Ökozid - Klimawandel-Drama in der ARD
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In der vergangenen Woche gab es Abwechslung und Ablenkung von Corona. Die ARD setzte nämlich ihre alljährliche Themenwoche unter dem Motto „Wie wollen wir leben?“ in Szene. Ganz vorne auf der Agenda: Der Klimawandel. Berechtigterweise. Denn dieses Thema wird uns auch noch lange nach Corona beschäftigen. Unter anderem saß in einem Spielfilm Deutschland und seine Kanzlerin vor einem Tribunal als Klimaverbrecher. Auch stellte die ARD ernsthaft die Frage „Kinder kriegen oder Ressourcen schonen - Wie entscheiden Sie sich?“. Und natürlich durfte auch die Forderung nach dem Überwinden des kapitalistischen Systems nicht fehlen und das allgemeine Verdammen des „Wachstums“ als Grund allen Übels. Wir kennen das schon: Von Fridays for Future, Extinction Rebellion, Attac und vielen anderen Bewegungen und Parteien. Sie alle - und nun auch die ARD - zeigen damit zwei Dinge. Sie wissen offenbar nicht, was Wachstum eigentlich bedeutet. Und sie zelebrieren eine Läuterungsagenda gegenüber dem Rest der Welt. Von Andreas Mohring.

Die Frage ist dabei nur: Braucht die Welt diese deutsche Läuterung. Hilft sie irgendwem auf der Welt, ein besseres Leben zu erreichen. Oder befriedigt sie in erster Linie nur das Gefühl, etwas tun zu müssen, von Teilen der Wohlstandsgesellschaft in Westeuropa und Deutschland. Das Muster an sich ist nicht neu. „Am deutschen Wesen, soll die Welt genesen“ war schon vor Generationen die politischen Agenda sendungsbewusster deutscher Politiker und Aktivisten. Solche historischen Muster und Prägungen sind stärker, als viele gerne wahrhaben wollen. Sie tauchen trotzdem als Motiv immer wieder auf, nur in Variationen und wandelnder Intonierung. Der aktuelle Ton lautet: Wir klagen uns selber an, wenn’s schon sonst keiner tut. Und wir verzichten sogar auf unser Liebstes, selbst wenn es moralisch fragwürdig ist und niemandem konkret nützt. Beispiele dafür? Im Spielfilm „Ökozid“ sitzt Angela Merkel im Jahr 2034 vor einem internationalen Tribunal, angeklagt von Staaten der sogenannten Dritten Welt, vor allem aus Afrika. Sie soll sich für den Klimawandel verantworten, der von Deutschland mit verschuldet sei. Wenn der Film auch fairerweise die Rolle der USA, Russlands, Chinas und vieler anderer Staaten erwähnt, passt er doch perfekt ins Narrativ der Läuterung. Der Titel „Ökozid“ weckt gerade in Deutschland unwillkürlich Assoziationen zum Genozid und zieht damit unterschwellig eine Linie von den Verbrechen des Dritten Reiches zu den „Klimaverbrechen“ des 21. Jahrhunderts. Leider wird ausgeblendet, dass gerade in Afrika die Metropolregionen liegen, die von heute an bis zum Ende des Jahrhunderts das größte Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum aufweisen werden. Mit allen Folgen für Umwelt und Klima. Mit Blick in die Zukunft, die anders als die Vergangenheit verändert werden kann, müsste eine „Anklage“ eigentlich genau anders herum laufen. Aber das passt im wahrsten Sinne des Wortes nicht ins gewünschte Bild.
Opfern, um zu besänftigen
Viel besser passt da schon die Frage, ob die Deutschen nicht lieber auf Kinder verzichten sollten, um Ressourcen zu sparen. Auch dahinter stehen das Läuterungsideal und eine geradezu lebensverachtende Wachstumskritik. Insinuiert wird mit der Fragestellung, ob es nicht notwendig sei, auf Menschenleben zu verzichten, um mit diesem Opfer Buße zu tun für die Sünden der Vergangenheit. Hier taucht ebenfalls ein uraltes Motiv im neuen Kontext wieder auf. Leben muss geopfert werden, um ein übermenschliches und universelles Etwas wieder in einen ausgeglichenen und sanften Zustand zu bringen. Erst waren dies die Elemente in Form von Göttern, dann der monotheistische Gott und jetzt „das Klima“ oder „die Welt“. Nur wenn die Entscheidung höchst schmerzlich und die Wahl eigentlich unmöglich ist, ist ein guter Ablass zu erwarten. Ob dieser Ablass überhaupt etwas wert ist, weil er zur Problemlösung beiträgt, ist da zweitrangig. Kritische Fragen und Anmerkungen, gerade aus wissenschaftlicher Sicht, die ja sonst gerne als ganz besonders wichtig angeführt wird, sind da natürlich fehl am Platze.
Zum Beispiel, wenn es um den Kern des Verzichts- und Läuterungsideals geht: Das Wachstum. Denn genau dieses sei ja letztlich an allem Schuld. Es privilegiere die kleine Elite der Europäer und zerstöre den Rest der Welt. Wie die klassische Sünde, die einem selbst große Freude und Nutzen bereitet, aber das Gemeinwesen zerstört und deshalb geläutert werden muss. Ausgeblendet wird dabei, dass dieses Wachstum und der daraus entstandene Wohlstand über viele Generationen und mit viel Elend, Leid und Tod erkämpft worden ist. Es st nicht einfach zum Spaß mal eben so da gewesen, wie es beispielsweise Protagonisten von Fridays for Future gerne darstellen (Louisa Neubauer: „Wir haben hier über Generationen Party gemacht“). Ein Blick auf Bilder schuftender Arbeiter in der Industrie, auf die Elendsviertel und darin auf ausgemergelte und verdreckte Kinder ohne Kindheit im 18. und im 19. und auch noch im 20. Jahrhundert zeigt schon allein, dass hier in Deutschland und Europa ganz bestimmt keine allgemeine Party gefeiert wurde, für die wir uns jetzt gefälligst schämen und zahlen sollen. Wachstum ist keine lustige Feier oder ein selbstsüchtiges Vergnügen. Es ist harte Arbeit, Last, Schweiß und Tränen (vor allem psychische Belastungen sind der Preis des Wachstums in der postindustriellen Gesellschaft). Vor allem für die nächste Generation, auf die wir als Menschen eben nicht verzichten oder sie gar opfern wollen, sondern für die wir im Sinne des Wortes vorsorgen wollen.
Eine wissenschaftliche Definition von Wachstum
Genauso wichtig und entscheidend ist die klare und wissenschaftliche Definition: Wachstum bedeutet die Steigerung des Wertes der bereit gestellten Waren und Dienstleistungen. Wachstum bedeutet eben nicht immer mehr Masse, mehr Stückzahlen, mehr Leistung. Die Wertschöpfung kann auch ohne einen Mehrverbrauch an Ressourcen zunehmen. Durch zusätzliche Dienstleistungen, durch bessere Qualität, durch andere Prozesse und Verfahren. Sogar ein geringerer Verbrauch oder das Schonen von Ressourcen kann Wachstum bedeuten, wenn dies zu einer Wertsteigerung ausgedrückt in am Markt gezahlten Preisen führt. Das ist sicherlich nicht automatisch der Fall. In Industriegesellschaften ist das mit den momentanen Methoden nur sehr schwer oder auch gar nicht zu erreichen. Hinzu kommen noch sogenannte Rebound Effekte, dass das, was an einer Stelle eingespart wird, an andere Stelle mehr verbraucht wird. Genauso wenig ist Wachstum aber eben per se und immer und automatisch schädlich und schlecht. Und genau deswegen bringen uns Anworten auf die Frage „Wie wollen wir leben?“, kein Stück näher an eine Lösung, wenn sie immer wieder nur lauten „Wir dürfen nicht mehr wachsen“, „Wir müssen über uns richten und uns durch Strafe läutern“ oder „Wir müssen bereit sein, auch die schmerzhaftesten Opfer zu bringen“.
Die bequeme Lösung: Die anderen
Das reicht für eine Themenwoche im Jahr und ein scheinbar gutes Gewissen durch Autosuggestion und verbale Selbstkasteiung. Für mehr nicht. Es reicht nicht für den Planeten, es reicht nicht für die Zukunft, es reicht schon gar nicht für die immer größer werdende Zahl an Menschen, die ein Recht auf ein würdiges Leben haben (…übrigens Paragraf 1 unserer Verfassung und universeller Grundwert Europas). Wer wirklich etwas für den Planeten, die Zukunft und ein würdevolles Leben tun will, der muss sich die Frage stellen „Wie erreichen wir nachhaltiges Wachstum bei stetig sinkendem oder netto ohne Ressourcenverbrauch?“ Wir Menschen in einer „infantilisierten Gesellschaft“ (Alexander Kissler) und mit einer geradezu unglaublichen und bisher ungebrochenen Wohlstandserfahrung seit Geburt sind natürlich sehr bequem. Deswegen kommt uns der Weg der zumindest verbal zelebrierten Buße und der Läuterung - der anderen natürlich - gerade recht. Für den „Ökozid“ sitzt Frau Merkel vor dem Tribunal, der deutsche Staat soll zahlen, wir als bequeme und verwöhnte Konsumenten haben damit natürlich überhaupt nichts zu tun… Unsere potenziellen Kinder sollen im Zweifel auf ihr Leben verzichten müssen, wir sind ja nun schonmal hier - aber das macht uns natürlich sehr betroffen. Es ist eben so schön einfach und (selbst-)gerecht. Es ist die Flucht aus der Verantwortung.