Die Digitalisierung kommt voran
Mit der Angst vor dem Virus ist der Weg zu PayPal, ApplePay, Paydirekt und Co für viele Menschen plötzlich eine Option. Nicht nur die Schnelligkeit des Bezahlens ist also ein wichtiges Argument, sondern ebenso die sichere und infektionsfreie Transaktion.

Selbstverständlich gibt es für Neuerungen, und das Internet wurde ja tatsächlich noch vor kurzem als „Neuland“ bezeichnet, immer ausreichend Gründe, sich an Bewährtes zu halten. Doch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie ist sowohl im Privaten wie im Beruflichen zu erkennen, dass nun endlich der Wille besteht (oder dem Zwang gefolgt wird), digitale Medien und Tools verstärkt einzusetzen und dies nicht auf die Nutzung von eMail oder WhatsApp zu reduzieren.
Innerhalb von zwei Wochen passierte das in Deutschland, was in den letzten 10 Jahren nur sehr verhalten funktioniert hat. Unzählige Restaurants und sogar Eisdielen haben sich besonnen, Lieferservice und Online-Bestellungen anzubieten. Und der Kunde reagiert, bestellt im Netz und die Gastronomen schaffen sich einen Absatzkanal, der zunächst den Ausfall im analogen Geschäft kompensieren und nach der Krise als zusätzliche Verkaufsplattform bestehen bleiben dürfte. Die Akzeptanz für Lieferservices steigt und der Beweis, dass es funktioniert, wird prompt mitgeliefert. Nicht nur bei Amazon, die angekündigt haben, weltweit weitere 100.000 Mitarbeiter einzustellen.
Und die Bezahlung? Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) hat jüngst das bargeldlose und noch besser kontaktlose Bezahlen empfohlen. Bis dato war das gerade in Deutschland ein schwerfälliges Thema. Aber mit der Angst vor dem Virus ist der Weg zu PayPal, ApplePay, Paydirekt und Co für viele Menschen plötzlich eine Option. Nicht nur die Schnelligkeit des Bezahlens ist also ein wichtiges Argument, sondern ebenso die sichere und infektionsfreie Transaktion. Eine Erfahrung vom Beginn des Online Banking dürfte sich dabei wiederholen: Sämtliche Befürchtungen, dass der damals neue Weg des Banking komplett unsicher sei und Missbrauch massiv fördern würde, haben sich im Laufe der Jahre nicht bestätigt. So wird es auch mit dem digitalen Bezahlen sein. Die Niederländer oder auch Skandinavier machen es uns schon seit einiger Zeit vor. Zeigen wird sich diese Relevanz vielleicht auch in den Aktienkursen derjenigen (internationalen) Firmen, die digitales Bezahlen ermöglichen.
Aber treiben Corona und die damit einhergehende Abstinenz vom herkömmlichen Verhalten auch geschäftlich die Digitalisierung nach vorne?
Im professionellen Umfeld ist in den letzten Jahren verstärkt das Thema der neuen Arbeitswelten in Diskussion. Dazu zählen nicht nur der hierarchiefreie Umgang untereinander, agile Arbeitsmethoden mit schnelleren Arbeitsergebnissen und hoher Gruppendynamik, sondern auch die Wahl des Arbeitsplatzes samt der Option, aus dem Home Office heraus zu agieren. Selbstverständlich funktioniert eine Heimarbeitsplatz-Regelung längst nicht für alle Berufsgruppen. Rund zwei Drittel aller Beschäftigten müssen vor Ort präsent sein – womit ein Telearbeitsplatz aber für rund ein Drittel in Frage kommt. Keine kleine Gruppe! Die Erfahrungen aus den letzten Wochen zeigen, dass die virtuelle Zusammenarbeit zwar einige Tücken hat, nach Eingewöhnung und diversen Versuchen aber fast reibungslos funktioniert. Ob Team-Besprechung, Vorstandssitzung oder Abstimmungen mit Geschäftspartnern und Kunden, nach Festlegung der virtuellen Zusammenarbeitsregeln gibt es dabei keine Probleme mehr.
Dazu ist ein Produktivitätsrückgang überraschenderweise nicht wirklich auszumachen. Fast im Gegenteil: Die Mitarbeitenden können konzentrierter an einem Thema arbeiten, werden nicht ständig im Büro unterbrochen und tauschen sich in Online-Terminen wesentlich fokussierter aus. Hinzu kommt, dass spielende Kinder als Hintergrund im Video-Call oder Poloshirt statt Anzug mit Krawatte viel akzeptierter sind als noch vor ein paar Wochen. Denn viele sitzen im gleichen Boot und können die Herausforderungen im häuslichen Umfeld mehr als verstehen. Ein schöner Seiteneffekt: Das Gegenüber wird menschlicher und dadurch nahbarer, auch im weiteren Zusammenarbeiten. Warum also komplett zurückdrehen, was funktioniert?!
Hinzu kommt aber die für viele Firmen komplett neue Herausforderung des virtuellen und digitalen Führens. Wie steuert eine Führungskraft Mitarbeitende, ohne die persönliche Ansprache in persona machen zu können? Wie erfolgen Kontrolle und Motivation zur Mitarbeit? Und wie organisieren und konditionieren sich Mitarbeitende selbst zu Hause? Es zeigt sich ganz klar, dass unabhängig von der Digitalisierung, genau diese virtuelle Arbeitsorganisation über Erfolg und Produktivität maßgeblich entscheidet. Neben diversen Tipps und technischen Tricks für das Home Office ist in dieser Phase die Betreuung und Ausbildung der Führungskräfte, nicht nur durch einmalige Kurzseminare, wichtig. Diese Form der Weiterbildung wird an Bedeutung gewinnen.
Dass diese Weiterbildungen ebenfalls digital erfolgen können, liegt auf der Hand. In der Vergangenheit gab es schon Webinare, die Akzeptanz indes war verhalten. Das hat sich aktuell gewandelt und wird sich auch in der kommenden Zeit weiterentwickeln, nicht nur aber auch wegen flexiblerer Zeitplanung (kürzere, dafür mehrere Weiterbildungsformate) und Einsparung von Reisekosten.
Im gleichen Atemzug werden auch vermehrt Vorstellungsgespräche online abgewickelt. Akzeptiert ist dieses Vorgehen schon längst bei Start-Ups. Große Unternehmen tun sich damit schwerer, allerdings gibt es gute Beispiele: BASF hat erst kürzlich eine große Online-Kampagne für virtuelle Gespräche gestartet. Auch einige Dienstleistungsunternehmen sind, mindestens für Erstgespräche, schon auf digitale Video-Bewerbungsgespräche umgestiegen. Neben der Kostenersparnis ist vor allem das Argument der schnelleren Terminfindung ohne Reiseorganisation wesentlich – und derartige Faktoren werden die gegenwärtige Krise überdauern.
Soziales Miteinander muss selbstverständlich auch auf digitalen Medien gefördert werden. Während der Corona-Home-Office Zeiten reicht es nicht aus, eMails zu schreiben oder ab und an zu telefonieren. Sehr gute Erfahrungen gibt es mit einem täglichen, beispielsweise 15-minütigen „Stand-up Video-Call“ zu Beginn des Tages. Alle Mitarbeiter eines Bereiches schalten sich per Video-Konferenz mit Bild zusammen und tauschen sich zu Allgemeinem (der tägliche „Kaffeeplausch“) sowie zu aktuellen Themen des Tages aus, etwa Projekte, Akquise, Themenentwicklungen, neue Mitarbeiter etc. Interessanterweise sehen viele KollegInnen so wesentlich öfter ihre Führungskräfte und bekommen tatsächlich viel mehr von den Firmenentwicklungen mit als im eigentlichen Firmenbüro. Selbst nach der Corona-Krise ist auch dieses ein digitales Format, das in vielen Firmen beibehalten werden sollte – allerdings nur, wenn die Chefs mit gutem Beispiel vorangehen und als erste die Kamera bei einer Videokonferenz einschalten!
Virtueller Vertrieb in beratungsintensiven Bereichen ist dagegen eher schwierig. Gilt doch das persönliche Miteinander im Vertriebsgespräch als Gradmesser, ob Vertrauen aufgebaut werden kann. Es zeigt sich aber, dass es vor allem darum geht, den ersten Termin zum Kennenlernen auf ein persönliches Treffen auszurichten. Weitere Abstimmungen und Gespräche, etwa Regel-Jour-Fixe, können problemlos digital erledigt werden, insbesondere wenn die Reisedauer die eigentliche Termindauer um ein Wesentliches überschreitet.
Auch zeigt sich, dass sich nicht die Technologie verändert. Er ist vielmehr die Akzeptanz gegenüber digitalen Medien und Formaten, die momentan mangels Alternativen ausgetestet werden müssen und alleine dadurch eine lange Zeit des Ablehnens überspringen. Dabei offenbart sich auch die Notwendigkeit der technischen Ausstattung bzw. die Erkenntnis des Mangels daran. Dazu zählen zum einen die fehlenden Breitbandanschlüsse in Unternehmen und wirklich flächendeckender Funkempfang. Zum anderen aber auch die Ausstattung mit mobilen Arbeitsgeräten (Laptop, Mobiltelefon) sowie Zugänge über VPNs (Virtual Private Networks) zu sensiblen Datenbereichen. Diese sind längst kein Standard in deutschen Firmen, weder in Konzernen, vor allem nicht im Mittelstand und noch weniger im öffentlichen Sektor.
Hier bedarf es der grundsätzlichen Akzeptanz, digitale Kommunikation und Prozesse vollumfänglich zu akzeptieren. Ein Kontrabeispiel dazu ist das deutsche Schulsystem und die fehlende Möglichkeit, digitale Lernmethoden und virtuelles Unterrichten einheitlich anzubieten. Für ein innovatives Land und eine Schüler-Generation, die komplett digital aufwächst, ein nicht hinzunehmender Zustand! Ministerien oder Behörden schaffen es aktuell nicht einmal, Corona Krisenstäbe virtuell arbeiten zu lassen, weil weder ausreichend Laptops samt benötigter Software für die Mitarbeitenden vorhanden sind noch die Mitarbeitenden Anweisungen haben, wie damit umzugehen wäre. Beides muss zukünftig eine Selbstverständlichkeit und darf kein „Neuland“ mehr sein.
Eine weitere Herausforderung ist die Wahl des technischen Werkzeugs. Skype for Business, Microsoft TEAMS oder WebEx, wie auch neuere Dienste wie GoToMeeting oder das vor allem im Start-Up-Umfeld genutzten zoom bieten allesamt Lösungen für den virtuellen Austausch. Allerdings nicht immer datenschutzkonform (zoom erhielt in den USA Klagen wegen ihrer Datenschutzpraxis) und technisch nicht in jedem Firmennetzwerk aufgrund der individuellen Sicherheitsbeschränkungen einsetzbar. Ein einheitliches Standard-Tool, das übergreifend nutzbar ist, existiert nicht. Dafür müssen Unternehmen und Verbände einen interoperablen Standard vereinbaren.
Paradox ist auf der anderen Seite, dass viele Start-Ups, die stark auf digitale Geschäftsmodelle setzen, die aktuelle Krise nicht überleben werden. Allerdings liegt das eher an der fehlenden Liquidität und der Vorsicht der Investoren und Geldgeber/Banken und nicht an mangelnder Umsetzungsfähigkeit des eigenen Modells. Schade, denn genau diese teils disruptiven Lösungen braucht eine Industrie in diesen Zeiten.
Digitalisiert sich also alles durch Corona? Nein, nicht alles. Etliches wird irgendwann wieder analog vonstatten gehen. Aber die Erfahrung, dass digitale Arbeitsweisen funktionieren, günstiger sind und viel Zeit sparen, wird in den Köpfen verbleiben. Budget- und Führungsverantwortliche werden sich nicht nur aus ökonomischen Erwägungen, sondern auch im Sinne der Arbeitszufriedenheit darüber Gedanken machen müssen, um nicht wieder zurück in eine Zeit zu fallen, in der das Internet noch als „Neuland“ galt.