Die Ethikwende - Von der Gesinnung zur Verantwortung
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In diesen aufregenden Zeiten ist es hilfreich, (sich) an den berühmten Soziologen Max Weber zu erinnern. In einem legendären Vortrag mit dem Titel „Politik als Beruf“ aus dem Jahr 1919 hat er „Gesinnungsethiker“ und „Verantwortungsethiker“ gegenübergestellt.

Der Verantwortungsethiker müsse die Folgen seines Handelns im Blick haben. Die Gesinnungsethiker dagegen machten sich frei von solchen Überlegungen. Die Konsequenzen ihres Denkens sind ihnen im Zweifelsfall gleichgültig. Es geht ihnen in erster Linie um Moral und um die Formulierung eines Absolutheitsanspruchs, koste er, was er wolle - was sich an zahlreichen Vorschlägen der Grünen zur Klimapolitik aktuell nachweisen lässt. Wer die Ethik nur an die Gesinnung bindet, wie es besonders im Lager links von der Mitte ( also bei den Grünen, der SPD und der Linken) vorkommt, hat sich meist schon entschieden: Erst kommt die Moral, dann die Fakten. Erst das Gewissen, dann das Wissen.
Diese Haltung gewinnt immer grösseren Zuspruch in der Politik und in den Medien. Auf diesem nicht gerade stabilen Fundament gehen täglich Millionen von Gesinnungsethikern eine weitgehend faktenfreie Verbindung mit den Wunschbildern vor allem der Grünen, aber auch der SPD und der Linken ein. Die Gesinnungsethiker sind hierzulande inzwischen in einem Masse präsent, an das Max Weber noch nicht einmal im Traum gedacht hat. Sie bestimmen die politische Diskussion, sie beherrschen die Strasse und ihre Geistesverwandtschaft in den Medien sorgt dafür, dass sie auf allen Ausspielwegen präsent sind.Machbarkeit und Überprüfbarkeit dieser „Gewissens-Orgie“ spielen für die genannten Gruppen oder Parteien keine oder eine untergeordnete Rolle. Die Gesinnung hat in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt die Herrschaft übernommen - gemeinsam mit ihrer Halbschwester, dem Nichtwissen, begleitet von Medienmenschen, die nie einen Zweifel daran gelassen haben, auf wessen Seite sie im Zweifelsfall stehen.
Das kalte Bad der Verantwortung
Auf einmal ist alles anders. Die Grünen im besonderen, aber auch die SPD, müssen wenige Wochen nach ihrer Regierungsübernahme zur Kenntnis nehmen, dass die Zeiten des Gesinnungs-getriebenen Wunschdenkens quasi über Nacht zu Ende gegangen sind. Putins Angriff auf die Ukraine hat binnen weniger Wochen die gesamte Aussen- und Sicherheitspolitik Deutschlands als untauglich, ja eigentlich verantwortungslos enttarnt und ausgerechnet die Ampelkoalition dazu gezwungen, die „Zeitenwende“ einzuläuten, von der der Bundeskanzler sprach. Im eiskalten Bad der Märztage 2022 werden die Grünen und die SPD gemeinsam mit den Freien Demokraten zu vorbildlichen Verantwortungsethikern, die 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr bereitstellen, den NATO-Beitrag der Bundesrepublik aufstocken sowie - nach anfänglichem Zögern - immer mehr Waffen in die Ukraine liefern.
Der Krieg gegen die Ukraine und die sich damit anbahnende Energiekrise markieren das Ende deutscher Gesinnungspolitik auf der Ebene des politischen Handelns. Die feministische Aussenpolitik der Annalena Baerbock ist genauso auf Eis gelegt wie die Klima-Aussenpolitik, die sich die Aussenminiterin zu Beginn ihrer Amtszeit auf die Fahnen geschrieben hatte. Und eine Aussenpolitik der Menschenrechte wird solange unter einem Verwirklichungs-Defizit leiden, wie sich Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck bis auf weiteres um Energielieferungen auch bei solchen Staaten bemüht, die das glatte Gegenteil von Demokratien sind. Unter Vizekanzler Joschka Fischer und seiner Aussenpolitik haben die Grünen zum erstenmal Verantwortung übernommen. Unter dem Klimaschutz- und Wirtschaftsminister Habeck sind sie endgültig erwachsen geworden. Mit Habeck erleben wir zudem einen neuen Typus Politiker. Er spricht die Wahrheit aus, auch wenn sie unangenehm ist. Für diese Haltung bekommt er sogar Beifall. Wer hatte in unserer Poltikerzunft bisher schon den Mut zu einem Satz wie diesem:
„Wir werden ärmer werden. Die Gesellschaft wird es tragen müssen. Die Frage ist, wie wir das gerecht verteilen, aber dass fad ohne Kosten für die Gesellschaft ausgeht, ist nicht denkbar. Der Preis ist aber im Vergleich zur Ukraine klein genug.“