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Gesellschaft & Kultur > Finanzminister Lindner erklärt die Regierungspolitik in der Krise

Niemand wird in diesem Winter frieren und hungern

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Die Zeitenwende konnten wir nicht beeinflussen. Sie ist über uns gekommen durch den schrecklichen Angriff Russlands auf die Ukraine. Aber wir sind dieser Zeitenwende nicht schicksalhaft unterworfen, sondern sind Gestalterinnen und Gestalter unseres Schicksals. Von Christian Lindner

Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, Foto: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld
Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, Foto: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Für den Umgang mit Krisen gibt es drei Formen. Die erste Form des Umgangs mit einer Krise ist, die Ängste der Menschen zu teilen. Das führt schnell zu Entscheidungen mit einem geringen zeitlichen Horizont. Dann gibt es die Möglichkeit, die Ängste der Menschen zu verstärken, um daraus politisches Kapital schlagen zu wollen, darauf zu hoffen, dass sich die Ängste der Menschen in der Realität bestätigen, um den eigenen politischen Erfolg darauf zu gründen. Und es gibt den Weg, den wir als Koalition einschlagen, die Ängste der Menschen zu kennen, aber alles zu unternehmen, diese Ängste durch entschlossenes politisches Handeln zu reduzieren. Das ist unser Weg.

Wir wollen das Land nicht spalten, sondern es aus dieser Krise heraus in seine Zukunft führen.

Deshalb ist der neue Bundeshaushalt nicht allein ein Krisenetat, sondern auch ein Etat, der mutig Schwerpunkte für die Zukunft setzt. Ich denke an die Investitionen in erneuerbare Energien, die wir möglich machen, das umfängliche Finanzierungsvolumen für saubere Technologie, an unsere Maßnahmen zur Stärkung und Ertüchtigung unserer Infrastruktur. Der Koalitionsausschuss hat hier am Wochenende einen zusätzlichen Schwerpunkt im Bereich der Verkehrs- und insbesondere der Schieneninfrastruktur gesetzt: 50 Milliarden Euro für Investitionen im Jahr 2023 allein aus dem Bundeshaushalt. Die Mittel aus den Programmen des Klima- und Transformationsfonds kommen noch dazu. Die Transformation unseres Landes gehen wir verstärkt an wegen dieser Krise und der Prioritäten, die sie von uns verlangt

All das kostet Geld; wir führen ja auch eine Haushaltsberatung.

Dennoch erlaube ich mir, an dieser Stelle zu sagen, dass das Geld aus dem Staatshaushalt eben nicht alleine entscheidend ist, um Zukunft zu gewinnen. Möglicherweise ist das, was aus dem privaten Sektor an privatem Kapital mobilisiert werden kann, entscheidend dafür, dass die Transformation gelingt. Dafür haben der Kollege Justizminister Marco Buschmann und ich zum Beispiel Eckpunkte für ein Zukunftsinvestitionsgesetz vorgelegt. Und die Bundesregierung hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt, um schon in diesem Herbst die Planungs- und Genehmigungsverfahren so zu beschleunigen, dass erneuerbare Energie in ihren Kapazitäten gesteigert wird, die Infrastruktur modernisiert wird und auch private wirtschaftliche Vorhaben realisiert werden können. Unser Land kann vieles, unser Land kann mehr. Wir müssen dafür sorgen, dass das, was in unserem Land steckt, in dieser speziellen Krise endlich zur Entfaltung kommen kann.

Wir sind ökonomisch in einer außerordentlich herausfordernden Lage.

Das wurde durch die Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank heute noch einmal deutlich. Es ist ein großer Zinsschritt, der verdeutlicht, dass sich alle der Herausforderung stellen müssen, die Inflation zu bekämpfen, um das an der Stelle einmal zu sagen. Es würde niemand von einem liberalen Finanzminister etwas anderes erwarten als das, was ich jetzt sage, nämlich dass wir wirtschaftliche Prosperität und Wachstum wollen. Aber in dieser speziellen wirtschaftlichen Situation liegt die Priorität auf der Bekämpfung der Inflation. Denn Inflation ist das Verarmungsprogramm für die Familien in der Mitte der Gesellschaft. Inflation führt dazu, dass unternehmerische Risiken gescheut und Investitionen unterlassen werden. Deshalb ist die erste Priorität, die Inflation zu bekämpfen; denn sie würde sonst unser wirtschaftliches Fundament unterspülen.

Dabei will ich klarmachen, dass wir nicht jede Herausforderung mit staatlichen Mitteln abfedern können.

Wir können soziale Härten verhindern, wirtschaftliche Strukturbrüche abwenden. Aber wir müssen realistisch sein, und wir dürfen keine falschen Hoffnungen wecken. Wir können nicht alles abwenden, was an Herausforderungen auf unser Land zukommt. Wir dürfen diesen falschen Eindruck auch nicht erwecken, weil wir den Menschen,  auch der Wirtschaft, natürlich die realistische Möglichkeit geben müssen, sich vorzubereiten.

Aber eine Zusage kann diese Bundesregierung geben, das politische Versprechen: Aufgrund von finanziellen Sorgen wird in diesem Land in diesem Winter niemand frieren und niemand hungern.

Wir haben das Entlastungspaket III in einer Größenordnung von schätzungsweise 65 Milliarden Euro politisch verabredet. Das sind nicht nur Maßnahmen, die auf den Bundeshaushalt 2023 gerichtet sind, sondern auch solche, die sich aus anderen Vorhaben – ich komme gleich kurz darauf zu sprechen – speisen. Natürlich wollen wir auch in diesem Jahr noch etwas möglich machen. Ich spreche über das Wohngeld und das Bürgergeld ab dem 1. Januar 2023. Aber es ist aufgrund der sorgsamen Haushaltsführung und der Entwicklung der öffentlichen Einnahmen möglich geworden, noch in diesem Jahr den Rentnerinnen und Rentnern für diesen Winter eine Einmalzahlung von 300 Euro zukommen zu lassen – ein klares Zeichen dafür, dass diese Koalition niemanden in unserem Land vergisst!

Wir haben uns vorgenommen, die kalte Progression im nächsten Jahr zu verhindern, und – das muss ich an dieser Stelle einmal sagen – das ist eine Frage der Gerechtigkeit.

Für mich ist die Abwendung der kalten Progression nicht im engeren Sinne eine Entlastungsmaßnahme, sondern die Abwehr zusätzlicher Belastung

Nehmen wir die Bezieher eines mittleren Einkommens von 43000 Euro; das ist das mittlere Einkommen in Deutschland. Im nächsten Jahr sind die 43 000 Euro viel- leicht noch 39 000 Euro Kaufkraft wert. Und dann sollen diese Menschen besteuert werden, als wären es noch 43 000 Euro? Das wäre eine zusätzliche Belastung. Das würde Menschen, die ihre Gasrechnung selber zahlen, in dieser schwierigen Zeit das Leben noch schwerer machen. Deshalb ist es richtig, dass die Ampelkoalition sich darauf verständigt hat, die kalte Progression im nächsten Jahr zu beseitigen.

Es wird auch Wirtschaftshilfen geben. Der Bundeswirtschaftsminister hat heute bereits Anregungen dazu gegeben, die wir gegenwärtig noch konkretisieren. Aber es werden präzise Maßnahmen sein, keine, die vergleichbar sind mit denen in der Coronapandemie, nicht vergleichbar sein können; denn wir haben ein Angebots- und kein Nachfrageproblem.

Wir wollen uns natürlich auch den Fragen der Ursachen von steigenden Preisen zuwenden, weshalb die Ampelkoalition auch beschlossen hat, dass es eine Strompreisbremse in der Energiewirtschaft geben wird – wie ich glaube, ein überlegenes Instrument.

Denn in Italien hat die dortige sogenannte Übergewinnsteuer nicht zu Staatseinnahmen geführt, sondern zu Klagen gegen den italienischen Staat. Wir brauchen Hilfe in der Krise und keine neuen Rechts- streite mit ihren Unsicherheiten. Trotzdem halten wir die Schuldenbremse des Grundgesetzes im kommenden Jahr ein. Der Koalitionsausschuss hat auch noch einmal am Wochenende bestätigt, dass wir an diesem Ziel festhalten. Es ist eine große Herausforderung auch für diese Haushaltsberatungen, die entsprechenden Schwerpunktsetzungen vorzunehmen unter den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen wir sind. das ist nicht nur eine Frage – und das ist mir wichtig zu sagen – der Verfassung. Aus Verfassungsgründen ist es ohnehin zwingend. Es ist vor allen Dingen auch ein Gebot der ökonomischen Klugheit. Inflation bekämpft man nicht mit immer neuen Staatsschulden, sondern nur dadurch, dass man zurück zur Seriosität und Solidität findet.

Dieser Text basiert auf der Rede des Bundesfinanzminister vor dem Deutschen Bundestag am 8. September.

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