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Gesellschaft & Kultur > „Der Staat“ kann uns nicht schützen - nur verbieten

Coronakrise: Es gibt nur Aktionismus gegen unsere Grundrechte und gegen die demokratischen Regeln

Alles wieder auf Anfang(?) Knapp neun Monate nach dem ersten Lockdown folgt nun der zweite. Zwar nicht ganz so rabiat wie der erste; doch auch eine Wiederholung des Frühjahrs mit quasi kompletter Eliminierung des öffentlichen Lebens wird ernsthaft in Betracht gezogen. Die Regierungen in Berlin und den Ländern waren offenbar nicht in der Lage eine nachhaltige Strategie gegen die Pandemie zumindest zu entwickeln und einzuleiten. Sie sind es auch heute noch nicht. Stattdessen gibt es Aktionismus gegen unsere Grundrechte und gegen die demokratischen Regeln. Und für uns wird klar, was kein Politiker zugeben will: Der Staat kann Dich nicht schützen. Von Andreas Mohring.

Hardenbergplatz,Deutschland fährt das öffentliche Leben einen Monat lang weitgehend runter, Foto: imago images / Stefan Zeitz
Hardenbergplatz,Deutschland fährt das öffentliche Leben einen Monat lang weitgehend runter, Foto: imago images / Stefan Zeitz

Diese Einsicht in der Pandemie hat optimistische und pessimistische Seiten. Es kann dazu führen, wieder zu einem Staatswesen zu kommen, das seine grundsätzlichen Verpflichtungen erfüllen kann. Genau dafür halten wir Bürger uns ja einen Staat, durch unsere Steuern, Rechtstreue und gesellschaftliche Solidarität. Es kann andererseits auch dazu führen, dass die Kontrolle der Bürger und das Zertrümmern der Demokratie in immer neuen Schritten weitergeht. Dann halten nicht die Bürger sich einen Staat, sondern der Staat hält sich seine Bürger. Die Corona Pandemie zwingt die Politik zum Handeln. Das ist richtig. Jedoch sind die Entscheidungen allesamt kurzfristig motiviert. Das wird ja auch genau so kommuniziert: Das wichtigste Ziel der neuen Lockdown Maßnahmen ist, dass wir „ein einigermaßen entspanntes Weihnachten feiern können“. Der Horizont im Kampf gegen eine globale Pandemie reicht also bis zur Bescherung demnächst unterm heimischen Weihnachtsbaum. Eine langfristige Zielbeschreibung vermag keiner von denen zu geben, die jetzt die angeblich alternativlosen Zwangsmaßnahmen erlassen - und gleich die Drohung hinterher schieben, es könne auch alles noch schlimmer kommen und die Polizei könne durchaus jederzeit in der eigenen Wohnung auftauchen. Es geht ja schließlich um ein höheres Ziel: Einigermaßen erträglich Weihnachten feiern…

Aktionismus zerstört Solidarität

Wenn nun immer mehr Menschen das Vertrauen verlieren und auch die Lust, bei den verordneten Maßnahmen mitzumachen, dann kann das nicht verwundern. Motivation und Kooperation können eben langfristig nicht per Verordnung geschaffen werden. Das geht nur über ein langfristiges gemeinsames Ziel und vor allem über einen gesellschaftlichen Konsens, bei dem für jedes Individuum klar ist, was für ihn oder sie, salopp gesagt, dabei herausspringt, wenn man mitmacht. Diesen Konsens gibt es nicht. Es gab ihn durchaus zu Beginn der Pandemie in Europa. In den letzten Monaten hätte dieser Konsens geschaffen werden können und müssen. Das ist nicht geschehen und das ist vielleicht das größte Versäumnis von allen. Der gesellschaftliche Zusammenhalt löst sich auf, weil Menschen den Sinn von Maßnahmen nicht verstehen. Sie verstehen ihn nicht, weil es offenkundig willkürliche Zwangsmaßnahmen sind, beispielsweise Konzertsäle oder Sportanlagen im Freien zu schließen, wenn in den letzten Monaten nicht ein einziger Superspreader-Event bei Kulturveranstaltungen oder beim Sport bekannt geworden ist. Tatsächliche oder gefühlte Willkür fördert Trotz und zerstört Solidarität. Stück für Stück, schleichend aber nachhaltig, mit jeder Lockdown-Woche etwas mehr. Die Folgen davon werden sich in einigen Monaten oder auch erst in einigen Jahren manifestieren.

Gehandelt werden muss aber jetzt. Wir können nicht warten, denn das Virus würde auch nicht warten. So lautet das Mantra der Bundes- und Landesregierungen. Mal abgesehen davon, dass ein Virus weder warten, noch sich beeilen oder sonst wie bewusst geplant handeln kann: Wenn man sich auf das Bild trotzdem einlassen wollte, dann hat das Virus durchaus gewartet, nämlich vom Beginn der Sommerferien im Juni bis jetzt. Menschen und politische Entscheidungsträger können und müssen dagegen durchaus bewusst und geplant handeln. Dafür sind sie mit ihren Mandaten ausgestattet. Das haben sie in den „Wartemonaten“ des Virus ganz offensichtlich zumindest nicht ausreichend oder nicht richtig getan. Sonst würde es ja jetzt keinen zweiten Lockdown geben, von dem eben diese Bundes- und Landesregierungen noch im Frühling behauptet hatten, er müsse mit allen Mitteln verhindert werden. Entweder wurden nicht alle Mittel eingesetzt oder die falschen. Daher müssen jetzt zwangsläufig die Mittel eingesetzt werden, die zwar auch nicht die richtigen sind, aber zumindest kurzfristig verfügbar und spürbar. Denn es geht um den Effekt. Um den Effekt der erzwungenen Kontaktreduzierung aus epidemiologischen Gründen. Genauso aber um den Effekt, dass „etwas getan wird“, dass Handlungen in Gang gesetzt werden, Änderungen spürbar sind, Einschnitte erfolgen und irgend jemand irgendwie auf irgendeine Weise zahlen muss. Es ist ein Vorgaukeln von Kontrolle durch Aktionismus. Jeder weiß, dass so weder das eigentliche Problem gelöst oder nennenswert verringert wird. Jeder ist sich im Klaren darüber, dass eine verlangsamte Entwicklung eben nur langsamer abläuft, aber am Ende nicht anders. Jeder weiß, dass es die Aufgabe und Pflicht und Schuldigkeit jedes Einzelnen von uns ist, sich so gut wie möglich innerhalb der gegebenen Umstände des Alltagslebens zu schützen und auf sich selbst zu achten. Darum muss auch jeder so ehrlich sein und akzeptieren: Der Staat kann mich vor derartigen Herausforderungen und Risiken nicht schützen. Alles was der Staat tun kann und tut ist: Schließen, Verbieten, Drohen und Bestrafen.

Die Anspruchshaltung ist zu hoch

Warum ist das so? Es liegt an der kurzfristigen Perspektive und Anspruchshaltung der Politik - die sie von uns übernommen hat. Wir haben uns daran gewöhnt und setzen voraus, dass Antworten sofort parat sein müssen, das Bedürfnisse und Nachfragen selbstverständlich „on demand“ befriedigt werden müssen, dass alle Probleme mit dem nächsten Update gefixt sind. Auch klatschen wir gerne für die „Helden“ in Kliniken, Arztpraxen, an der Kasse oder in der Betreuung. Doch selber wollen wir uns natürlich keinem Risiko aussetzen. Dazu gesellt sich eine mediale Welt, die genau diesen Anspruch der Kurzfristigkeit und der Geschwindigkeit aufnimmt, widerspiegelt und verstärkt. Aus Interesse wird Hype, aus Hype wird Panik. Wer wollte da noch widersprechen und damit die eigene Position gefährden. Wenn Reaktionen vor allen Dingen schnell und sichtbar sein müssen, und nicht unbedingt sinnvoll und langfristig richtig, dann gibt es eben auch genau diese „Lösungen“. Einer derart verwöhnten Gesellschaft will niemand die Wahrheit zumuten, dass ein Pandemie-Virus nicht kurzfristig „vom Staat“ oder „der Politik“ besiegt werden kann. Es übersteigt einfach die Leistungsfähigkeit eines Staates, dem Anspruch gerecht werden zu wollen, jede und jeden Staatsbürger schützen zu können. Wir Staatsbürger wissen das auch, wollen es aber nur ungern wahrhaben. Notwendig wären darum Staatsmänner und Staatsfrauen, mit dem Mut und der langfristigen Perspektive, das auch klar zu kommunizieren.

Die gibt es aber nur sehr selten - vielleicht in Skandinavien oder Taiwan. In Deutschland wird erst verwaltet und dann hektisch verordnet, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Nachhaltige Politik hieße aber, früh zu handeln und zu entscheiden, damit die absehbare Zukunft auf einer zwar nicht vollständig sicheren, aber weitgehend abgesicherten Basis steht. Die in dieser Hinsicht wiederum logische Folge solcher Politikmuster ist Politikversagen und Staatsversagen. Davon gibt es alleine aus diesem noch jungen Jahrhundert gleich mehrere Beispiele. Islamistischer Terror in praktisch allen Ländern  Europas, mehrere Finanz- und Währungskrisen, die sogenannte „Flüchtlingskrise“ von 2015, die bis heute anhält und nun die Corona Pandemie. In allen Beispielen war und ist der Staat nicht fähig (gewesen), die Gefährdungen und Risiken rechtzeitig abzuwenden, bestehendes Recht und die verfassungsgemäße Ordnung aufrecht zu erhalten und zu garantieren. Ein kurzfristig in allen möglichen Bereichen aktionistischer Staat ist eben kein starker Staat. Und eine eben solche Politik ist weder nachhaltig, noch demokratisch und damit auch nicht im Sinne des Wortes staatstragend.

Robustheit gegen Risiken

Wie sieht die Alternative aus? Wie kommen wir zu einem leistungsfähigen Staat als Ausdruck einer starken Gesellschaft und zu nachhaltiger Politik? Indem wir im Sinne der Nachhaltigkeit nicht mehr verlangen und verbrauchen, als für unsere Sicherheit notwendig ist und damit die Chancen für künftige Generationen wahren und im besten Falle sogar verbessern. Dieses Verständnis von Nachhaltigkeit sollte die Basis unseres gemeinsamen Gesellschaftsvertrages sein. Der Staat muss sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren, nur dann ist er leistungsfähig und stark. Diese Kernaufgaben sind Rechtssicherheit, innere Sicherheit, äußere Verteidigung, Bildung, Infrastruktur und Krankenversorgung (das ist etwas anderes als Schutz möglichst aller vor Krankheit!). Wir Bürger müssen mehr Freiheit und Verantwortung übernehmen. Das heißt, dass wir uns nicht nachvollziehbare Willkürverordnungen nicht mehr gefallen lassen müssen. Das heißt auch, dass wir unsere Erwartungshaltung und Ansprüche gleichzeitig auf ein angemessenes Maß einpendeln müssen. Und dass wir Risiken ertragen müssen. In der Politik und im Staatswesen muss die langfristige Perspektive die Maxime bilden und Entscheidungen müssen in erster Linie danach getroffen werden. Das schafft die notwendige Robustheit in zunehmend unsicheren Zeiten. Es schafft vor allem Vertrauen; Vertrauen, das gerade beschädigt, sogar zerstört wird. Doch ohne Vertrauen kann kein Gemeinwesen überleben.

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