Vier Gründe sprechen für Friedrich Merz
Die Woche der CDU-Entscheidung ist da. Die Basis beendet ihre Abstimmung über den neuen Vorsitzenden. Es bahnt sich ein Sieg von Friedrich Merz an - dafür gibt es vier Gründe. Einer davon hat mit dem neuen Tonfall der Milde zu tun. Von Wolfram Weimer.

Mit Spannung wartet die CDU auf das Ergebnis der Mitgliederbefragung. Bis Donnerstag 15 Uhr stimmen die 400.000 Mitglieder ab, am Freitag ist Bekanntgabe. Sondiert man innerhalb der Partei die Stimmung, so ergibt sich folgendes Bild: Friedrich Merz hat deutlichen Rückhalt in allen ostdeutschen Landesverbänden und eine Mehrheit in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen sowie Hamburg. Dazu stehen die Mittelständler, die Senioren, die Wertkonservativen und der Wirtschaftsflügel weitgehend hinter ihm.
Norbert Röttgen hat in Schleswig-Holstein und im Saarland Gefolgschaft, ebenso bei Teilen der Unions-Arbeitnehmerschaft und der Frauen-Union. Das schwindende Merkel-Netzwerk neigt Helge Braun zu. Die Junge Union sowie die Landesverbände Hessen und Nordrhein-Westfalen sind gespalten.
Summiert man die Stimmungslage, so geht Merz als Favorit in die Entscheidungswoche. Röttgen gilt als sein Hauptkonkurrent, Braun wird als klar abgeschlagen eingeschätzt. Viele Parteifunktionäre erwarten sogar, dass Merz mehr Stimmen bekommt als seine beiden Wettbewerber zusammen. Damit würde eine Stichwahl nicht mehr nötig werden.
Für die Stimmungslage gibt es vier Gründe:
Erstens sehnt sich die Union nach Führungskraft und Oppositionskompetenz. Gerade in der jetzigen CDU-Krise wird nach den typologischen Weichspülern wie AKK und Laschet eher eine gestandene Leitfigur mit Kanten gebraucht. Einer, der Opposition - und das heißt Konfrontation und Mut zu eigenem Profil - wirklich kann. Merz hat genau das bereits vor 20 Jahren als Fraktionsführer bewiesen und die Union nach einer ähnlichen Krise am Ende der Ära Kohl neu aufgestellt. Das klare Profil und die rhetorische Begabung von Merz haben gerade mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlkämpfe Vorteile für die Union. Von Merz erhoffen sich viele CDUler, dass er die Partei schnell wieder in Wettbewerbsform bringt, weil er als der tatkräftigste wie mutigste Kandidat unter den drei Bewerbern gilt. Sein eigenes Comeback wird wie eine Blaupause für das Comeback der Partei angesehen.
Zweitens geht es bei der Vorsitzendenwahl auch um eine Richtungsentscheidung. AKK und Laschet standen weitgehend für die Fortführung des (aus klassischer CDU-Sicht) eher nach links geneigten Merkelkurses. Merz hingegen verkörpert "CDU pur" - insbesondere in der Sicherheits-, Migrations- und Wirtschaftspolitik. "CDU pur" freilich wünschen sich viele Unionisten zurück. Mit ihrer Strategie, die CDU so weit nach links zu rücken, dass die SPD zeitweise raubkopiert und überflüssig wirkte, hat Angela Merkel sich zwar einen langen machtpolitischen Vorteil beschert. Die Union aber hat diese Strategie der Achs-Verschiebung mit einem erheblichen Substanzverlust in Mandaten, Mitgliedern, inhaltlichen Positionen bezahlt. Der Langfristtrend einer Auszehrung mit einer Serie schlechter Wahlergebnisse - bereits gipfelnd in der Europawahl 2019, bei der die CDU nur noch erschütternde 22,6 Prozent der Stimmen (plus 6,3 Prozent der CSU) erreichte. Von Merz wiederum erhoffen sich die CDUler, dass er viele Wähler, auch solche, die in den vergangenen Jahren an die AfD, die FDP und die Nichtwählerschaft verloren worden sind, zurückholen könne.
Drittens steht Merz für Wirtschaftskompetenz. Beim (für die CDU sehr wichtigen) deutschen Mittelstand und in der Industrie genießt er hohes Ansehen. Da durch die Pandemie die Konjunktur labil und die Inflation zurück ist, Millionen Arbeitsplätze durch den Wandel in der Autoindustrie und asiatischen Wettbewerb bedroht sind und Deutschland sich in der Digitalisierung schwer tut, wird die Sehnsucht nach einem CDU-Vorsitzenden wie weiland Ludwig Erhard groß. Die kommende Legislatur dürfte auch davon geprägt werden, ob die neue Ampelregierung Deutschlands Wettbewerbslage verbessern kann oder nicht. Die CDU wird eine Aufschwungperspektive entwickeln und verkörpern müssen. Und da hat eine Merz-CDU Vorteile vor Rot-Grün-Gelb, die ihre Stärken eher im Gesellschafts- und Klimapolitischen haben dürfte.
Viertens spürt man innerhalb der CDU einen Fairnessreflex gegenüber Friedrich Merz. Er ist seit Jahren der CDU-Spitzenpolitiker mit kontinuierlich hohe Zustimmungswerten im Bürgertum. Er lag bei Unions-Wählern zunächst klar vor Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn. In den Umfragen des letzten Jahres deklassierte Merz seinen Konkurrenten Armin Laschet regelrecht, obwohl der als Ministerpräsident des größten Bundeslandes und inmitten einer Pandemie die ganz große Bühne hatte. In beiden Fällen hat sich die CDU-Führung und der Merkel-Führungskreis aber gegen dieses Mehrheitsbild von Basis und Wählerschaft gestellt - mit verheerenden Folgen. Innerhalb der CDU gibt es daher eine weiträumige Stimmung, dass man diesen Kardinalfehler nun korrigieren müsse, schon um die Integrität von Partei und Wählerschaft wieder herzustellen. Es gehe um "kollektive Genugtuung".
Dabei hilft es Friedrich Merz, dass er im Jahr 2021 ein deutlich integrativeres Profil gezeigt hat. Er wirkt altersreif ausgeglichener. Selbst in der letztwöchigen Maischberger-Sendung trat er gegen Kevin Kühnert (in früheren Zeiten wären die verbalen Fetzen geflogen) beinahe väterlich konziliant auf. "Der neue Milde", unken einige in der CDU bereits. Tatsächlich sind die jüngsten Auftritte von präsidialer Freundlichkeit geprägt. Merz signalisiert damit der Partei, dass er keine Solo-Rolle sucht sondern auf Team und Breite der Partei setzt. Womöglich kann gerade er die Gräben zwischen den Flügeln besser schließen als ein weiterer Vorsitzender des Merkellagers. Die Berufung des früheren Berliner Sozialsenators Mario Czaja - eines ausgewiesenen Sozialpolitikers - zum Kandidaten für den Generalsekretärsposten ist in der Partei gut angekommen. Czaja hat gegen den Bundestrend den für die CDU extrem schwierigen Wahlkreis Berlin-Marzahn gewonnen, der seit 1990 durchgängig an die Linke gegangen war. Dem Doppel Merz/Czaja wird jedenfalls zugetraut, dass sie gegen Klingbeil/Kühnert punkten können.
Fazit: Die Partei sehnt sich nach Identität, Selbstbewusstsein, nach Profil und ihrem Wesenskern. Das verkörpert Friedrich Merz. Fragt man seine Anhänger, ob denn das Alter und der dritte Anlauf nicht ein Problem seien, geben sie einem zur Antwort: "Joe Biden ist auch erst im dritten Anlauf Präsident geworden. Und da war 78." So alt wird Merz erst im Jahr 2033.
Quelle: ntv.de