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Gesellschaft & Kultur > Kanzleramtschef Helge Braun steigt in den Ring um den CDU-Vorsitz

Der Notarzt der Kanzlerin – Rettet er jetzt die CDU?

Noch ist er der Chef des Bundeskanzleramtes. Doch der einst medienscheue Helge Braun hat neue Ambitionen – große sogar. Der Hesse, der als Schattenmann der Kanzlerin lange im Verborgenen agierte, will jetzt sogar seine Chefin im Amt des CDU-Vorsitzes beerben. Doch wer ist der Mediziner, der immer wieder die Fäden im Hintergrund zieht? Von Stefan Groß-Lobkowicz.

Serap Güler (l-r), Helge Braun, geschäftsführender Kanzleramtschef, und Nadine Schön, stellen sich zu Beginn einer Pressekonferenz zum «Ringen um Neuaufstellung der CDU - Pk mit Helge Braun», den Fotografen. Braun bewirbt sich für den CDU-Vorsitz. CDU-Vorsitzkandidat Helge Braun hat die Bundestagsabgeordnete und frühere NRW-Integrations-Staatssekretärin Serap Güler als Kandidatin für das Amt der Generalsekretärin vorgeschlagen, Foto: picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm
Serap Güler (l-r), Helge Braun, geschäftsführender Kanzleramtschef, und Nadine Schön, stellen sich zu Beginn einer Pressekonferenz zum «Ringen um Neuaufstellung der CDU - Pk mit Helge Braun», den Fotografen. Braun bewirbt sich für den CDU-Vorsitz. CDU-Vorsitzkandidat Helge Braun hat die Bundestagsabgeordnete und frühere NRW-Integrations-Staatssekretärin Serap Güler als Kandidatin für das Amt der Generalsekretärin vorgeschlagen, Foto: picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm

Inmitten der Coronakrise war der gebürtige Gießener Mediziner Helge Braun einer der Feuerwehrmänner der Kanzlerin. Er hielt die Krisenstäbe zusammen und avancierte nach den Fehlern von Gesundheitsminister Jens Spahn zum wichtigsten Kopf, der nie voreilig in die Bresche schlug, sondern aus der Perspektive einer wohlüberlegten Maximenabwägung mit Prioritätsliste seine Akzente setzte. Wie kaum eine anderer zählt er neben Peter Altmaier, Steffen Seibert, Strategin Eva Christiansen und Büroleitern Beate Baumann zum inneren Zirkel der Macht. Er ist einer der wenigen, der das volle Vertrauen der Kanzlerin genießt und sich stets ihrer Rückendeckung versichern konnte. Der 49-Jährige gilt als konziliant, treu und als stiller Macher im Weinberg der Berliner Republik, der jenseits der politischen Eitelkeiten lieber seine Hausaufgaben macht. Braun, der mittlerweile auch als „Buddha“ von Berlin bezeichnet wird, weil ihm nichts so richtig aus der Ruhe bringt, ist zudem fleißig, ein richtiges Arbeitstier. Nach außen strahlt der derzeit wohl einflussreichste Anästhesist der Republik die heitere Gelassenheit in Persona aus, gilt als Optimist, der auch bei pandemischen Notlagen die Übersicht und Ruhe behält. Das katholische Frohgemut, den viele in der CDU immer noch unterschätzen, spannt zudem immer wieder Brücken, gilt als Meister der Harmonie, dies auch mit Blick auf die versöhnlichen Töne, die er immer wieder in der Ministerpräsidentenkonferenz anstimmte.

Der Corona-Krisenmanager

Für Braun, der bis heute kein Mediendauerläufer ist, der sich vielmehr als Pragmatiker seine Meriten verdiente, war die Berufung als Kanzleramtsminister 2018 ein steiler Karriereaufstieg: Merkel schätzt Männer, die aus der zweiten Reihe agieren und wie die Physikerin der Macht ist Braun ebenso ein Ausnahmetalent, der als Naturwissenschaftlicher nüchtern und pragmatisch agiert. Die Pandemie war für den Notfallmediziner, der sich seine Meriten einst im Uniklinikum Gießen verdiente, eine Art Heimspiel. Während viele Kollegen im Angesicht der epidemischen Notlage überfordert waren, war ihm seine Ausbildung stets ein strategischer Vorteil. „Ich komme aus der Anästhesie und der Intensivmedizin. Da gibt es eine Null-Fehler-Strategie und knappe Zeitrahmen“.

Als Realpolitiker kennt die Mühen der Ebene

Braun, der für viele an der CDU-Basis auch für die Fortsetzung der Mitte-links-Politik der Kanzlerin steht, hat sich in den letzten Monaten weiter emanzipiert.  Der parlamentarische Staatssekretär im Bildungs- und Forschungsministerium, der sich im Kampf gegen den Ebola-Virus couragiert engagierte, wurde nicht in das Zentrum der Macht gespült, vielmehr durchschritt er als Landvermesser die Basis. 1990 trat er in die CDU ein, 1992 wurde er Vorstandsmitglied des CDU-Kreisverbandes Gießen, 1995 stellvertretender Bezirksvorsitzender der CDU Mittelhessen. 2002 kam der endlich in den Bundestag,  verlor jedoch drei Jahre später sein Mandat. Scheiterte er damals noch bei der Direktwahl gegen den SPD-Direktkandidaten Rüdiger Veit konnte er sich 2009 sein Direktmandat in seinem Wahlkreis Gießen zurückholen. Auch 2013 ließ er seinen SPD-Herausforderer im Abseits und wiederholte seinen Erfolg bei der Bundestagswahl 2017. 2021 zog er dann über die Landesliste in das Hohe Haus ein – gescheitert war er jetzt am SPD-Politiker Felix Döring

Seine Arbeit als Regionalpolitiker, der die Mühen der Ebenen kennt, könnte ihm nun das Handwerkszeug liefern und für seine Kandidatur für den CDU-Vorsitz dienlich sein. Braun, der ein leidenschaftlicher Anhänger der Gießener Basketballmannschaft ist, ein Verein, für den er in seiner Jugend spielt, hat das Gaspedal nun auf Anschlag. Der bodenständige Optimist, der im Maschinenraum das schwankende Schiff der CDU geschmiert und im existentiellen Kampf um das Überleben gehalten hat, will die CDU nun zur „besseren SPD“ machen. Noch kann er im Kampf um den wichtigen Posten des CDU-Chefs, deren aussichtsreicher Kandidat derzeit der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Partei, Friedrich Merz ist, auf den Merkel-Bonus setzen. Doch Braun entpuppt sich nunmehr als der Notarzt der CDU. Seinen Fokus lenkt er zunehmend auf die Sozialpolitik, will, dass seine Partei eben auch für hart arbeitende Menschen da sei. Nach den herben Verlusten des Kanzlerwahlvereins geht er voll auf Konfrontation mit der SPD. In einem Brief an alle CDU-Mitglieder bekannte er: „Uns alle bedrückt das historisch schlechte Ergebnis bei der Bundestagswahl. Und uns ärgert die Art und Weise, wie wir verloren haben“. Er spricht von Versäumnissen und Streitigkeiten und betont, dass die CDU so nicht weitermachen könne. Braun plädiert für einen grundlegenden Neuanfang. „Menschliches Miteinander“ sei ihm wichtig. Und das Dilemma seiner Partei sieht er darin, dass in den „letzten Jahren zu wenig diskutiert“ und „nicht klar genug Position bezogen“ wurde. Er „spüre eine große Sehnsucht, dass wir klarer definieren, was die Vorstellungen und Konzepte der CDU Deutschlands sind.“ Und für die Zeit in der Opposition empfiehlt er, dringend das Profil zu schärfen.

Seit 18 Jahren ist Braun immerhin Kreis- und seit 14 Jahren Bezirksvorsitzender der CDU. Und der Pragmatismus dieser Jahre zeigt deutlich in eine Richtung: Man will die Mitglieder wieder stärker einbinden. Und im Kampf gegen Friedrich Merz und Außenpolitiker Norbert Röttgen setzt er beim Poker um die Macht auf geballte Frauenpower. Er will, wie jüngst die Grünen, die Partei verjüngen. Mit Serap Güler, die Generalsekretärin und Nadine Schön, die Leiterin der Programm- und Strukturentwicklung der CDU werden soll, bringt er gleich zwei profilierte Christdemokratinnen für sein Team ins Spiel, Beide stehen für einen deutlichen Verjüngungskurs. Gegenüber Schön (38) und Güler (41) – beide durchschnittliche eine Generation jünger als das durchschnittliche CDU-Mitglied, ist Braun mit fast 50 Jahren schon ein alter Hase.

Jetzt muss Braun sich neu erfinden

Wenn Braun jetzt auf Zukunft setzt, der Partei neue Akzente verleihen will – bleibt sein härtetes Gegner seine eigene Parteikarriere im Umfeld von Angela Merkel. Viele Kritiker sehen in ihm nicht den Neuanfang, sondern ein pures Weiter-so. Eine „grundlegende Erneuerung in den Köpfen, grundlegende Erneuerung in den Inhalten und auch eine grundlegende Erneuerung in der Organisation“, Brauns neues Credo, wird weiterhin kritisch beäugt. Doch mit seiner Vision, die Partei attraktiver zu machen und für breite Schichten der Gesellschaft zu öffnen, einen Kurs von Bodenständigkeit und Bürgernähe zu fahren, das Soziale, den Menschen und das Humanum in den Mittelpunkt zu rücken, könnte viele an der Basis pro Braun stimmen. Denn auf seiner neuen Agenda steht ziemlich viel SPD: Sicherung des Arbeitsplatzes Altersversorgung und ein bezahlbarer Wohnraum. Zugleich will der Notfallmediziner, der seine Partei nicht einschläfern, sondern auf einen gesunden, frischen Kurs zurückführen will, auf der anderen Seite die Kernkompetenzen der CDU wieder stärken. Eine „grundlegende Erneuerung“ kann aber nur dann gelingen, wenn „wir von einer Mitgliederpartei zu einer richtigen Mitmachpartei werden“.

Als Außenseiter im Kampf um den CDU-Vorsitz hat Braun eine anspruchsvolle Agenda gezeichnet, die die SPD als Kampfansage interpretieren muss. Wie Röttgen will Braun lediglich für den Parteivorsitz kandidieren. Nun muss die Basis der CDU über die politische Zukunft des Kanzleramtsministers entscheiden. Die Mitgliederbefragung über den CDU-Vorsitz wird Anfang Dezember beginnen. Die Auszählung und die Ergebnisverkündung sind für den 17. Dezember geplant. Der Wahlparteitag wird im Januar staatfinden. Wenn keiner der Kandidaten eine absolute Mehrheit erreicht, gibt es eine Stichwahl.

Dass Braun sich in Krisenzeiten bewährt hat, steht außer Frage, ob er allerdings gegen Friedrich Merz auftrumpfen kann, der eine breite Anhängerschaft sowohl beim deutschen Mittelstand, in der Jungen Union und in weiten Teilen Ostdeutschlands genießt, auf einem ganz anderen Blatt.

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