Plisch und Plum sind wieder da
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Während SPD und CDU noch ums Kanzleramt raufen, erkennen Lindner und Habeck die Gunst der Stunde. Miteinander entwaffnen sie die Volksparteien, zeichnen den Bauplan der neuen Republik und erinnern an ein altbekanntes Doppel. Von Wolfram Weimer.

Robert Habeck und Christian Lindner sind die politischen Gewinner der Wahlwoche. Während Scholz die rot-rot-grüne Option (die er allerdings ohnehin nicht ernsthaft wollte) als machtpolitisches Druckmittel abhandengekommen ist, Baerbock schwer versehrt (sie hat die historische Chance der Grünen verguttenbergt) und Laschet nahtodartig verletzt (trostloser können Kanzlerambitionen nicht sein) umher wanken, strotzen Lindner und Habeck nur so vor Kraft und Zielstrebigkeit. Das Vakuum des Volksparteienpatts nutzen sie zum selbstbewussten Griff nach der Macht.
Beide wissen, dass sie das Zentrum der neuen Regierung bilden werden und beide greifen beherzt zu. In ihrer Machtintelligenz sind sich beide so ähnlich, dass sie vorgehen, als hielten sie sich unsichtbar an der Hand. Sie wissen - sie werden nur miteinander die beiden Prägefiguren der grün-gelben Republik. Die beiden Parteien können SPD und CDU gewaltige Bedingungen stellen - und sich aussuchen, wer ihnen das bessere Angebot macht.
Indem Lindner und Habeck den üblichen Spieß der Koalitionsverhandlungen einfach umdrehen und erst einmal miteinander verhandeln, demonstrieren sie der Republik die Machtverschiebung 2021. Nicht mehr CDU oder SPD bestimmen die Spielregeln, sondern FDP und Grüne sagen an, wo es lang geht. Dieser erste Coup ist beiden schon gelungen. Habeck hat einen zweiten Handstreich - die Entmachtung von Annalena Baerbock - im Vorbeigehen erledigt. Er ist ab sofort die klare Nummer eins seiner Partei, er gibt die Strategie nun vor, nur er soll Vizekanzler werden. Lindner spricht in Pressekonferenzen schon gar nicht mehr von Baerbock, sondern nur noch von Habeck.
Habeck und Lindner - wie Schiller und Strauß
Lindner und Habeck duzen sich nicht bloß, sie verstehen sich wirklich. Obwohl beide aus politischen Gegenwelten kommen, sprechen sie die gleiche Sprache konzilianter Machtingenieure. Beide pflegen den Habitus einer Machtausübung aus sanfter Sympathie, beide sind politische Popstars ihrer Milieus und fühlen sich in diesen Rollen instinktiv nahe. Beide eint rhetorische Kraft und schiere Intelligenz. Beide haben einen kumpelhaften Modus miteinander, den man im Showbusiness von Schauspielern hinter dem Vorhang kennt. Vor allem aber wollen beide die Republik pragmatisch modernisieren und eine neue digital-nachhaltig-liberale Generation gerne auch verkörpern.
Damit weht ein Hauch von Strauß und Schiller durchs Land. Von Dezember 1966 bis Oktober 1969 regierten die einstigen Vollgegner Union und SPD zusammen. Im Kabinett von Kurt Georg Kiesinger (CDU) stachen die jungen Politstars, Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) und Finanzminister Franz Josef Strauß (CSU) heraus. Die beiden ungleichen Politiker suchten miteinander neue Wege in der Marktwirtschaft und erfanden die aktive Konjunkturpolitik. Sie verkörperten damit den Aufbruch zu neuen Ufern in der Wirtschaftspolitik. Strauß und Schiller wurden bald nach Wilhelm Buschs frechem Hundepaar "Plisch und Plum" genannt.
Mit Lindner und Habeck bekommt Deutschland nun eine Neuauflage von "Plisch und Plum". Beide werden sich um den Begriff der "Modernisierung" ein Programm der Erneuerung bauen und beide werden, wie weiland Strauß und Schiller - den Kanzler dabei alt aussehen lassen. Seinerzeit war Kiesinger der schwache Kanzler, heute werden Scholz oder Laschet keine rechte Kanzlerstärke gewinnen können - weil sie jeweils schwache Ergebnisse erreicht haben, weil sie jeweils heikle Parteifreunde hinter sich wissen, weil sie erstmals eine Dreierkonstellation führen müssen. Vor allem aber werden Scholz oder Laschet es mit Plisch und Plum zu tun haben - den beiden Publikumslieblingen, die ihre Macht schon vor der Regierungsbildung offensiv demonstrieren.
Habeck und Lindner werden die eigentlichen Architekten einer neuen Bundesregierung. Sie leuchten. Neben ihnen wird jeder Kanzler wie ein farbloser Bauherr wirken. Zwei Risiken allerdings lauern auf Plisch und Plum 2021. Zum einen die latente Konkurrenz, die einer Zweckallianz zweier Stars innewohnt. Wilhelm Busch schrieb dazu: "Jeder möchte vorne stehen, um entzückt hinauf zu spähen. Hat sich Plisch hervorgedrängt, fühlt der Plum sich tief gekränkt. Drängt nach vorne sich der Plum, nimmt der Plisch die Sache krumm." Zum anderen die Frage, wer Finanzminister wird und wie man in der Finanzpolitik kluge Kompromisse findet. Als hätte es Busch geahnt: "Der Gedanke macht ihn blass. Wenn er fragt: Was kostet das?"
Quelle: ntv.de