forderung des Bajuwaren skeptisch.

Bundesentwicklungsminister Gerd Mueller, CSU Copyright: Thomas Trutschel/ photothek.net
Bundesentwicklungsminister Gerd Mueller, CSU Copyright: Thomas Trutschel/ photothek.net

Wo die Grenze zwischen der eher anerkennenden Charakterisierung als „Idealist“ und der zumindest spöttischen Bezeichnung als „Gutmensch“ verläuft, ist nicht genau zu definieren. Aber je nach politischem Standpunkt des Einordnenden hat der CSU-Politiker Gerd Müller beste Chancen, in beiden Schubladen zu landen.

Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung trommelt seit Jahren für eine Ausdehnung der deutschen Hilfsmaßnahmen in Entwicklungsländern. Er war Vorkämpfer eines „Marshallplans mit Afrika“ und betont die Wichtigkeit der die Augenhöhe betonenden Präposition – bitte nicht „mit Afrika“, das klänge zu patriarchalisch, vielleicht gar neo-kolonialistisch. Müller forderte vor einem Jahr als erster Regierungspolitiker ein sofortiges Verbot von Plastiktüten in Deutschland. „Was Ruanda, Kenia und Uganda können, müssen wir auch schaffen", sagte er – obwohl Experten argumentieren, dass in Deutschland angesichts einer funktionierenden Recycling-Wirtschaft  Tüten aus Kunststoff ökologischer und nachhaltiger sein können als solche aus Baumwolle oder Jute.

Forderung nach einem Weltkrisenrat bei der UNO

Vor dem Hintergrund der Corona-Krise geht der Christsoziale noch weiter. „Der UN-Generalsekretär sollte einen Weltkrisenrat berufen und leiten“, fordert Müller in einem „Corona-Sofortprogramm“, das er am Mittwoch im Entwicklungsausschuss des Bundestags vorlegte und das TheEuropean vorliegt. Denn: „Corona besiegen wir nur weltweit oder gar nicht.“

Ist das Realpolitik zur Rettung des Globus? Oder politische Korrektheit für die Galerie? „Alle Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft – beispielswiese der WHO, der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds (IWF), der UN-Organisationen und der FAO sowie nationale Anstrengungen – müssen jetzt zielgenau eingesetzt und wirksamer koordiniert werden“, heißt es in dem 18-seitigen Papier. Ob UN-Generalsekretär António Guterres wirklich die Autorität hätte, um die Maßnahmen von US-Präsident Donald Trump mit denen des russischen Amtskollegen Wladimir Putin zu koordinieren? Oder, um bescheidener zu fragen, die extrem nachsichtige Corona-Politik Schwedens mit der auf Verbote setzenden Strategie Deutschlands und anderer europäischer Staaten? Der Bundesregierung gelingt es nicht einmal, die einzelnen Bundesländer auf einheitliche Vorschriften zum Tragen von Gesichtsmasken oder zur Öffnung von Möbelhäusern zu verpflichten – und Guterres soll bei diesen und anderen Maßnahmen die gesamte Welt zusammenbringen und mehr erreichen als den globalen Appell, sich doch bitte die Hände zu waschen? Zumindest da, wo es fließend Wasser und Seife gibt?

"EU-Schutzschirm bis Afrika und Syrien ausweiten"

Den EU-Schutzschirm und die Hilfsprogramme will Müller „auf unsere Nachbarregionen in Afrika und im Krisenbogen um Syrien ausweiten“. Zudem soll die Europäische Investitionsbank ihren finanziellen Handlungsspielraum gegenüber Drittstaaten und Entwicklungsländern ausdehnen. Die EU solle „50 Milliarden Euro an Stabilisierungskrediten und Nothilfen bereitstellen“, so der Minister, der begütigend hinzufügt: „Das entspricht nur 10 Prozent des Hilfspakets für die EU selbst.“

Müller denkt auch ans eigene Haus und fordert eine Aufstockung des Budgets seines Ministeriums um 3,15 Milliarden Euro. Bisher stehen für die Entwicklungspolitik im laufenden Haushaltsjahr 10,88 Milliarden Euro bereit – immerhin schon 630 Millionen Euro mehr als im Vorjahr.

Kritik der AfD

Das Corona-Sofortprogramm sorgt für Kritik der Opposition. Müller wolle „Corona-Bonds für die halbe Welt“, überspitzt etwa der AfD-Entwicklungspolitiker Markus Frohnmaier. Das sei „angesichts der bereits horrend hohen fiskalischen Belastungen für Deutschland und die wirtschaftliche Notlage unserer Bürger und Unternehmen unverantwortlich“, so der Bundestagsabgeordnete zu TheEuropean.Müller Müller nutze die Corona-Krise, „um sich auf Kosten des Landes zu profilieren“, sagt Frohnmaier. „So stiftet er Unmut und Unzufriedenheit beim Bürger."

Markus Frohnmaier, AfD

Einen anderen Akzent setzt Olaf in der Beeck, Obmann der FDP-Fraktion im Ausschuss für Entwicklungszusammenarbeit. „Es ist völlig richtig, dass Deutschland international eine Führungsrolle bei der globalen Bekämpfung der Corona-Pandemie einnehmen muss“, sagt der Abgeordnete aus Bochum im Gespräch mit TheEuropean. In der Beek hatte einen ähnlichen Ansatz bereits in diesem Portal entwickelt. Allerdings kritisiert der Abgeordnete die Forderung Müllers nach einer schlichten Erhöhung seines Etats. „Anstatt einfach immer nur mehr Geld zu fordern, muss der Minister glasklar darlegen, welche Mittel in seinem Etat tatsächlich umgeschichtet werden können“, fordert der Liberale. „Stattdessen lässt der Minister das Parlament weiterhin im Dunkeln darüber, was umgeschichtet werden kann und wo er kürzen will.“

FDP skeptisch gegenüber neuen internationalen Institutionen

Auch den Vorstoß des Ministers zur Einsetzung eines Weltkrisenrats sieht in der Beek skeptisch: „Natürlich brauchen wir internationale Koordinierungsmechanismen. Aber jetzt pauschal schon neue Organe zu fordern, ist verfrüht angesichts der Debatte über den Einfluss Chinas auf internationale Organisationen, die uns noch beschäftigen wird.“

Olaf in der Beek, FDP

Margarete Bause, menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen und stellvertretendes Mitglied im Entwicklungsausschuss, springt Müller immerhin in einem Punkt  zur Seite. "Die globale Pandemie und ihre verheerenden Folgen können wir nur in globaler Solidarität bewältigen", so Bause zu TheEuropean. Deswegen brauche es "dringend zusätzliche Gelder für die humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit. Es darf keine Umschichtungen oder Kürzungen bei bestehenden Programmen geben." Und dann folgt ein Zuspruch, der ein ganz klein wenig vergiftet ist: "Ich wünsche Minister Müller mehr Durchsetzungsvermögen für seine berechtigte Forderung als in den vergangenen Haushaltsberatungen."

[caption id="attachment_40371" align="alignnone" width="300"] Margarete Bause, Bündnis 90 / Die Grünen[/caption]

Grüne bezeichnen die Ideen als "unausgegoren"

Auf Müllers Forderung nach dem Weltkrisenrat reagiert die Diplom-Soziologin, die über die bayerische Landesliste 2017 in den Bundestag  kam, allerdings ausgesprochen zurückhaltend. "Internationales Krisenmanagement und multilaterales Vorgehen sind ist in der Tat in der aktuellen, weltweiten Corona-Pandemie wichtiger denn je", bestätigt Bause. Doch "leider lehrt die Erfahrung aus zahlreichen humanitären Krisen der vergangenen Jahre, dass wichtige Staaten, allen voran China und Russland, die Institutionen der Vereinten Nationen zu schwächen versuchen. Daher erscheint mir Minister Müllers Idee unausgegoren." Und auch in dieser Frage wartet die Grünen-Abgeordnete mit einer freundlichen Empfehlung an die große Koalition auf: "Aber nichts hindert die Bundesregierung daran, Deutschlands Rolle als derzeitiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat zu nutzen und sich für ein entschiedenes multilaterales Vorgehen stark zu machen."

Jenas Kommunalpolitiker waren wichtiger als die Vereinten Nationen

Dass der bisherige Umgang in der Welt mit Corona die Gründung neuer globaler Institutionen oder die Zuweisung weiterer Kompetenzen an multilaterale Gremien auf höchster Ebene nahelege, lässt sich bestreiten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat zu Beginn der Krise die Gefährlichkeit der damals noch auf China begrenzten Pandemie massiv unterschätzt – auch weil die dortigen Gesundheitsbürokraten frühzeitige Warnungen aus Taiwan ignorierten, erkennbar in dem Bestreben, Pekings international anerkannte Ein-China-Politik nicht zu verärgern. Und die Vereinten Nationen, auf die Müller setzt, haben mutmaßlich weniger zur Eindämmung von Covid-19 beigetragen als die Stadtverordneten von Jena, die erste Kommune in Deutschland, die eine Maskenpflicht beschloss. Müllers Überlegungen erinnern fast an den Traum von einer Weltregierung. Der ist älter als Immanuel Kant – doch gerade in der aktuellen Krise erweisen sich die kleinen Einheiten und vor allem die Nationalstaaten als entscheidende Akteure.

Müllers richtiger Ansatz – doch eines fehlt

Dabei hat Gerd Müller völlig recht mit seinem Appell, dass Europa und Deutschland insbesondere den benachbarten Afrikanern intensiv helfen müssen beim Kampf gegen Corona. Dabei geht es gar nicht nur um altruistische Motive, sondern um die Perspektive, dass ein afrikanisches Epizentrum mit möglicherweise Hunderttausenden oder gar Millionen von Infizierten und Toten den jetzt schon kaum zu bewältigenden Migrationsdruck Richtung Europa noch einmal massiv erhöhen würde. Aber gewaltige Euro-Summen werden auch für Europa und nicht zuletzt für Deutschland selbst aufzubringen sein.

Ein einfaches „Mehr, Mehr, Mehr“ für alle nationalen und internationalen Ausgabetöpfe wird darum der Gesamtsituation nicht gerecht. Gerd Müller wäre gut beraten, den Abgeordneten und vor allem den Steuerzahlern, die jeden einzelnen Euro aufbringen müssen, genau zu erklären, bei welchen anderen Ausgabepositionen er zu sparen gedenkt, wenn er mit guten Gründen immense Summen für ein Corona-Sofortprogramm fordert.

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