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Gesellschaft & Kultur > Die Chinesen werden nie den Westen überholen – Ihr System gründet auf Unfreiheit

Wird Europas Kultur asiatisch oder gar chinesisch?

Chinas Einfluss auf die Welt wächst. Aus dem einstigen Kaiserreich, das Qin Shihuangdi 200 Jahre vor Christius gründete, ist spätestens unter Xi Jinping wieder eine Weltmacht geworden. Anstelle den chinesischen Mauer und der ehrwürdigen Dynastien sind jetzt die kapitalistischen Turbokommunisten getreten. Doch Chinas Kunst war nie so weit weg von Europa wie ein Blick in die europäische Geschichte zeigt. Aber hat das Imperium aus Fernost auch die Macht, Europa kulturell zu verändern? Von Stefan Groß-Lobkowicz.

Chinesischer Drache, Foto: imago images / Imaginechina-Tuchong
Chinesischer Drache, Foto: imago images / Imaginechina-Tuchong

Das 21. Jahrhundert wird pazifisch sein

Ausgerechnet zwei Amerikaner und ein Deutscher warnten bereits vor 30 Jahren vor einer geopolitischen Verschiebung der Machtverhältnisse von Europa und Amerika hin zu Asien. Galt das 20. Jahrhundert noch als atlantisch, sollte, so die Prophezeiung von damals, das 21. Jahrhundert pazifisch sein. Mit ihrer Analyse eilten Samuel Huntington, Francis Fukuyama und Henry Kissinger ihrer Zeit voraus. Was sie in den 1990er Jahren mit Alarmismus und kassandrahaft verstörend postulierten, ist zur neu gewonnenen Realität geworden. Doch China war nie so weit weg von Europa, wie ein Blick in die europäische Geschichte zeigt

Chinaeuphorie im 18. Jahrhundert

Die Chinaeuphorie auf dem europäischen Kontinent ist keineswegs neu. Der europäische Kontinent war einst geradezu von Fernost gefangen. Von 1650 bis1820 blühte die Chinoiserie in allen Varianten. Ob Porzellan, Fayancen, Lackmöbel, chinesische Gärten und Architekturen – überall, wie im Schlosspark Nymphenburg, im Englischen Garten in München, im chinesischen Garten von Oranienbaum bei Dessau, die von Jean-Baptiste Pillement und William Chambers ausgelöste China-Euphorie entfaltete sich buchstäblich in die europäische Kultur hinein. Selbst der große preußische Aufklärer und König, der Philosoph auf dem Thron der Macht, Friedrich der Große, hatte sein Schloss in Sanssouci fantasievoll im Chinoiseriedekor ausgestattet. Und überall in Europa wuchsen Pagoden und Pavillons zum Himmel. Sie allesamt waren Symbole für die Sehnsucht der Europäer nach den fragil- hochverfeinerten Luxusgegenständen aus einem unbekannten, märchenhaft-exotischem Reich. Der Mythos von China, dem Idealreich in Fernost, das einst Marco Polo bereist und von Zauberhand für die Europäer vermittelte, war en vogue. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts vermittelten jesuitische Missionare ein Bild von Asien, welches die fernöstliche Welt in einer Idealform darstellte, als hochkultiviert und zuhöchst zivilisiert. Selbst für den Philosophen und letzten Universalgelehrten Leibniz wird China ein Reich, „das gleichsam wie ein Europa des Ostens das entgegengesetzte Ende der Erde ziert“ („Novissima Sinica“). Doch dieser Chinaenthusiasmus blieb Jahrhunderte hinweg exklusiv, fokussierte sich auf die oberen Zehntausend samt gediegenem und kostspieligem Kunstenthusiasmus. Für das Volk blieb Chinas Kunst unerreichbar. Erst als umsichtige Monarchen in den 1900er Jahren die barocken und späteren englischen Landschaftsgärten für die breite Öffentlichkeit, für das Volk, die sogenannten „Volksgärten“ öffneten, stand der Blick nach Asien durch den Fokus der Kunst allen offen.

Das 20. Jahrhundert war amerikanisch

Das 20. Jahrhundert veränderte alles. Eine geradezu beispielslose Adaption, ein Amerika-Hype mit Breitenwirkung durch alle Schichten der Gesellschaft hinweg, griff tief in die Kultur und Wirtschaft nach 1945 ein. Der „American Way of Life“ hatte die Deutschen nach dem Krieg als Kulturnation verändert. Die USA wurde kulturstiftend und -gebend. Alles, was über den großen Ozean schwappte, wurde adaptiert. Breitenwirksam griff Amerika in das Rad der Geschichte und prägte über ganze Generationen und Bevölkerungsschichten hinweg den deutschen Zeitgeist, ob in der Wirtschaft oder in der Alltagskultur. Deutschland war der Schwamm und Amerika das Glück spendende Wasser, das buchstäblich aufgesogen wurde. Elvis Presley, Marilyn Monroe, Roy Lichtenstein, Andy Warhol, Bill Haley, Lady Gaga, Kim Kardashian, Blue Jeans, Tupperware-Partys, Coca-Cola, Hot Dog, Hollywood-Schaukel, Straßenkreuzer und Einbauküche – Europa wurde zum Spiegel der amerikanischen Erfolgsgeschichte. Der Jazz, die „klassische Musik Amerikas“, floh aus den Kellern von New Orleans und Louisiana mit Louis Amstrong, Billy Taylor und Wynton Marsalis buchstäblich über den Atlantik, rockte die Welt mit purer Lebensfreude, brachte die Clubs von Westberlin bis hin nach Westdeutschland buchstäblich zum bersten. Sinatra und Hollywood, Walt Disney und Micki Maus, Walt Whitmann, Mark Twain, Ernest Hemingway oder Susan Sonntag, so unterschiedlich sie alle waren, verdrängten die deutschen Klassiker, alles war hipper, flippiger als die Spießbürgeridylle einer Kulturnation, die nach den Repressalien des Zweiten Weltkrieges den Taumel des Lebendigen feierte, die ungezwungene Vitalität des amerikanischen Traumes einatmen wollte. Mit der Erfindung des iPhones kam dann endgültig eine Technik nach Europa, die kultisch verehrt, fast zum Religionsersatz wurde. Mehr Amerika ging nicht. Doch in den letzten 30 Jahren ist die Stimmung gekippt – nicht erst seit Donald Trump durch die Welt poltert, Rassenunruhen die USA entflammen, Amerika zum Kriegstreiber im  Zweiten Golfkrieg und im späteren Irakkrieg wurde und den Flächenbrand im Nahen Osten ausgelöst hat: Massenmigration, Armut und Tod im Gepäck. Amerika war out, Asien wieder in.

Nach 200 Jahren kommt China in die europäische Kultur zurück

Die chinesische Kunst blüht – inmitten von Berlin. Die Spreemetropole wird zum Anziehungspunkt junger Asiaten, die die Szene immer mehr prägen und bevölkern. Nach dem bürgerlichen Biedermeier und der Ikea-Schrankwand erobern exotische Stücke aus Fernost die Wohnzimmer. Auf den europäischen Auktionsmärkten haben die Preise für Möbel aus Fernost deutlich angezogen. Der Trend gen China setzt sich innerhalb der deutschen Hochschullandschaft fort. Immer mehr Universitäten verbuchen einen Boom bei Einschreibungen in Fächern wie Sinologie. Die Religionen des Ostens, ob Buddhismus, Daoismus und Konfuzianismus drängen immer mehr Menschen aus der Amtskirche, untermauern sie doch den Wunsch nach persönlicher Religiosität, jenseits von protestantischer Strickpulli-Mentalität und Folklore-Gottesdiensten. Ein neues religiöses Gefühl erwacht, das immer weniger mit dem Papst in Rom, der Diktatur der alten weißen Männer im Vatikan, dem Poker um die Macht und den „Missbrauch“ des Religiösen anzufangen weiß. Jenseits vom Synodalen Weg erwächst inmitten der Säkularisierung ein Gegentrend. Die aus asiatischen Lehren und Religionen selbst zusammengezimmerte neue Religion erwacht im Stil einer emanzipierten Lebens- und Sinnsuche, die sich Religion nunmehr selbst nach dem LEGO-Baukasten schmiedet.

Die Tattoo-Kultur der Asiaten feiert eine Renaissance, wird geradezu zum neuen Köperkult. Wer was auf sich hält, veredelt seinen Körper schon lange nicht mehr mit einem Seemanns-Tattoo, sondern mit Drachen und Manga-Motiven aus Japan. Chinesische Künstler wie Ai Weiwei genießen Kultstatus und die Asiaten bringen der Kunst den Akademismus zurück. Statt postmodernem Allerlei und dem wilden Happening der 70er Jahre ist es eine neue Generation von Künstlern, die dem alten Europa die akademische Kunst, den akademischen Realismus oder Akademismus ins Gedächtnis zurückruft. Die Asiaten sind es, die dem Wildwuchs in der zeitgenössischen Kunst das Regulativ des Könnens und die Maxime der Kunstwahrheit – samt strenger Einhaltung der formalen technischen und ästhetischen Regeln – entgegenstellen.

Was den Chinesen fehlt, ist die Freiheit

Aber bei allem, was aus Asien und China gerade nach Europa schwappt oder in den letzten Jahrhunderten rezipiert wurde, ist dennoch nicht zu befürchten, dass das chinesische Reich in naher Zukunft die Kultur Europas verändern oder gar bedrohen wird. Zu sehr ist das Land um Machthaber Xi Jinping darauf bedacht, seinen poltisch-militärischen und wirtschaftlichen Einfluss zu festigen. Die globale Infiltration durch Kunst hat das China derzeit daher noch nicht auf der Agenda, gleichwohl wirtschaftliche und politische Einflüsse die Gesellschaft global auch kulturell prägen und verändern. Und so sehr es umgekehrt eine gewisse Renaissance des Asiatischen und Chinesischen in Europa geben mag, die freiheitliche Ordnung, die Errungenschaften der Aufklärung, der friedliche Sturz des Sozialismus und das Zusammenfallen des kommunistischen Ostblocks im Jahr 1989 wird bei den Europäern das Bewusstsein wach halten, dass ein Leben nur durch und in Freiheit wahrhaft vernünftig und wirklich sein kann. Diese Freiheit der Entscheidung werden sich die Europäer nach zwei vernichtenden Diktaturen nicht wieder nehmen lassen. Und ein System wie das chinesische, welches wie George Orwells „1984“ oder Aldous Huxleys dystopischer Roman „Brave New World“ als Überwachungsstaat daherkommt und die Freiheitsrechte beschneidet, bleibt kontraproduktiv zu einer Kultur von freien Bürgern, die sich ihre Kreativität nicht von einem repressiven System vorschreiben werden, sondern es ganz mit dem deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel halten werden: „Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“. Und dieses garantiert nicht der chinesische Turbokapitalismus samt pseudo-religiösen Allmachtsphantasien, sondern der Rechtsstaat und die freiheitliche Demokratie. Bei aller Euphorie im pazifischen Zeitalter – die Freiheit muss den Sieg davontragen.

 

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