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Gesellschaft & Kultur > Deutschland hat ein Rassismusproblem

Die Grünen: Unsere zehn Punkte gegen Rassismus

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"Deutschland hat ein Rassismusproblem, und das nicht erst seit Hanau und Halle. Dagegen braucht es eine dauerhafte gesellschaftliche wie staatliche Mobilisierung. Wir haben dazu einen 10-Punkte-Plan vorgelegt", so die Grünen auf ihrer Webseite.

Stoppt Profiling aufgrund der Rassenzugehörigkeit, Foto: picture alliance/dpa | Christoph Soeder
Stoppt Profiling aufgrund der Rassenzugehörigkeit, Foto: picture alliance/dpa | Christoph Soeder

  • Deutschland hat ein Rassismusproblem, und das nicht erst seit Hanau oder Halle. Rassismus fängt nicht erst mit Gewalt an. Rassismus beginnt da, wo Menschen beispielsweise aufgrund ihres Aussehens, ihrer vermeintlichen Herkunft oder einer Religionszugehörigkeit anders behandelt, ausgegrenzt oder diskriminiert werden.
  • Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Rassismus zu bekämpfen und ein diskriminierungsfreies Umfeld zu schaffen. Dafür brauchen wir eine breite und dauerhafte gesellschaftliche wie staatliche Mobilisierung. Dafür haben Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen einen 10-Punkte-Plan vorgelegt.
  • Es ist viel zu tun. Das fängt schon beim Grundgesetz an. Wir wollen dort das Wort „Rasse“ ersetzen. Denn menschliche „Rassen“ gibt es nicht, rassistische Ideologien schon.

Rassismus: Nicht nur ein Problem der anderen

Strukturelle Benachteiligung, Diskriminierung und Rassismus gegen Schwarze und PoC vergiften auch Deutschland. In ihrem aktuellen Bericht vom 9. Juni 2020 stellt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) fest, dass die Zahl gemeldeter Diskriminierungsfälle erneut gestiegen ist. Das gilt insbesondere für Fälle rassistischer Diskriminierung. Hier wuchs die Zahl der bei der ADS eingegangenen Meldungen auf 1176 Fälle im Jahr 2019 an (2018: 1070 Fälle).

Benachteiligung bei der Ausbildungsplatz- und Arbeitssuche, im Wohnungsbereich und in zahlreichen anderen Situationen des Alltags sind für viele eine oft gemachte bittere Erfahrung, ebenso Abwertung, Ausgrenzung und rassistische Zuschreibungen im öffentlichen Diskurs. Rassistische Muster sind bis in die Mitte unserer Gesellschaft hinein – und auch in staatlichen Institutionen – stark verankert.

Die rassistisch motivierten rechtsterroristischen Anschläge von Halle und Hanau haben uns erst kürzlich erneut vor Augen geführt, dass die Bekämpfung von Rassismus eine gesamtstaatliche Aufgabe ist und einer umfassenden Veränderung von Analysefähigkeit, Struktur und Praxis deutscher Sicherheitsbehörden bedarf.

Grundgesetz: „Rasse“-Begriff ersetzen und Schutzpflichten ausbauen

Rassismus bekämpfen ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Zu der notwendigen Gesamtstrategie gehört auch, das historisch als Gegenbegriff zur NS-Rasseideologie gemeinte, aber – weil es beim Menschen keine Rassen gibt – in der Sache falsche Wort „Rasse“ bei den Diskriminierungsverboten in Artikel 3 Absatz 3 GG zu ersetzen. Stattdessen soll dort verankert werden, dass niemand rassistisch benachteiligt werden darf. Zusätzlich wollen wir das Grundgesetz ergänzen um die ausdrückliche Pflicht des Staates, Schutz gegen jedwede gruppenbezogene Verletzung der gleichen Würde aller Menschen zu gewährleisten. Dazu haben wir einen Gesetzentwurf erarbeitet. Den Entwurf haben wir am 12. Juni den Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU, SPD, FDP und Linken übersandt und sie eingeladen, dieses Vorhaben gemeinsam im breiten Konsens der demokratischen Fraktionen im Bundestag anzugehen. Das wäre eine kraftvolle Ansage gegen die menschenverachtende rassistische Hetze und Bedrohung, mit der viele Menschen in unserem Land Tag für Tag konfrontiert sind.

Das Wort „Rasse“ durch ein Verbot rassistischer Benachteiligung zu ersetzen, würde die Intention der Mütter und Väter des Grundgesetzes heute viel besser zum Ausdruck bringen, als der damals zeitgebunden gewählte Begriff. Dieser erschwert heute den Kampf gegen Rassismus und wird von Vielen zu Recht als abwertend empfunden. Betroffene möchte sich in einem Rechtsstreit um Diskriminierung nicht auf den „Rasse“-Begriff berufen müssen.

Und es gibt noch mehr zu tun in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes. Bereits 2019 haben wir gemeinsam mit den anderen demokratischen Oppositionsfraktionen einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der die Diskriminierungsverbote um das Merkmal „sexuelle Identität“ erweitern will. Auch Homo-oder Transfeindlichkeit muss entschieden entgegengetreten werden. Über 70 Jahre nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes muss es darin endlich auch heißen: Niemand darf wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt werden. Diese beiden Gesetzentwürfe zum Grundgesetz ergänzen sich bestens und können gemeinsam umgesetzt werden.

Gesellschaft der Vielen gestalten

Eine Gesellschaft der Vielen muss allen Herabwürdigungen, Ausschlüssen und Bedrohungen jederzeit und an jedem Ort entschieden entgegentreten. Zusätzlich zu den Änderungen im Grundgesetz gibt es eine Fülle weiterer Aufgaben, die nun endlich angepackt werden müssen. Die rassismuskritische Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft muss zur ChefInnensache werden mit einer/einem Antirassmismusbeauftragten im Bundeskanzlerinnenamt. Auch der neu eingerichtete Kabinettsausschuss der Bundesregierung kann einen wichtigen Beitrag leisten, wenn durch ihn ressortübergreifende Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, welche die Expertise der Verbände, MigrantInnenorganisationen und der aktiven Zivilgesellschaft einbeziehen. Wir schlagen dafür einen Partizipationsrat vor. Antirassismus wird nur Erfolg haben, wenn die Perspektive und Expertise von Menschen mit Rassismuserfahrungen gehört wird.

Zivilgesellschaftliches Engagement rechtlich absichern

Die Förderung zivilgesellschaftlicher Arbeit zur Demokratiestärkung, gegen Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit muss als Daueraufgabe über ein Demokratiefördergesetz nachhaltig gestaltet und finanziell strukturell abgesichert werden, wobei die Unabhängigkeit zivilgesellschaftlichen Engagements nicht ausgehöhlt werden darf. Deshalb fordern wir von der Bundesregierung einen Entwurf für eine bundesgesetzliche Grundlage zur Demokratieförderung.

Das Gemeinnützigkeitsrecht muss dringend reformiert werden. Dazu muss die Bundesregierung Rechtssicherheit bei den förderfähigen Zwecken in § 52 der Abgabenordnung bei gemeinnützigem bürgerschaftlichem Engagement gegen Rassismus, für Grund- und Menschenrechte und unsere Demokratie über einen entsprechenden Gesetzentwurf schaffen. Dazu haben wir einen Antrag eingebracht.

Gleichbehandlungsgesetz und Antidiskriminierungsstelle stärken

Um seinem Anspruch, Diskriminierung effektiv zu bekämpfen, gerecht werden zu können, muss das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) reformiert werden. Um aus dem zahnlosen Tiger ein scharfes Schwert im Kampf gegen Diskriminierung zu machen, fordern wir ein umfassendes Verbandsklagerecht und das Schließen von Rechtslücken, unter anderem durch die Streichung der wohnungsrechtlichen Ausnahmetatbestände. Wir brauchen ein AGG, das Betroffene in der Durchsetzung ihrer Rechte wirkungsvoll unterstützt und echten Rechtsschutz gewährleistet. Unsere Vorschläge liegen seit langem auf dem Tisch.

Die Ausstattung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) muss deutlich aufgestockt werden. Zudem ist seit nunmehr fast drei Jahren die Leitung der ADS nur kommissarisch besetzt. Diesen unverantwortlichen Zustand muss die Bundesregierung unverzüglich beenden, damit die ADS ihre Aufgaben wieder in vollem Umfang und unabhängig wahrnehmen kann. Die Stärkung der ADS ist auch deshalb dringend notwendig, um zu einer Stabsstelle zur Bekämpfung von jeder Form von Rassismus zu kommen.

Sicherheit für alle in der Einwanderungsgesellschaft

Wenn die Polizei ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, dann gibt es auch in der Polizei Fehlverhalten. Die allermeisten PolizistInnen gehen sehr verantwortungsvoll mit ihren Befugnissen um, aber jeder Fall, in dem das nicht geschieht, ist einer zu viel. Deshalb müssen wir gemeinsam an Lösungen arbeiten. Wir fordern eine/n Polizeibeauftragte/n des Bundes an die oder den sich sowohl BürgerInnen als auch PolizistInnen wenden können. Zudem muss Antirassismus zum festen Bestandteil der Lehrpläne in der Polizeiausbildung und in Fortbildungen während des Berufslebens werden. Besondere Bedeutung hat der Schutz von Opfern rechter Gewalt. Aus Fehlern der Vergangenheit müssen wirksame Konsequenzen gezogen und endlich alle Handlungsempfehlungen der NSU-Untersuchungsausschüsse umgesetzt werden. Rassistisch motivierte Straftaten müssen umfassend statistisch erfasst werden.

Es muss sichergestellt werden, dass Staatsorgane niemanden aufgrund von Merkmalen pauschal verdächtigen. Hier brauchen wir dringend eine umfassende Datengrundlage und Forschung zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, wie zum Beispiel rassistischen Einstellungsmustern und zum Thema „Racial Profiling“, um diesen Phänomenen gezielt entgegen zu wirken. Auch dazu sind wir im Bundestag aktiv geworden.

Eigene Geschichte und Strukturen hinterfragen

Deutschlands koloniale Vergangenheit ist ein integraler Bestandteil unserer Geschichte und die kritische Aufarbeitung muss auch immer Teil unserer Gegenwart sein. Um einer pluralen Demokratie gerecht zu werden, sollten sich die vielfältigen und unterschiedlichen Perspektiven auf deutsche Geschichte und Gegenwart auch in den Lehrplänen widerspiegeln.

Als Grüne im Bundestag sehen wir es als notwendig an, themenübergreifend rassistische Diskriminierungsmuster aufzuzeigen und ihnen konsequent entgegenzuwirken. Das gelingt nur mit einer echten Einbindung der Zivilgesellschaft, deren Expertise und Perspektive unverzichtbar ist. Dabei ist es uns wichtig, diejenigen, die von strukturellem und institutionalisiertem Rassismus betroffen sind, zu Wort kommen zu lassen, anstatt für sie zu sprechen, auch unsere eigenen Strukturen konsequent zu hinterfragen und gemeinsam eine rassismuskritische und diskriminierungsfreie Gesellschaft zu gestalten.

Quelle: Bündnis 90 / Die Grünen

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