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Gesellschaft & Kultur > Historisches im Sommer: Honeckers Love Parade

Honeckers Love Parade

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Die so genannten „X. Weltjugendfestspiele“ in Ost-Berlin im Sommer 1973 waren vor allem ein gelungener PR-Coup der SED-Führung – auf den auch gemäßigte Linke aus der alten Bundesrepublik hereinfielen

Nur für redaktionelle Verwendung, picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Volkmar Heinz
Nur für redaktionelle Verwendung, picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Volkmar Heinz

Hippi-Frauen in bunt gebatikten Kleidern Händchen haltend mit blau behemdeten FDJlern. Und dazwischen ganz viel laute Musik. Diese schönen Bilder haben Menschen um die sechzig vor Augen, wenn sie an jene neun Tage im August 1973 zurückdenken, an denen sich das Areal rund um Funkturm und Alexanderplatz im Osten Berlins in eine Partymeile verwandelt hatte und sie selbst Teil des Spektakels waren. Die DDR hatte ihr kapitales Schaufenster in eine Open Air Bühne umfunktioniert, um der Welt zu zeigen, dass der Sozialismus eine höchst jugendliche Angelegenheit ohne Verfallsdatum war. Nach den „dunklen Jahren“, geprägt von Mauerbau, Zwangskollektivierung und der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 lechzte auch die SED-Führung Anfang der Siebzigerjahre nach frischer Luft, um nicht vorzeitig an sich selbst zu ersticken. Ein Festival mit Jugendlichen aus aller Welt kam da gerade recht. Offizieller Gastgeber war die Staatsjugendorganisation FDJ, Strippenzieher im Hintergrund die Entourage um Erich Honecker, der Ulbricht zwei Jahre zuvor als SED-Generalsekretär unsanft aus dem Amt gehievt hatte. Bereits im Februar 1972 hatte sich ein Nationales Festivalkomitee unter  Vorsitz des neuen starken Mannes an der Parteispitze gebildet. Honecker wollte das X. Festival dazu nutzen, die Jugend enger an die DDR zu binden. Das Festival stand unter Schirmherrschaft des kommunistischen Weltbundes der demokratischen Jugend (WBDJ), der nach 1945 gemeinsam diese Tradition begründet hatte, um die Ideologie des Marxismus-Leninismus unter Jugendlichen populär zu machen. Dabei war die Sympathie für Marx, Mao und Lenin durchaus gegeben. Jene „rote Welle“, die den Erdball seit Beginn der Sechzigerjahre wie einen kleinen Tsunami erfasst hatte, musste irgendwann auch die Bundesrepublik erreichen. Es war kein Zufall, dass im Bonn des Jahres 1973, erstmals seit Kriegsende, gemäßigte Linke regierten, Gesamtschulen ihren vermeintlichen Höhenflug antraten und es selbst an Gymnasien schick wurde, sich irgendwie „links“ zu geben. Lange Haare, grüner Parker und gegen die USA und ihre Verbündeten zu sein, waren zu Beginn der Siebzigerjahre Teile eines gesellschaftlichen Mainstreams, den die DDR-Führung bei ihrem Klassenfeind genau registriert hatte. Sie suchte daher nach einer angemessenen Antwort und fand sie, nicht ungeschickt, in den Weltjugendfestspielen, um deren erneute Austragung sie sich frühzeitig bemühte.

Nachwehen des 17. Juni

Die mittlerweile legendäre Megaveranstaltung mit angeblich mehr als acht Millionen Besuchern, die später als „Woodstock des Ostens“ eine historisch-mediale Verklärung erfuhr, reihte sich ein in eine Vielzahl ähnlicher Festivals, die es seit Kriegsende im Ostblock und mit ihm verbrüderten Staaten rund um den Globus gegeben hatte. Bereits 1951 war die DDR Ausrichter der damals III. Weltjugendfestspiele gewesen, zwei Jahre bevor ihre Arbeiter am 17. Juni 1953 flächendeckend rebellierten und dem roten Regime in Ostberlin und Moskau die rote Karte zeigten. Der Schock darüber, dass Arbeiter sich erdreistet hatten, gegen die „Partei der Arbeiterklasse“ zu Felde zu ziehen, saß bei der SED-Führung tief. Umso mehr war ihr daran gelegen, bei denen zu punkten, die, damals wie heute, die Zukunft eines Landes bilden, der Jugend. Dafür brauchte die SED Verbündete, die sie auch im Westen und in einigen blockfreien Staaten, allen voran Indien, Indonesien und Mexiko fand. Die sich abzeichnende Niederlage der USA in Vietnam und das sich ebenfalls anbahnende Schicksal Präsident Salvador Allendes in Chile, der, neben Che Guevara, von vielen, links eingestellten Jugendlichen als Ikone im Kampf gegen den amerikanischen „Imperialismus“ gesehen wurde, spielten den Planern in die Hände. Dass chilenische Exilanten später in der DDR regelrecht hofiert wurden und Erich Honecker nach seinem Sturz im Oktober 1989 in Chile seine letzte Heimstätte fand, war weniger dem Zufall als konkreten Umständen geschuldet, die ihre Wurzeln auch in der außenpolitischen Großwetterlage rund um die X. Weltjugendfestspiele hatten.

Jugendliche als Statisten

Das zuweilen clownesk wirkende PR-Manöver, das im Sommer 1973 in Ostberlin mit großem Tamtam über die Bühne ging, schien sich zunächst auf Erfolg versprechenden Bahnen zu bewegen. Französische Gewerkschafter, spanische ETA-Sympathisanten, Vertreter der Palästinenser waren, zusammen mit linken Gruppen aus Lateinamerika, Asien und Afrika, nach Ostberlin gekommen, um sich und ihres Gleichen unter blauem Himmel zu feiern. Tagsüber versank das Zentrum Ostberlins in einem Fahnenmeer, wie es die Stadt bis zum Mauerfall am 9. November 1989 nicht mehr erleben sollte. Doch von Spielen und unbekümmertem Feiern konnte bei dem, was sich da in eineinhalb Wochen auf östlicher Seite der Berliner Mauer abspielte, nur schlechterdings die Rede sein. Von Anfang ging es bei den Weltjugendfestspielen einzig um Politik, genauer gesagt, um dogmatische Positionen im Sinne des Marxismus-Leninismus Moskauer Lesart, an der, ob der bunten Verpackung, ein breites Publikum Gefallen finden sollte. Die Belange junger Leute spielten auf dem Festival, wenn überhaupt, nur eine Nebenrolle. So fand sich keines der Themen, die zeitgleich in Westdeutschland auf der gesellschaftspolitischen Agenda standen, in den Programmheften des Festivals wieder. Dafür wurde dort umso vehementer über Allgemeinplätze wie „Weltfrieden“, „Revolution“ und „internationale Solidarität“ debattiert, über die sich aber bekanntlich nur untrefflich streiten lässt. Denn wer konnte schon ernsthaft gegen den Weltfrieden sein? Die zahlreichen Bands, darunter die später in der DDR verbotene Gruppe Klaus Renft Combo, Dichterlesungen und „Diskussionsrunden“ bildeten im August 1973 den pseudo-künstlerischen Rahmen eines Megaevents, das letztendlich nur der SED und ihrem ramponieren Image vor der Weltöffentlichkeit auf die Sprünge helfen sollte. Die Profiteure standen von Anfang an fest. Es waren die abgehalfterten Greise und ihre Lakaien aus dem SED-Zentralkomitee, die sich mit dem Festival eine Frischzellenkur mit Kurzzeitwirkung verabreichten, indem sie sich diskussionsfreudig, ja fast schon weltoffen gaben und ihrer Hauptstadt für wenige Stunden das Gesicht einer freigeistigen Metropole verliehen. Was viele ahnten, doch nur wenige wahrhaben wollten, offenbarte sich nach der Wende durch Aktenfunde bei der Stasiunterlagenbehörde (BStU) in Berlin. Von Anfang an hatte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) bei dem Festival seine Finger im Spiel gehabt. Auf internen Schulungen waren hauptamtliche Mitarbeiter der Staatssicherheit auf ihren Einsatz während der Weltjugendfestspiele vorbereitet worden. Sie sollten, als Studenten getarnt, bei politischen Diskussionen offensiv die Linie der SED vertreten und zugleich ein Auge auf junge DDR-Bürger richten, die davon abwichen. Zahlreiche Abweichler, die die Staatssicherheit kurzzeitig festnahm, warb sie später als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) an. Die herzliche und offene Atmosphäre, in der die Weltjugendfestspiele ohne Zweifel auch stattfanden, stand rund um die Uhr unter Aufsicht der Staatssicherheit, die in jeder Ecke, an jedem Stand und in jedem Zelt mit mindestens drei hauptamtlichen Mitarbeitern vertreten war. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Festivals ahnten die Präsenz des DDR-Geheimdienstes durchaus, ließen sich davon aber kaum beeindrucken, da die Momente der Begegnung mit Menschen aus aller Welt, vor allem der westlichen vieles überwogen. Das MfS hatte zudem mit seinen Meinungsmachern im Vorfeld dafür gesorgt, dass westliche Journalisten eine „zustimmende Haltung“ der DDR-Jugend zu ihrer Regierung registrierten und entsprechend berichteten. Nicht wenige fielen, gewollt oder ungewollt, auf diesen propagandistischen Schachzug herein und verkauften in ihren Beiträgen die DDR fortan als soziales Paradies mit „gewissen politischen Einschränkungen“. Honecker war sichtlich zufrieden. Der DDR-Führung war es mit den Festival gelungen, einen Teil der westlichen Medien und auch der gemäßigten Linken auf Dauer an sich zu binden, indem ihre fortwährenden Menschenrechtsverletzungen dort mit vermeintlichen, sozialen Wohltaten klein geredet wurden. Ost-Berlin müsse endlich eine „Chance“ bekommen, zu beweisen, dass ihm das Wohl seiner jungen Generation am Herzen liege, formulierte etwa sinngemäß die „Frankfurter Rundschau“ (FR). Dass die DDR weder demokratisch noch republikanisch war und die SED freie Wahlen so scheute wie der Teufel das Weihwasser, verschwieg der FR-Kommentator geflissentlich. In Zahlen gesehen, konnte sich das bunte Spektakel durchaus sehen lassen. Mehr als 20.000 junge Leute aus 126 Nationen waren im Sommer 1973 nach Ost-Berlin gepilgert, um sich den Sozialismus in den Farben der SED einmal aus nächster Nähe anschauen zu können. Auch Vertreter kirchlicher Organisationen und selbst der Jungen Union (JU) hatten sich für das Festival akkreditieren lassen. Die meisten aus Neugier und Interesse, andere im Auftrag des Bundesnachrichtendienstes (BND). Für den war die DDR seit dem Mauerbau weitgehende Terra inkognita geworden.

Tausende Festnahmen

Der Vergleich mag in Manchem hinken. Doch das Festival von 1973 hatte auch etwas von der späteren Love Parade, die in den späten Neunzigerjahren bis zu einer Million Jugendliche nach Berlin locken sollte, sich aber nur deshalb „politisch“ gab, um die Straßenreinigungskosten auf die öffentliche Hand abwälzen zu können. Diese, zugegeben, Extremform des Opportunismus wäre in der unmittelbaren Post-68er-Ära undenkbar gewesen. Die Weltjugendfestspiele waren die politischsten ihrer Art überhaupt, was auch der Tatsache geschuldet war, dass sie sich in einer damals von vier Weltmächten besetzten Metropole zutrugen. Dass die Festspiele ein Politikum der besonderen Art waren, hatte auch etwas mit dem deutsch-deutschen Verhältnis jener Jahre zu tun. Ein Jahr zuvor war, nach zähen Verhandlungen, der Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR in Kraft getreten. Er sollte spürbare Erleichterungen im Reiseverkehr zwischen beiden deutschen Staaten bewirken und damit zu einer gewissen Normalisierung im Binnenverhältnis beider deutscher Staaten beitragen. Das Festival in Ostberlin war damit die erste Nagelprobe des damals noch recht jungen Vertragswerkes. Doch schon beim Grenzübertritt bekamen manche der Westpilger zu spüren, was die DDR unter „Weltoffenheit“ verstand. Mehr als 2.000 Menschen nahm die Staatssicherheit im Rahmen des Festivals fest. Manche, weil sie verdächtigt wurden, eine „gegen die DDR gerichtete Handlung“ begehen zu wollen, andere, weil sie bei Veranstaltungen mit allzu kritischen Anmerkungen und Fragen aufgefallen waren. Diese unappetitlichen Details hat das Festival bis heute scheinbar unbescholten überstanden. Kaum jemand spricht mehr über den staatlichen Freiheitsentzug auf einem Festival, das sich als Botschafterin der Freiheit gerierte.

Und dennoch. Im Jahre 1973 befand sich die DDR an einer Zeitenwende zwischen Vergangenheit und Zukunft, die, Ironie der Geschichte, ausgerechnet während des Festivals eine symbolhafte Fügung erleben sollte. Als der damals noch amtierende Staatsratsvorsitzende und Weltkriegsgefreite Walter Ulbricht im Regierungsgästehaus am Döllnsee im Sterben lag, amüsierten sich nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt Zehntausende junger Leute, ohne dass sie vom Schicksal des alten Mannes Notiz nahmen. Ulbricht galt als Mann von gestern, ein dogmatischer Stalinist und Hardliner, der selbst in Moskau in Ungnade gefallen war und damit für Honecker den Weg an die Macht geebnet hatte. Die letzten Weltjugendfestspiele fanden übrigens 2007 in Kapstadt statt. Zehn Jahre zuvor hatte Kubas Diktator Fidel Castro die „Jugend der Welt“ auf seine Zuckerinsel geladen, darunter die frühere DDR-Volksbildungsministerin Margot Honecker, geboren 1927 und einsam verstorben 2016 im fernen Chile .

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