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Gesellschaft & Kultur > Nach der Russland-Klausur der SPD

Die Westbindung der SPD wackelt

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Wenn SPD-Altkanzler Gerhard Schröder dieser Tage von einem „Säbelrasseln der Ukraine“ faselt, mag das ja noch als Einzelmeinung eines Rubel-Raffkes durchgehen. Dass jedoch erhebliche Teile seiner Partei mit der Westbindung Deutschlands fremdeln, ist besorgniserregend. Von Ulrich Berls.

Klausur des SPD-Präsidiums, Quelle: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka
Klausur des SPD-Präsidiums, Quelle: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

Als die  Bundesregierung auf das Hilfsersuchen der Ukraine mit der Lieferung von 5000 Schutzhelmen antwortete, spöttelte die Süddeutsche Zeitung, ob denn als nächstes womöglich Lastenfahrräder geliefert würden. Die außen- und wehrpolitisch unbeleckte Sozialdemokratin Christine Lambrecht, die sich im Dezember völlig überraschend auf dem Stuhl der Verteidigungsministerin wiedergefunden hatte, sprach von einem „ganz deutlichen Signal“ Richtung Kiew – in der Tat! Was für eine Blamage, das einwohnerreichste und wirtschaftsstärkste Land der EU spendet 5000 Helme an einen Nachbarstaat, vor dessen Grenzen mehr als hunderttausend russische Soldaten aufmarschiert sind. Das alles ist nicht nur der Tapsigkeit einer neuen Regierung geschuldet, dahinter steht auch eine Ohne-Mich-Haltung und viel geopolitische Naivität.

Seit dem legendären Godesberger Parteitag der Sozialdemokraten vor mehr als 60 Jahren war die Westbindung der Bundesrepublik sakrosankt in der SPD. Kein Politiker verkörperte diese Grundhaltung so sehr wie Helmut Schmidt - das große Vorbild von Olaf Scholz. NATO-Skeptiker, Antiamerikaner und Neutralitäts-Träumer gab es auch nach Godesberg in der Partei, dominant waren sie lange nicht. Doch gilt das noch heute?

Viele Verbündete äußern nicht nur heftige Kritik an der deutschen Haltung in der Ukraine-Frage, sondern stellen die Verlässlichkeit der Deutschen ganz grundsätzlich in Frage.  Zur Wahrheit der Posse um die 5000 Helme gehört ja auch die Einsicht, dass die Bundeswehr gar nicht viel mehr hätte liefern können, denn unserer Armee mangelt es nicht nur an fahr-, flug- oder schießtauglichem Gerät, sondern auch an simpler Schutzausrüstung. Das Kaputtsparen der Bundeswehr ist kein Versäumnis der jungen Ampel-Koalition, sondern geht auf die 16 Jahre der Regierungszeit von Angela Merkel zurück. Auch das dreiste Anlügen unserer Bündnispartner, wir würden uns bemühen, zwei Prozent unseres Bruttosozialproduktes in die Verteidigung zu stecken, fällt in diese Ära. An drei der vier Regierungen Merkel war, am Rande sei’s bemerkt, übrigens die SPD maßgeblich beteiligt.

Nach der SPD-Klausur am 31. Januar schob Lars Klingbeil, einer der beiden Parteichefs, erneut alle Kritik am unentschlossenen Kurs seiner Partei von sich. Die SPD-Position sei völlig klar: Russland sei der Aggressor, eine mögliche Invasion in der Ukraine zöge einen hohen Preis nach sich, alle Optionen, außer Waffenlieferungen, lägen auf dem Tisch. Soweit die tagespolitische Rabulistik. Doch es spricht Bände, dass Bundeskanzler Scholz an dieser Klausur seiner Partei erst gar nicht teilgenommen hat. Er weiß, dass es nicht nur um die konkrete Haltung in der Ukraine-Krise, sondern um den generellen sicherheitspolitischen Kompass seiner Partei geht.

Ko-Parteivorsitzende Saskia Esken, Fraktionschef Rolf Mützenich und Generalsekretär Kevin Kühnert wanken beispielsweise. Sie sehen ganz grundsätzlich die „Nukleare Teilhabe“ und damit einen Wesenskern der deutschen NATO-Mitgliedschaft kritisch. Das sind keine Hinterbänkler der SPD, sondern Spitzenfunktionäre mit starkem Rückhalt in Partei und Fraktion. Selbst die Grünen, die immer noch starke pazifistische Wurzeln haben, wirken heute in Bündnis-Fragen einheitlicher als die SPD.

Nur 50 Tage nach Vereidigung der neuen Bundesregierung zeigt sich, wie geschickt, ja raffiniert das Wahlkampfmanagement der SPD vor der Bundestagswahl agiert hatte. Die SPD war weder die frische noch die geeinte Kraft, als die sie sich mit Erfolg inszenierte. Wenn Kanzler Scholz sich heute nicht nur in der Ukraine-Frage, sondern auch bei anderen Problemen ständig wegduckt, dann deshalb, weil er sich der Haltung seiner Partei oft nicht sicher sein kann.

Doch jetzt in der ersten außenpolitischen Krise seiner Kanzlerschaft muss er Farbe bekennen, jetzt ist seine Richtlinienkompetenz gefordert – selbst wenn er Altkanzler Schröder oder Northstream-Ministerpräsidentin Schwesig damit auf die Füße treten sollte. Ganz im Sinne des Nestors der deutschen Geschichts-Wissenschaft, Heinrich August Winkler, sollte er bedenken, dass der spezifisch deutsche Hang zu Sonderwegen eine lauernde Gefahr bleibt und um unsere Westbindung ständig neu gerungen werden muss.

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