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Gesellschaft & Kultur > Interview mit dem bayerischen Justizminister Georg Eisenreich

Justizminister Eisenreich: „Wir müssen die großen Plattformen mehr regulieren“

Bayerns Justizminister Georg Eisenreich hat sich hohe Ziel gesetzt: Er will den großen Plattformen den Kampf ansagen. Google, Amazon, Facebook und Co. können nicht machen, was sie wollen. Auch den Hate-Speech im Internet will er juristisch Einhalt gebieten und hat sich den Kampf gegen Hassreden auf die Agenda geschrieben. The European traf den CSU-Politiker in München zum Interview.

Der bayerische Justizminister Georg Eisenreich, Foto: imago images / ZUMA Wire
Der bayerische Justizminister Georg Eisenreich, Foto: imago images / ZUMA Wire

 Sehr geehrter Herr Staatsminister Eisenreich, nach einer Umfrage von „Forsa“ haben Hassreden seit 2016 zugenommen. Ist das ein Trend, der anhält? 

Hass und Hetze nehmen in unserer Gesellschaft in wirklich erschreckendem Ausmaß zu. Die Ursachen sind vielfältig. Unser Rechtsstaat darf nicht zuschauen, wenn geistige Brandstifter und ihre Gefolgschaft das Klima in unserem Land vergiften. Hass und Hetze schränken die Meinungsfreiheit ein. Aus Worten können auch Taten werden. Deswegen muss der Staat entsprechend reagieren, und der Staat reagiert auch.

Jeder fünfte Mandatsträger wurde in Bayern mit Mord bedroht. Was kann man dagegen tun?

Beleidigungen und Bedrohungen gegenüber Politikern, auch gegenüber Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern haben zugenommen. Ich sage in aller Klarheit: Wer Politiker angreift, greift auch unsere Demokratie an. Politiker dürfen nicht empfindlich sein. Aber niemand muss Beleidigungen oder Bedrohungen aushalten. Die bayerische Justiz hat daher ein Schutzkonzept entwickelt, das mit den Maßnahmen der bayerischen Polizei abgestimmt ist. Ein wichtiger Baustein dieses Konzepts: Betroffene können in einem neuen Online-Meldeverfahren schnell und einfach Anzeigen und Prüfbitten an die Generalstaatsanwaltschaft München übermitteln.

Was sind die Auslöser von Hate-Speech? Gesellschaftliche Umbrüche, eine Unzufriedenheit mit der Politik? Flüchtlingskrise, Corona-Politik?

Ich glaube, dass diese Themen viele Menschen bewegen und auch Teile der Gesellschaft polarisieren – das können die Digitalisierung, die Globalisierung, der Klimawandel, die Migrationspolitik oder die Corona-Maßnahmen sein. Was wir feststellen ist aber, dass etwa 80 Prozent der strafbaren Hass-Posts dem rechtsradikalen Spektrum zuzuordnen sind.

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz von SPD-Außenminister Heiko Maas war eine erste Antwort auf Hate-Speech. Reicht Ihnen das für den Anfang aus oder ist das zu wenig?

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz war ein richtiger und wichtiger Schritt. Die sozialen Netzwerke hatten anfangs die Haltung: Wir stellen nur eine Plattform zur Verfügung, für ihre Äußerungen sind die Nutzerinnen und Nutzer selbst verantwortlich. Das ist nicht akzeptabel. Gesetze, die in der analogen Welt gelten, müssen auch im Internet gelten. Es ist die Aufgabe des Staates, Recht durchzusetzen, auch im Internet. Deshalb brauchen wir eine entsprechende Regulierung der großen Social Media-Plattformen. Wir stellen fest, dass in der Anonymität des Internets die Beleidigungen wesentlich härter ausfallen, als wenn sich Menschen in der realen Welt gegenüberstehen. Auch die Reichweiten beispielsweise von Beleidigungen und Volksverhetzungen sind viel größer. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz war daher ein erster richtiger und wichtiger Schritt. Wir können hier aber nicht stehen bleiben. An einigen Stellen müssen wir nachschärfen.

Bayern hat als erstes Bundesland einen Hate-Speech-Beauftragten. Wie gut ist die Bayerische Justiz gegen Hass im Netz gerüstet?

Es gibt verschiedene Ebenen, auf denen gehandelt werden muss. Es gibt die Ebene der Gesetzgebung – dafür sind Berlin und Brüssel zuständig. Zum Beispiel mit dem bereits angesprochenen Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das nachgebessert werden muss, oder der kürzlich vorgestellte Digital Services Act der Europäischen Kommission.

Die Länder können die Strafverfolgungsstrukturen noch weiter optimieren. Ich habe die Schlagkraft unserer bayerischen Strafverfolgungsbehörden in diesem Bereich erhöht. Bei jeder der 22 bayerischen Staatsanwaltschaften gibt es ein Sonderdezernat zur Bekämpfung von strafbarem Hass und Hetze. Im Januar habe ich zudem zentral für ganz Bayern Deutschlands ersten Hate-Speech-Beauftragten ernannt. Ich habe ihn ganz bewusst bei der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) der Generalstaatsanwaltschaft München angesiedelt. Das soll ein klares Signal sein: Kampf gegen Hate-Speech bedeutet auch Kampf gegen Extremismus.

80 Prozent der Hetze kommen aus dem rechten Bereich. Erfüllt dieser Hass damit auch den Tatbestand der Volksverhetzung?

Es gibt keinen Straftatbestand "Hass und Hetze". Das Verhalten kann verschiedene Straftatbestände erfüllen. Das können Beleidigungsdelikte sein, also Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung; aber auch eine Bedrohung oder Volksverhetzung.

Wie hoch sind die Strafen, beispielsweise für Volksverhetzung?

Die jeweilige Strafe hängt immer vom Einzelfall ab. Unser Hate-Speech-Beauftragter hat Beispiele genannt: Bei einer Volksverhetzung kommt es bei einem Ersttäter in der Regel zu einer Geldstrafe. Bei Wiederholungstätern drohen empfindlichere Geldstrafen oder auch Freiheitsstrafen.

Wo sind für die Justiz die Graustellen im Netz? Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den sozialen Netzwerken? Funktioniert diese?

Bei der Bekämpfung von Hass im Netz spielen die Betreiber sozialer Netzwerke eine wichtige Rolle. Wir können die Straftäter nur verfolgen, wenn wir die Urheber von Hass-Posts ermitteln können. An dieser Stelle müssen wir die sozialen Netzwerke stärker in die Pflicht nehmen. Die Zusammenarbeit mit Facebook und anderen Plattformen ist absolut unbefriedigend, weil die Anfragen der Staatsanwaltschaften teilweise nicht, teilweise unvollständig beantwortet werden. Meine Haltung ist klar: Die sozialen Netzwerke müssen die Auskunftsverlangen unserer Strafverfolger ohne Wenn und Aber beantworten.

Facebook, Google und Co sollen Ihrer Meinung nach mehr reguliert werden. Wie wollen Sie die Macht gegen die Tech-Giganten brechen?

Einige Internetkonzerne haben sich quasi zu Monopolisten entwickelt. Dies führt zu digitaler Abhängigkeit und gefährdet unseren Wohlstand, unsere Privatsphäre und unsere Werte. Deshalb müssen wir handeln. Gefordert sind der Bund und die Europäische Union.

Da der freie und faire Wettbewerb gefährdet ist, muss viel härter kartellrechtlich eingeschritten werden. Das fängt mit Geldbußen an, aber natürlich nicht mit lächerlichen Summen, die Tech-Giganten aus der Portokasse zahlen. Geldbußen müssen empfindlich hoch sein. Daneben muss die Macht der Monopole wirksam beschränkt werden, wenn nötig müssen Monopole zerschlagen werden.

Außerdem halte ich eine Digitalsteuer für notwendig. Die Tech-Monopolisten dürfen sich nicht länger einer Besteuerung entziehen. Es kann nicht sein, dass hohe Gewinne privatisiert werden, aber die Probleme und Kosten sozialisiert werden.

Bei der Medienregulierung sind wir mit dem Medienstaatsvertrag einen großen Schritt weiter. Diese Plattformen werden nun als das eingeordnet, was sie in Wirklichkeit sind: Medienunternehmen, die – wie alle anderen Medienunternehmen auch – reguliert werden müssen.

Unabhängig von dem Bereich der Regulierung brauchen wir in Europa auch eine eigene digitale Infrastruktur.

Das Gesetz gegen Hasskriminalität im Netz liegt seit Monaten beim Bundespräsidenten – es kann nicht ausgefertigt werden, weil es offensichtlich verfassungswidrig ist. Nun hat das BMJV ein Reparaturgesetz vorgelegt. Wie geht es weiter? Das Hate-Speech-Gesetz ist ein Prestigeprojekt von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). Ist sie damit gescheitert?

Nein, ich begrüße diese Gesetzesinitiative ausdrücklich. Sie ist ein wichtiger Schritt für eine noch effektivere Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet. Der Entwurf enthält auch wichtige bayerische Initiativen, für die ich mich lange eingesetzt habe, wie z. B. die Möglichkeit, antisemitische Straftaten und Beleidigungen im Netz mit höheren Strafen zu ahnden. Tatsächlich müssen aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes in einem Teilbereich dieses Gesetzes Änderungen vorgenommen werden. Da gibt es schon erste Vorschläge. Ich bin zuversichtlich, dass das Gesetz baldmöglichst in Kraft tritt.

Wir haben die Meinungsfreiheit auf der einen Seite, auf der anderen wird diese immer wieder ausgenutzt, um zu hetzen. Wie bekommen wir einen Kompromiss hin, dass die Meinungsfreiheit erhalten bleibt?

Die Meinungsfreiheit ist das Fundament unserer freiheitlich demokratischen Gesellschaft. Deshalb müssen wir sie verteidigen. Wir brauchen die Debatte und den Meinungsstreit in Deutschland. Es ist jedoch ein großer Irrtum zu glauben, dass jede Äußerung von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Es gibt eine Grenze: Die Meinungsfreiheit endet dort, wo das Strafrecht beginnt. Niemand muss sich beschimpfen und bedrohen lassen, niemand muss Straftaten erdulden. An dieser Stelle muss der Rechtsstaat aktiv werden.

Strafbarer Hass und strafbare Hetze führen dazu, dass sich viele Menschen aus Angst vor hasserfüllten Reaktionen erst gar nicht mehr äußern. Wer die Meinungsfreiheit schützen will – so wie ich – der muss strafbaren Hass bekämpfen!

Wenn Angela Merkel im nächsten Jahr die politische Bühne verlässt, hat Ministerpräsident Markus Söder derzeit die besten Aussichten auf die Kanzlerschaft. Was sagen Sie zu einem Kanzler Markus Söder?

Er ist ein hervorragender Ministerpräsident und er wäre auch ein hervorragender Bundeskanzler.

Herzlichen Dank für das Gespräch

Das Gespräch führte Stefan Groß

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