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Gesellschaft & Kultur > Intellektueller Waffengang gegen die Unvernunft

CDU-Hoffnungsträger Christoph Ploß formuliert eine faszinierende „Agenda bürgerlicher Vernunft“

Es ist ein so selbstverständlich anmutendes, dabei doch großes Wort, das ein junger Christdemokrat gelassen ausspricht: „Vernunft“. Mit ihr soll laut Christoph Ploß der „Aufbruch Deutschland“ gelingen. Darum skizziert der Hamburger CDU-Landeschef und Bundestagsabgeordnete auf knapp 190 Seiten eine „Agenda bürgerlicher Vernunft“. Von Olaf Hürtgen

Man könnte diese Neuerscheinung auf dem deutschen Büchermarkt im Grunde auch eine Kampfschrift nennen, einen Ruf zum – intellektuellen – Waffengang gegen die Unvernunft jener Ampel-Koalition, die sich einer Zeitenwende gegenübersieht und in dieser Stunde heraufziehender Nöte nicht einmal in der Lage ist, Ideologien und programmatische Korsette zu entsorgen. Doch Ploß ist zwar ein Freund deutlicher Worte. Aber er ist, und darum wäre die Rubrizierung als Kampfschrift eben doch falsch, durch und durch jener Bürgerliche, der auf Verstand und Argumente setzt und nicht auf den Populismus von Rechtsaußen oder Linksgrün.

Dabei hat er mit den Grünen, den Ideengebern einer Koalition um eine russophile und ansonsten gedankenarme Sozialdemokratie und den prinzipienbefreiten Feigenblatt-Liberalen, etliche Ziele gemein: Auch Ploß, Hamburger des Jahrgangs 1985, bezieht eindeutig Position für die Ukrainer im Abwehrkampf gegen die russischen Aggressoren. Auch Ploß fordert eine Abkehr von fossilen Brennstoffen und einen CO2-neutralen Energiekonsum. Auch Ploß weiß, dass Deutschland mit seinen niedrigen Geburtenraten nicht ohne Zuwanderung überleben kann.

Aber, und in dieser Erkenntnis unterscheidet sich der vernunftgesteuerte Konservative von den programmatischen Eiferern auf den Regierungsbänken, Politik ist nicht das Ergebnis von Wünschen, sondern die Kunst des Möglichen.

Das wird in der sehr eindeutigen Verurteilung des russischen Angriffskrieges deutlich, dessen Analyse Ploß zur weitsichtigen Warnung vor ähnlichen Spannungsfeldern im südchinesischen Meer und insbesondere um Taiwan bringt. Der Ukraine, schreibt er, dürfe niemand das Recht auf Selbstbestimmung und territoriale Integrität verweigern, und hier würde ihm Außenministerin Annalena Baerbock sicher zustimmen. Doch anders als die Grünen, die dazu tendieren, aus einer politischen Haltung die Weihen einer höheren Moral abzuleiten, bleibt der Christdemokrat zugleich pragmatisch-vernünftig, indem er über den aktuellen blutigen Krieg hinausblickt: „Gleichwohl sollte es in unserem Interesse liegen, perspektivisch wieder zu guten Beziehungen mit Russland zu kommen, wie sie in der tausendjährigen Nachbarschaft nicht die Ausnahme, sondern die Regel waren – trotz der Schrecken des Zweiten Weltkriegs, des ruchlosen ‚Unternehmens Barbarossa‘ und der nachfolgenden Brutalitäten während der Vertreibung der Deutschen aus den damaligen Ostgebieten und Ostmitteleuropa.“ Doch dazu müsse sich Russland zuvor massiv verändern, was unter Putin kaum möglich sei: „Aber das setzt voraus, dass Russland wieder ein völkerrechtlich verlässlicher Partner wird, auf militärische Aggressionen künftig verzichtet und seine Erpressungsmanöver einstellt. Auch wenn Derartiges im Moment abwegig klingt, ist es langfristig der einzige Weg, um eine friedliche Sicherheitsarchitektur in Europa zu bauen und zu vollenden.“

Ausgesprochen spannend sind die Ausführungen zur Energiepolitik und zum Klimawandel.

Den will auch Ploß bekämpfen – und darum käme er erkennbar nicht auf die von der Regierung exekutierte Idee, Kohlekraftwerke wieder hochzufahren, um Laufzeit von emissionsfreien Kernkraftwerken nicht verlängern zu müssen. „Klimaschutz durch Forschung und technologieoffene Exportschlager statt Verbote“, so antwortet die Vernunft auf die absurde Vorstellung, eine Mittelmacht wie Deutschland, das nach dem Ratschlag eines Ministerpräsidenten per Waschlappen die Gasengpässe meistern soll, könne sich durch die Ächtung von Flügen, SUVs, Einfamilienhäusern und Fleischkonsum den großen Emissions-Mächten dieser Welt als glaubhaftes Vorbild andienen.

Was wäre denn, fragt Ploß, wenn Deutschland Kurzflüge oder Flüge innerhalb Europas verbieten würde? Dann gingen internationale Geschäftsreisende und Touristen eben über Paris, Amsterdam oder Brüssel. „Für den Schutz des Klimas wäre nichts gewonnen, aber deutsche Arbeitsplätze wären verloren; Steuereinahmen für Bildung oder Infrastruktur würden hierzulande fehlen.“ Erkennt diese banale Wahrheit wirklich kein Grüner?

Heute sei klar, „dass der Ausstieg aus der Kernkraft zumindest verfrüht und damit falsch war. Im Sinne des Klimaschutzes hätte Deutschland erst die Kohlekraft hinter sich lassen und Kernkraft wenigstens als Übergangstechnologie beibehalten müssen“, diagnostiziert Ploß.

Er plädiert darum für ein Paket aus dem mutigen Ausbau erneuerbarer Energien bei gleichzeitiger Prüfung eines Wiedereinstiegs in die Kernkraft. Mittelfristig sieht Ploß die Lösung in der Kernfusion, deren Potenzial er am südfranzösischen Großprojekt Iter und an parallelen Forschungen in China, Japan, England und Südkorea aufzeigt. Die Grünen hingegen entlarven sich laut Ploß „schlicht als fortschrittsfeindlich“, weil sie „seit vielen Jahren gegen Iter zu Felde ziehen, das Projekt als ‚Geldvernichtungsmaschine‘ denunzieren und den Ausstieg Deutschlands aus dieser beispielhaften internationalen Zusammenarbeit verlangen.“ Weil der Energiekonsum global weiter steige und „durch das noch bis zum Ende des Jahrhunderts anhaltende Wachstum der Weltbevölkerung zusätzlich vergrößert wird“, dürfte der Energiebedarf „ohne den Einsatz von Kernfusion kaum zu decken sein“.

Zur von ihm im Kern bejahten Zuwanderung findet Ploß ebenfalls eindeutige Worte, die wundern lassen, dass sie nicht zum Arsenal der Selbstverständlichkeiten jeder demokratischen Partei gehören: „Zuwanderung muss gesteuert werden, sie muss den Interessen des aufnehmenden Landes entsprechen und daneben den Opfern echter politischer Verfolgung aus humanitärer Verpflichtung Asyl gewähren, wie es insbesondere die osteuropäischen Staaten nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine vorgemacht haben. So machen es alle erfolgreichen Einwanderungsländer. Diese Kurskorrektur muss auch Deutschland leisten.“ Das ist die Vernunft-Alternative zum grün-roten Ansatz der schrankenlosen Zuwanderung ohne jede Vorbedingung, die Katrin Göring-Eckardt angesichts der Grenzöffnung durch Angela Merkel im September 2015 so bejubelte: „Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich darauf.“

Ploß legt sich aber nicht nur mit den Grünen (und immer wieder den Linken) an, sondern auch mit Parteifreunden. Die Quote nämlich findet beim Anwalt der Vernunft kein Verständnis. „Wer meint, mit Quoten und Paritätsgesetzen mehr Gerechtigkeit schaffen zu können, erreicht in Wahrheit genau das Gegenteil: Individuelle Chancen werden zerstört, Freiheitsrechte werden eingeschränkt und die Gesellschaft wird gespalten“, warnt Ploß. Mögen diese Passagen seines Buches auch im Konrad-Adenauer-Haus gelesen und verinnerlicht werden!

Der eloquente Hamburger watscht unter Verweis auf die Einschränkungen der Freiheit das sprachliche Gendern rigoros ab.

„Mittlerweile werden Andersdenkende in diesen Bereichen unter massiven Druck gesetzt, ebenfalls zu gendern. Sonst drohen Nachteile. Entgegen allen Gesetzen und Rechtschreibregeln werden Studenten genötigt, Hausarbeiten und Klausurtexte in gegenderter Form abzugeben. Wer dagegen aufbegehrt und gemäß den deutschen Rechtschreibregeln schreiben möchte, dem drohen schlechtere Noten und der Groll des Prüfers. Es mag kaum überraschen, dass die meisten Studenten bei dieser Abwägung eher mit der Faust in der Tasche ihre Arbeit ‘gendergerecht’ abgeben, als den Prüfer vor Gericht zu bringen”, beschreibt der CDU-Aufsteiger die Situation. Und weiter: „Dabei ist der Versuch, die Gender-Sprache durchzusetzen, ausgesprochen weltfremd. In Sportvereinen und an den Stammtischen unseres Landes spricht niemand in einer solchen Kunstsprache – und selbst in den Chats junger Leute oder auf dem Campus einer Universität müsste man lange suchen, um derartige Gesprächsverunstalter zu finden. Wer in ein Fußballstadion geht, hört die Fans dort in den seltensten Fällen mit einem ‚Gender-Hicks‘ sprechen.“

Christoph Ploß hat ein mutiges Buch gegen politische Korrektheit und woke Vernebelung biologischer und gesellschaftlicher Tatsachen geschrieben.

Er hat dem Bürgertum eine Stimme gegeben gegen die Zumutungen des angeblichen Zeitgeistes, der tatsächlich lediglich von kleinen elitären Minderheiten geprägt wird. Entstanden ist ein Plädoyer für Chancengleichheit statt Gleichmacherei und für Leistung statt endloser Umverteilung. Ploß fordert einen neuen Sozialvertrag, der mit Blick auf die Kinder und Jugendlichen in unserem Land „rentenpolitische Reformen und einen zielgenauen Sozialstaat“ anstrebt: „Dazu gehört beispielsweise der Mut, die Lebensarbeitszeit an die durchschnittliche Lebenserwartung zu koppeln. Andere europäische Länder wie Norwegen, Estland, Dänemark, Finnland, die Niederlande, Portugal und die Slowakei gehen diesen naheliegenden Weg schon seit Längerem.”

Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner bisherigen Regierungszeit schon einen Akzent gesetzt hat, dann ist es der Begriff von der „Zeitenwende“. Sie ist real, aber Scholz und seine rot-grün-gelbe Mannschaft scheinen unfähig, aus ihr die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Man folgt Parteiprogrammen, etwa wenn Wirtschaftsminister Robert Habeck jede Laufzeitverlängerungen für KKWs verbissen bekämpft, nur weil die einfältige „Atomkraft, nein danke“-Dogmatik immer noch im Zentrum grüner Selbstverinnerlichung steht. Ploß zeichnet kühn die Alternativen zu den vielen Denkbarrieren auf. Seine Ideen können zum Weckruf für jene Bürgerlichkeit werden, um die sich die CDU-Kanzlerin Angela Merkel nie scherte und die in der Bundestagswahl 2021 schwer unter die Räder gekommen zu sein schien. Doch das Bürgertum, von fortschrittswillig über gemäßigt bis konservativ, ist noch längst nicht erledigt. Es hat die Vernunft auf seiner Seite – und einen aufstrebenden Christdemokraten, der sich nicht scheut, sie für die Politik einzufordern.

Seine bürgerliche Antwort darauf: Kein Verbot des Genderns, natürlich nicht, aber die Einhaltung der Schreibweise des Dudens zumindest in Behörden, Bildungseinrichtungen und im öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Denn alle Umfragen, so merkt Ploß an, zeigen, dass das Gendern mit Binnen-I, Sternchen.

 

Aufbruch Deutschland

Erschienen im Deutscher Wirtschaftsbuch Verlag

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