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Gesellschaft & Kultur > Krieg in der Ukraine

Kein Blutgeld mehr für Putins Krieg

„Wir müssen dafür sorgen, dass dieser Krieg bald zu Ende kommt“ hat Bundeskanzler Olaf Scholz am 2. April 2022 erklärt. Wenn er das ernst gemeint hat, müsste er Wolfgang Schäuble folgen, der wenige Tage zuvor gefordert hat: „Wenn es auch nur eine kleine Chance gibt, dass dies Russlands Krieg gegen die Ukraine früher beendet, muss der Importstopp sofort kommen.“ Denn Deutschland ist der größte Unterstützer für Wladimir Putins mörderischen Krieg. Von Rudolf Hanisch

Sanktionen sollen Russland bremsen – ist aber ausgerechnet Deutschand ein Leck? (Foto: Shutterstock)
Sanktionen sollen Russland bremsen – ist aber ausgerechnet Deutschand ein Leck? (Foto: Shutterstock)

Jeden Tag zahlen deutsche Firmen für russische Öl- und Gaslieferungen 200 Millionen Euro. Damit füllt Putin seine Kriegskasse wieder auf, nachdem er seine militärische Aufrüstung seit der Annexion der Krim bereits mit 170 Milliarden Euro aus Deutschland finanzieren konnte. Doch ein sofortiges Embargo lehnt die Bundesregierung trotz Kriegsverbrechen und Völkermord in der Ukraine bisher kategorisch ab.

Imperialismus mit Ansage

Putin hat seine imperiale Politik lange angekündigt. Schon 1999 hat er Russlands Rohstoffwirtschaft als „die Grundlage für die Verteidigungsmacht des Landes“ bezeichnet und als „wichtigste Ressource, um Russland in relativ naher Zukunft zur führenden wirtschaftlichen Großmacht zu machen“. 2005 hat er den Zerfall der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ beklagt. Mit seiner Brandrede bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 hat er den USA das Streben zu „monopolarer Weltherrschaft“ unterstellt: sie hätten „ihre Grenzen in fast allen Bereichen überschritten“. Die Nato warnte er vor „ungezügelter Militäranwendung“. Nordatlantik-Allianz und Europäische Union würden anderen Ländern ihren Willen aufzwingen und auf Gewalt setzen, so Putin. Die Nato-Osterweiterung kritisierte er massiv. Seither verfolgt er immer gewaltsamer das Ziel, seine Macht innen- und außenpolitisch auszuweiten.

Inzwischen hat der ehemalige KGB-Chef Russland zu einem totalitären Staat gemacht, in dem es keine Meinungs- und Demonstrationsfreiheit mehr gibt, unabhängige Medien verboten sind und jede Opposition unterdrückt wird. Kritiker wurden vergiftet und weggesperrt wie Alexei Nawalny oder umgebracht wie Anna Politkowskaja, Alexander Litwinenko, Sergej Magnitski und Boris Nemzow. Selbst in London und Berlin gab es staatliche Auftragsmorde.  Durch einseitige Konzentration seiner Politik auf Bodenschätze und Militär hat er es versäumt, die Wirtschaft seines Landes zu modernisieren. Lag Russlands Bruttoinlandsprodukt in den 90er Jahren noch gleichauf mit China, haben die Chinesen ihre Wirtschaftskraft bis heute um das 35-fache gesteigert, die Russen nur um das 3,7-fache.

Putin hat kontinuierlich daran gearbeitet, wieder ein russisches Großreich in den Grenzen der Sowjetunion zu schaffen. Seit 1999 hat er zehn Jahre lang einen brutalen Krieg gegen Tschetschenien geführt. 2008 ließ er seine Truppen in Georgien einmarschieren. Abchasien und Süd-Ossetien wurden abgetrennt. 2014 hat er die Krim völkerrechtswidrig annektiert und seither die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk militärisch unterstützt. In Syrien hat er 2015 die Gräueltaten erprobt, die er jetzt in der Ukraine ausübt. Die Autokraten von Belarus und Kasachstan hat er stärker an sich gebunden. Am 22. Februar 2022 hat er die abtrünnigen Gebiete im Osten der Ukraine als unabhängige Staaten anerkannt. Zwei Tage später ist er in die Ukraine einmarschiert. Die nächste Bedrohung gilt Moldawien. Im Landesteil Transnistrien stehen seit dem Zerfall der Sowjetunion russische Soldaten. Die baltischen Staaten sind wegen ihrer großen russischen Minderheiten gefährdet. Letztlich geht es Putin um eine neue Machtarchitektur in Europa unter russischer Führung. In der Rede zur historischen und politischen Rechtfertigung seines Einmarsches in die Ukraine hat er gefordert, die Nato solle sich aus den Nachbarländern Russlands zurückziehen, also aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Finnland und Schweden sollen der Nato nicht beitreten dürfen.

Alle haben es gewusst

Diese Entwicklung war bekannt, auch die Warnungen der USA und die Sicherheitsbedenken der Balten, Polen und Ukrainer. Dennoch hat sich Deutschland auch nach der Annexion der Krim weiter von russischer Energie abhängig gemacht. Nach dem vorzeitigen Ausstieg aus der Kernenergie seit 2011 wurde Nordstream 1 in Betrieb genommen, Nordstream 2 fertiggestellt, ein Viertel der deutschen Gasspeicher auf Gazprom übertragen. Nahezu die gesamte politische Klasse Deutschlands setzte unter den Kanzlern Schröder, Merkel und Scholz unbeirrt auf die russische Karte und sprach von privatwirtschaftlichen Geschäften, als ob es keine staatliche Verantwortung für eine gesicherte Energieversorgung von Industrie und Haushalten gäbe. Die Lehren aus der Ölkrise von 1973, Bezugsquellen auf höchstens 30 Prozent zu diversifizieren und Mindestreserven zu bilden, wurden missachtet.

Schon 2005, als Gerhard Schröder und Wladimir Putin den Bau der ersten Doppelröhre vereinbart hatten, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung empfohlen, besser ein Terminal für Flüssiggas zu bauen. Auch die Hanns-Seidel-Stiftung sah die Energieversorgung als sicherheitspolitische Herausforderung. Sie warnte 2007 vor einer energiepolitischen Abhängigkeit und Verwundbarkeit Deutschlands und forderte, den von Kanzler Schröder eingeschlagenen Sonderweg der Energiepartnerschaft mit Russland zu verlassen. Nach der Annexion der Krim wurde auch in Teilen der Politik die Gefahr des russischen Imperialismus klar benannt. Norbert Röttgen stellte damals fest: „Es geht um die europäische Friedensordnung, die von Putin verletzt wird. Es geht darum, den hegemonialen Machtanspruch, den Putin erhebt, zurückzuweisen. Es geht um Frieden, Sicherheit und Freiheit in Europa.“

Und Friedrich Merz nannte Putins Verbrechen im Syrienkrieg beim Namen: „Dieser Mann und seine Armee bombardieren Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, Altenheime. Mit eine der wesentlichen Fluchtursachen, die Probleme, die wir da jetzt in Griechenland haben, sind Probleme, die ganz wesentlich mit ausgelöst worden sind durch diese barbarischen Kriegsakte der russischen Armee, die Putin zu verantworten hat.“ Genau diese barbarischen Akte setzt Putin jetzt in der Ukraine fort, unter dem Schutzschild seiner Drohung, Atomwaffen bei einem Eingriff der Nato einzusetzen. Seine Blutspur führt von Grosny über Aleppo nach Mariupol. Wieder sind über zehn Millionen Menschen auf der Flucht.

Doch der Mainstream der deutschen Politik bemühte sich, die Abhängigkeit von Putins Russland mit unterschiedlichen Narrativen zu verharmlosen und zu rechtfertigen: Die einen wiesen auf die historische Verantwortung Deutschlands gegenüber Russland hin. Diese Verantwortung besteht aber auch gegenüber Polen, das am 1. September 1939 von Deutschland überfallen wurde. Die Bilanz: sechs Millionen tote Polen. Die im Russlandfeldzug als erstes überrollte Ukraine verlor im Zweiten Weltkrieg ein Viertel ihrer Bevölkerung. Die Bilanz: acht Millionen tote Ukrainer. Die baltischen Länder wurden durch den Hitler-Stalin-Pakt den Sowjets überlassen, die sie in die UdSSR eingliederten und Russen ansiedelten. Seit 2008 gilt die russische Doktrin, überall dort eingreifen zu dürfen, wo russischsprachige Menschen leben. Andere vertrauten auf den Mythos des Wandels durch Handel. Die Regeln der Ökonomie, so die Idee, beförderten weltweit Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Wenn dieses Prinzip je funktioniert haben sollte, dann allenfalls umgekehrt. Nicht nur Russland, auch China mit seiner Wirtschaftsmacht führt gerade die westlichen Demokratien vor. Wieder andere stellten schlicht und einfach darauf ab, dass russisches Gas billiger war als andere Quellen. Das ist die neoliberale Sicht des homo oeconomicus, für den lediglich der höchstmögliche Profit maßgebend ist, nicht aber die damit verbundenen Kollateralschäden.

Die Bestie darf nicht mehr gefüttert werden

Umso weniger ist verständlich, dass die Bundesregierung noch immer an Gaslieferungen aus Russland festhält. Seit Kriegsbeginn sind 1,5 Milliarden Euro an den Aggressor geflossen, die Opfer wurden zunächst nur mit 5 000 Helmen bedacht. Ein Embargo muss offenbar warten, bis Putin selbst den Gashahn zudreht oder sein Krieg noch grausamer wird: etwa durch Einsatz von atomaren, biologischen oder chemischen Waffen. Reicht nicht das jüngste Massaker an Zivilisten in Butscha?

Die Bundesregierung beruft sich auf die Sorge vor einer schweren Wirtschaftskrise, hoher Arbeitslosigkeit und möglichen sozialen Spannungen. Ausgerechnet der BASF-Konzern, der 2015 alle seine Gasspeicher an Gazprom verkauft hat, droht heute mit Horrorszenarien. Doch Angstmache, Drohungen und Krokodilstränen ersetzen keine verantwortungsvolle Politik. Eine Rezession, die den Frieden sichert, ist allemal besser als eine, die aus einem langen Krieg resultiert.

Ein kurzfristiger Lieferstopp von russischem Gas wäre verkraftbar, so die Nationale Akademie der Wissenschaften  Leopoldina und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Wie in der Pandemie könnte eine Bazooka mit Kurzarbeitergeld und Finanzhilfen für gefährdete Unternehmen die größten Nachteile abwenden. In der Finanzkrise nahm die Politik eine Staatsverschuldung von 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Kauf, um Geld der Banken zu schützen, heute geht es um den Schutz von Menschenleben vor Kriegsverbrechen und Völkermord und um unsere Sicherheit. Wer jetzt ein Embargo nur wegen eines überwindbaren Wirtschaftseinbruchs ablehnt und nicht als Chance sieht, Frieden und Freiheit in Europa wieder zu sichern, macht sich zum Komplizen von Wladimir Putin. Wenn wir nicht bereit sind, substanzielle Opfer für unsere vielbeschworenen demokratischen Werte zu bringen und die Bestie weiterhin mit Blutgeld füttern, wird Putin seinen Kreuzzug gegen den Westen unbeirrt fortsetzen. Wie sagte doch der Kanzler am 2. April 2022: „Wir müssen dafür sorgen, dass dieser Krieg bald zu Ende kommt.“ Dann muss er jetzt handeln.

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