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Gesellschaft & Kultur > Interview mit Rainer Zitelmann

Dass über Enteignung in Deutschland gesprochen wird, ist erschreckend

"The European" sprach mit dem Soziologen und Bestsellerautor Rainer Zitelmann über die Bundestagswahl 2021.

Am Tag nach der Bundestagswahl, den Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, stehen auf der Bühne im Willy Brandt Haus: L-R: Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans, Franziska Giffey, Spitzenkandidatin der Berliner SPD für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, Manuela Schwesig (SPD), die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, Foto: picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm
Am Tag nach der Bundestagswahl, den Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, stehen auf der Bühne im Willy Brandt Haus: L-R: Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans, Franziska Giffey, Spitzenkandidatin der Berliner SPD für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, Manuela Schwesig (SPD), die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, Foto: picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm

Wie beurteilen Sie den Ausgang der Wahl?

Zitelmann: Positiv ist natürlich, dass Rot-Rot-Grün knapp verhindert wurde. Knapp sage ich, weil dies nur am schlechten Abschneiden der LINKEN liegt. Hätte sie ihr Ergebnis von 2017 gehalten, hätten wir eine deutliche Mehrheit für die Volksrepublik-Koalition. Die drei linken Parteien bekamen wegen des schlechten Abschneidens der Linken zusammen 363 Sitze, hätten aber 368 gebraucht, um eine Regierung zu bilden. Unternehmer können also – zunächst einmal – in Deutschland bleiben und müssen nicht auswandern. Zunächst.

Positiv ist auch, dass die FDP bei den jungen Wählern unter 30 Jahren 20 Prozent erzielte. Das stimmt optimistisch. Ich hoffe nur, dass Christian Lindner mit Blick auf die Ampel bei dem Prinzip bleibt: Besser nicht regieren als falsch regieren

Was hat die SPD falsch gemacht?

Zitelmann: Aus ihrer Sicht hat die SPD alles richtig gemacht. Allerdings mit der größten Wählertäuschung in der Geschichte der Bundesrepublik. Denn Scholz war nur der Fliegenfänger für ehemalige Merkel-Wähler. Das ist gelungen. Dahinter steht bekanntlich die nach Linksaußen abgedriftete SPD mit Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans und Kevin Kühnert. Kühnert kommt nicht allein in den Bundestag, sondern bringt 50 Linksaußen-Jusos mit. Insofern ist trotz der Verluste der LINKEN die politische Linke im Bundestag gestärkt.

 Was wäre der Vorteil, wenn die Union in die Opposition geht?

Zitelmann: Das wäre ja nur dann der Fall, wenn es zu einer Ampel-Koalition kommt. Und die lehne ich strikt ab. Eine Ampel wäre allenfalls der letzte Rettungsanker in einer verzweifelten Situation gewesen, wo es darum gegangen wäre, eine Rot-Rot-Grüne Regierung zu verhindern. Nachdem diese Gefahr gebannt ist, darf die FDP keine Ampel-Koalition eingehen. Das wäre tödlich für die FDP, es wäre eine Wiederholung des Jahres 2009, wo sie mit einem guten Ergebnis in den Bundestag kam, aber vier Jahre später rausflog, weil sie ihre Versprechen nicht gehalten hat.

Was bedeutet das für die Bundesrepublik und welche Koalitionen sind nun denkbar?

Zitelmann: Eine Koalition aus CDU/CSU und SPD, obwohl rechnerisch möglich, halte ich für unwahrscheinlich. Ganz ausgeschlossen wäre es indes nicht, wenn andere Optionen scheitern. Eine Ampel-Koalition wäre Selbstmord für die FDP – als jemand, der dieser Partei seit 27 Jahren angehört, kann ich also nur hoffen, dass es dazu nicht kommen wird. Das kleinste Übel wäre Jamaika. Übel sage ich deshalb, weil jede Regierung unter Beteiligung der Grünen ein Übel für Deutschland ist.

Zeigt die Wahl, dass die Deutschen politisch immer weiter auseinanderdriften?

Zitelmann: Ich mag die Klagen über die „Spaltung der Gesellschaft“ nicht. Eine gespaltene Gesellschaft macht mir viel weniger Angst als eine Gesellschaft, die im Gleichschritt unter dem Banner der politischen Korrektheit marschiert. Die Vorstellung, alle müssten in eine Richtung marschieren, ist letztlich eine totalitäre Utopie, die zu einer pluralistischen und freiheitlichen Gesellschaft nicht passt.

Was sagen Sie zum Ausgang des Volksentscheids zur Enteignung in Berlin?

Zitelmann: Ich finde es erschreckend, dass in Deutschland heute überhaupt wieder über Enteignung diskutiert und abgestimmt wird. Und erschreckend ist auch, dass 56,4 Prozent der Berliner dafür gestimmt haben. Das zeigt für mich vor allem das grandiose Versagen der marktwirtschaftlichen Kräfte. Die Unternehmen haben doch genug finanzielle Mittel: Warum wurde keine massive PR- und Werbekampagne in Berlin für das Eigentum gemacht? Ich hätte mir mehr Plakate Pro-Eigentum in Berlin gewünscht als Wahlplakate. Und es zeigt sich auch, was ich seit Jahren sage: Der schwächlich-feige Appeasement-Kurs der Immobilienwirtschaft, die sich bei den linken Kräften anbiedert und hofft, dann verschont zu werden, ist kläglich gescheitert. Es mag sein, dass der Volksentscheid nicht umgesetzt wird oder vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert. Doch was läuft, ist die indirekte Enteignung: Immobilieneigentümer stehen zwar weiter im Grundbuch, aber alle wesentlichen Merkmale des Privateigentums werden so weit ausgehöhlt, dass nur noch der leere Rechtstitel bleibt. Das ist die eigentliche Gefahr, auch wenn formell nicht enteignet werden sollte. Übrigens fühle ich mich durch das Ergebnis auch in meiner strikten Ablehnung von Volksentscheiden bestätigt. Ich weiß, dass viele Menschen, die sonst ähnlich so denken wie ich, hierzu eine andere Meinung haben. Aber was bei solchen Volksentscheiden in Deutschland herauskommen kann, haben wir jetzt gesehen.

Fragen: Stefan Groß

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