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Europa > Regionalwahlen im Baskenland und in Galicien - Linkspopulistische Podemos-Partei im freien Fall

Spanischer Staat und Autonome Gemeinschaften in Zeiten der Pandemie

Der Misserfolg für Unidas Podemos bei den Wahlen in beiden Autonomen Gemeinschaften war vorauszusehen. Das Hauptproblem der Partei ist ihr innerparteilicher Zentralismus, so unser Autor Werner Altmann.

Demonstration von Anhängern der Partei Podemos, Foto: imago images / Future Image International
Demonstration von Anhängern der Partei Podemos, Foto: imago images / Future Image International

Wahlen und Pandemie

Das erste Opfer der Pandemie war der ursprünglich vorgesehene Wahltermin am 5. April 2020 zu den Regionalparlamenten in Galicien und im Baskenland. Obwohl die Legislaturperioden in beiden Autonomen Gemeinschaften erst im Oktober enden, haben beide Regierungen bereits vor Ausbruch der Corona-Krise vereinbart, den Wahltag um einige Monate vorzuverlegen. Als dann die Regierung in Madrid am 14. März aufgrund der stark angestiegenen Infektionszahlen, der hohen Sterblichkeitsrate von Covid-19-Patienten und der völlig unzureichenden Versorgung mit medizinischem Personal und Material den Estado de Alarma ausrief, reagierten die beiden Regierungschefs Íñigo Urkullu und Alberto Núñez Feijóo zwei Tage später mit einer Verschiebung der Wahl auf den 12. Juli. Die Hoffnung dabei war, dass sich die Verbreitung des Virus aufgrund der dann herrschenden Sommerhitze verlangsamen würde, während man bei einem noch möglichen Herbsttermin mit einer so genannten „zweiten Welle“ rechnen musste. Die logistischen Vorbereitungen liefen geräuschlos ab, die Umfragen waren bei allen Unsicherheiten, die in dieser Ausnahmesituation auftreten können, von Anfang an recht stabil und sahen keine tiefgreifenden Veränderungen voraus. Der Wahlkampf, der keine großen Massenveranstaltungen zuließ, verlief mehr virtuell als real. Die einzige Befürchtung betraf die Sorge vor einer geringeren Wahlbeteiligung, da sicher mehr Wähler und Wählerinnen als früher aus Angst vor Ansteckung zu Hause bleiben könnten. Das diesbezügliche Ergebnis fiel allerdings uneindeutig aus. Während die Wahlbeteiligung im Baskenland von rund 60 Prozent bei der Wahl von 2016 auf knappe 53 Prozent fiel, erhöhte sie sich in Galicien um rund 5 Punkte von 53,6 Prozent auf 58,8 Prozent. Eine durchaus umstrittene, aber wenig diskutierte Entscheidung wirft allerdings einen schwarzen Schatten auf diese Wahlen: der Ausschluss von Corona-infizierten Wahlberechtigten von der Abstimmung. Es hätte sicher Lösungen gegeben (oder man hätte sie wenigstens versuchen sollen), einen derart tiefen Eingriff in demokratische Bürgerrechte zu vermeiden.

In das Regionalparlament in Vitoria hielten sechs Parteien Einzug. Der traditionsreiche Partido Nacionalista Vasco (PNV), der seit den ersten demokratischen Wahlen am Ende der 70er Jahre mit einer kurzen Ausnahme den Regionalpräsidenten (lehendakari) stellt, und die links gerichtete EH Bildu (Euskal Heria Bildu), die früher die Untergrundbewegung ETA (Euskadi ta askatasuna) unterstützte, konnten sich leicht verbessern. Der PNV um 3 Mandate (von 28 im Jahr 2016) auf nunmehr 31 Sitze, EH Bildu um 5 Sitze (von 18 auf 23 Mandate). Bei den beiden linken, zentralstaatlich ausgerichteten Parteien, konnte der Partido Socialista Obrero Español (PSOE) einen Sitz dazugewinnen und kommt jetzt auf 10 Mandate, während Elkarrekin Podemos sich fast halbierte und nur noch 6 Mandate (von 11 im Jahr 2016) erhielt. Der Partido Popular und die mit ihm verbündeten Ciudadanos stürzten auif einen historischen Tiefstwert ab. Sie erreichten gemeinsam nur noch 5 Parlamentssitze. Die rechtsradikale VOX-Partei schaffte den Einzug ins Parlament mit einem Sitz, den Amaya Martínez gewann, die sich auf den Verkauf von Waffen in der baskischen Hauptstadt spezialisiert hat.   

Das galicische Parlament besteht aus nurmehr drei Parteien. Der PP mit Alberto Núñez Feijóo an der Spitze erreichte eine absolute Mehrheit mit 42 von 75 Sitzen und wird daher wieder allein die neue Regierung stellen können. Die Sozialisten (PSdeG) haben sich zwar um einige Prozentpunkte verbessert, bekamen aber wie im vorhergehenden Parlament nur 14 Mandate zugesprochen. Der Bloque Nacionalista Galego (BNG) konnte die Sozialisten mit fünf Stimmen Vorsprung überflügeln und stellt jetzt 19 Parlamentsabgeordnete.

Regionalistische Parteien auf dem Vormarsch

Die Wahlsieger sind in beiden Autonomen Gemeinschaften die  nationalistischen Parteien, die grundsätzlich die Bewahrung und Stärkung der Autonomierechte innerhalb des spanischen Gesamtstaates verteidigen und den Ausbau der administrativen und finanziellen Befugnisse und Rechte zugunsten ihrer Region anstreben. Dies ist ganz besonders im Baskenland zu spüren, wo der PNV und Euskal Herria Bildu zusammen auf eine deutliche absolute Mehrheit kommen, wobei ersterer eine eher gemässigte und pragmatische Linie vertritt, letztere eine umfassendere Souveränität bis hin zu separatistischen Tendenzen verfolgt.

Der Partido Nacionalista Vasco (oder Eusko Alderdi Jeltzalea in baskischer Sprache) ist in seinem Grundverständnis eine christlich-konservative Partei mit einer über hundertjährigen Tradition. In ihrer Geschichte kam es immer wieder zu Phasen, in denen das Selbstbestimmungsrecht der Basken und Forderungen nach Autonomie und Unabhängigkeit im Vordergrund standen und Phasen (wie in den letzten Jahren), die sich mit der Bewahrung ihrer administrativen und finanziellen Privilegien zufrieden gaben.  Im Jahr 1895 von Sabino Arana Goiri gegründet ist die Partei seit den ersten freien Parlamentswahlen 1979 die stärkste politische Kraft im Baskenland. Sie stellte mit Ausnahme einer vierjährigen Unterbrechung, als der Sozialist Patxi López mit Hilfe der konservativen Vokspartei zum lehendakari gewählt wurde, in jeder Legislaturperiode den Ministerpräsidenten und ging dabei Koalitionen mit anderen eher links orientierten nationalistischen Splitterparteien ein oder wie jetzt mit den Sozialisten. Die Zeiten, in denen sie mit stärker separatistischen Forderungen auftrat (z. B. 2003/04 unter Juan José Ibarretxe) bestimmen heute nicht mehr den Kurs den Partei. Ihren Wahlsieg im Juli 2020 verdankte sie zu großen Teilen ihrem bisherigen und am 3. September wieder gewählten Regierungschef Íñigo Urkullu Rentería. Der 1961 in Baracaldo geborene Politiker stammt aus einer Arbeiterfamilie und arbeitete zunächst als Volksschullehrer in Portugalete und Bilbao, bevor er 2007 den Parteivorsitz und 2013 das Ministerpräsidentenamt übernahm. Seine hohen Popularitätswerte verdankt er unter anderem seiner ausgeprägten Dialogbereitschaft und seiner Fähigkeit zur Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg. Diese zeigt sich insbesondere auch daran, dass die Abgeordneten seiner Partei den derzeitigen Presidente del Gobierno Pedro Sánchez im Madrider Parlament unterstützen.

Der Parteienverband EH Bildu („Versammeltes Baskenland“), der zweite Wahlgewinner, vertritt den linken Flügel des baskischen Nationalismus, die so genannte Izquierda abertzale. Nach Wiedereinführung der Demokratie gründete sich zunächst Herri Batasuna, die bei Wahlen in den 80er und 90er Jahren regelmäßig 10 bis 20 Prozent Zustimmung erzielte. 2003 wurde sie wegen ihrer ideologischen und programmatischen Nähe zu ETA verboten. Die neu gegründeten Nachfolgeparteien waren in sich zersplittert und wurden 2008 ebenfalls verboten. Dies führte dazu, dass sich die Izquierda abertzale auf keine parlamentarische Vertretung mehr stützen konnte. Nach weiteren Parteigründungen und juristischen Auseinandersetzungen um ihre Verfassungsmäßigkeit gelang es schließlich, eine Dachorganisation unter der Bezeichnung Euskal Herria Bildu ins Leben zu rufen, die zur Parlamentswahl im Oktober 2012 zugelassen wurde und auf Anhieb 25 Prozent der Stimmen erhielt. Der Koordinator des Parteienbündnisses, Arnaldo Otegi Mondragón, gilt als einer der umstrittensten Politiker Spaniens. In jungen Jahren kämpfte er aktiv für die Unabhängigkeit des Baskenlandes und war als Mitglied von ETA in verschiedene terroristische Aktionen und Anschläge verstrickt. Während seiner letzten Haftstrafe erhielt Otegi Unterstützung durch baskische Politiker, durch Vertreter der katalanischen und galicischen Unabhängigkeitsbewegung und „linker“ Kreise aus ganz Spanien sowie internationaler Persönlichkeiten, die seine Freilassung forderten. Am 1. März 2016 verließ er das Gefängnis in Logroño und übernahm 2017 den Vorsitz bei EH Bildu. Diese politische Vergangenheit machte ihn nicht nur bei den baskischen Opferverbänden, sondern auch bei den zentralistisch ausgerichteten Rechtsparteien verhasst. Warum also dieses Ergebnis bei den Juli-Wahlen 2020? Auf der einen Seite ist es sicherlich die Tatsache, dass vor allem bei jugendlichen Wählern die Terrorismusdebatte der letzten Jahre mehr und mehr an Bedeutung verloren hat. Den Wählerzuwachs hat EH Bildu zu einem nicht geringen Teil der Abwanderung eines Teils der jungen Wähler von Elkarrekin Podemos, wie sich die Partei von Pablo Iglesias im Baskenland nennt, zu verdanken. Das gleiche Phänomen erleben wir gerade auch in Galicien. Der Hauptgrund für die Aufwertung des linken baskischen Nationalismus dürfte aber in seiner aktuellen konkreten Politik liegen. Dabei sollte auch nicht die positive Rolle Otegis bei den zähen Verhandlungen zwischen dem spanischen Staat und ETA vergessen werden. Der Pacto de Estella, an dessen Zustandekommen Otegi maßgeblich beteiligt war, führte zu einem bedingungslosen Waffenstillstand von ETA. Und auch in den folgenden Jahren beschritt Otegi einen Weg der Zusammenarbeit mit der spanischen „Linken“. 2019 enthielten sich die 7 Bildu-Abgeordneten der Autonomen Gemeinschaft von Navarra der Stimme und verhalfen so der sozialistischen Kandidatin María Chivite zum Ministerpräsidentenamt. Und  in den Madrider Cortes errang Pedro Sánchez erst im zweiten Wahlgang eine knappe Mehrheit, nicht zuletzt durch die Stimmenthaltung der baskischen und katalanischen Nationalisten.

Der BNG hat die Sozialisten überholt und ist die stärkste Oppositionspartei im galicischen Parlament geworden. Auch er profitierte ganz erheblich von der Wählerflucht, die Podemos aus dem galicischen Parlament katapultierte. Hauptsächlich jedoch konnte der BNG mit einem gemäßigten, aber dennoch klaren Programm punkten. Es hat ihm sicher auch nicht geschadet, eine junge, unprätentiöse und sympathische Frau zur Vorsitzenden zu küren und überhaupt die Präsenz von Frauen in den Führungsebenen der Partei zu stärken. Ana Pontón, la niña de la aldea (sie stammt aus dem kleinen Ort Sarria in der Provinz Lugo) vertritt in der Frage nach der Stellung Galiciens innerhalb des spanischen Gesamtstaates eine moderate Position. Galicien müsse „determinante“ sein, was nichts anderes bedeutet, als eine größere Mitsprache bei der Verteidigung der Interessen der Autonomen Gemeinschaft anzustreben. Es dürfe zu keiner „recentralización“ Spaniens kommen und es müsse auf jeden Fall darauf geschaut werden, dass der Einfluss der „españolistas“ im rechten politischen Spektrum in Schranken gehalten wird. Forderungen nach „independencia“ oder „separatismo“ werden von niemandem in der Partei erhoben, man spricht lieber von „autodeterminación“, was auch immer genau darunter verstanden wird und von einer längst überfälligen Überarbeitung des Autonomiestatuts, ohne dabei konkrete Punkte hervorzuheben. Pontóns Augenmerk und das ihrer Parteigenossen richtet sich eher auf den Erhalt der galicischen Sprache, die sie überall auf dem Rückzug sieht. Auf der anderen Seite werden konkrete Ziele benannt, wie sie auch auf der Agenda des PSOE stehen. Die finanzielle Benachteiligung, insbesondere der lokalen Instanzen auf der Ebene der ayuntamientos müsse beseitigt und das Recht auf Erhebung eigener regionaler Steuern ausgeweitet werden, um das Gesundheits- und Erziehungswesen finanziell besser auszustatten. Das als ungerecht angesehene Wahlrecht solle geändert, der Einfluss der Kirche auf das Bildungswesen im Sinne einer „educación laica e igualitaria“ beschnitten, Renten und Grundeinkommen erhöht werden. Der Bloque versteht sich darüber hinaus als eine feministische Partei, die machistische Gewalt stärker verfolgt und geahndet sehen will, sowie als Umweltpartei, die sich für den Erhalt der rias und für einen konsequenten Küstenschutz einsetzt. Es steht außer Frage, dass die von der Franco-Familie geraubten Immobilien (Pazo de Meirás, Casa de Cornide) und Kunstwerke (die Statuen Isaaks und Abrahams des Meisters Mateo aus der Kathedrale von Santiago de Compostela)  repatriiert werden müssen.          

Konservative in der Zerreißprobe

Der Partido Popular (PP) hat in Galicien zum vierten Mal in Folge die absolute Mehrheit der Parlamentssitze gewonnen, während er im Baskenland eine herbe Niederlage einstecken musste und fast die Hälfte seiner bisherigen Mandate einbüßte. Wie ist dieses Ergebnis zu erklären?

Im Februar 2020 beschlossen die Parteiführungen des Partido Popular unter Führung von Pablo Casado und die von Ciudadanos (C´s), die nach dem Rückzug ihres Gründers Albert Rivera erst seit kurzem in den Händen von Inés Arrimadas liegt, in Galicien und im Baskenland mit einer gemeinsamen Kandidatenliste  zur Wahl anzutreten. In aller letzter Minute wurde ein solches Bündnis in Madrid abgeschlossen, ohne die baskische Parteispitze darüber im Detail zu informieren oder sie in die Verhandlungen mit einzubeziehen. Als die baskischen Konservativen dann erfuhren, dass der Pakt großzügige Zugeständnisse an die im baskischen Parlament bisher nicht vertretene C´s machte, brach ein Sturm der Entrüstung über die „von oben“ vollzogene Vereinbarung aus. Als auch ihr Vorsitzender Alfonso Alonso, ein gemäßigter Konservativer, der bei der Wahl des Spitzenkandidaten der populares 2019 nicht für Pablo Casado, sondern für die unterlegene Gegenkandidatin Soraya Sáenz de Santamaría gestimmt hatte, auf ein Mitspracherecht pochte, wurde er von Pablo Casado kalt abserviert und an seine Stelle der ultrarechte Carlos Iturgáiz postiert. Der 54-jährige Politiker war schon einmal von  1996 bis 2004 Parteivorsitzender des baskischen PP und gehörte damals schon dem ultrarechten Flügel der Partei an. In einem Interview (El País vom 25. Februar 2020) bekräftigte er nochmals seine politische Position. Auf die Frage, ob er sich eine Zusammenarbeit mit dem PNV vorstellen könnte, antwortete er: „No vamos a volver a hacerle el juego  al PNV. La lógica del PNV ahora es la de hacer todo lo posible por romper España, se ha unido a un Frente Popular socialista comunista con los seccionistas catalanes y los batasunos de Otegi como socios. Ya ha eligido sus compañeros”. Mehr noch! Die Rechtsradikalen von Vox bezeichnet er als „un partido de derechas con algunos postulados más a la derecha que el PP”.  Und fügt auf die Frage, ob er sich eine Koalition mit ihnen vorstellen könne, hinzu: „Estamos colaborando con Vox en Andalucía, Murcia y Madrid. Esa colaboración es muy buena y necesaria y la aplaude la gente de este país y se podría dar en otras partes de nuestra nación. Tiene cosas que no comparto, pero cuando el centroderecha colabora, hace cosas para solucionar los problemas.” Die baskischen Bürger und Bürgerinnen haben am 12. Juli ihr Votum dazu abgegeben.

In Galicien heisst der eindeutige Wahlsieger Alberto Núñez Feijóo. Zum vierten Mal erreichte er die absolute Mehrheit. Sein moderates Auftreten in der Öffentlichkeit, seine Dialogbereitschaft und Gesprächsfähigkeit auch über Parteigrenzen hinweg und nicht zuletzt der Mut und die Offenheit, seine Positionen im innerparteilichen Streit zu verteidigen und daran festzuhalten, sind wesentliche Merkmale seiner Persönlichkeit und seiner politischen Akzeptanz in breiten Teilen der galicischen Bevölkerung. Dies zeigte sich bereits Anfang des Jahres 2020, als die Parteiführung in Madrid beschloss, mit der Ciudadanos-Partei ein Bündnis auf nationaler Ebene zu schmieden. Was ihr im Baskenland mit allen Hintertür-Raffinessen gelungen ist (und wofür er im Juli von den Wählern und Wählerinnen abgestraft wurde) verfing in der nordwestlichen Autonomen Gemeinschaft nicht. Auch hier versuchten Casado und Arrimadas Druck aufzubauen. Was sollte Feijóo aber dazu bewegen, einen Partner zu hofieren, der weder über parlamentarische Präsenz im galicischen Parlament verfügte, dessen früherer Parteiführer Albert Rivera vor 2019 in seiner bekannt arroganten Art jedes Zusammengehen verweigert hatte und dessen Nachfolgerin ein solches jetzt geradezu einfordert, nachdem die Partei bei den Cortes-Wahlen im November 2019 auf magere 10 Mandate abgerutscht ist? Der Präsident der Xunta blieb bei seiner Haltung und so kam – anders als im Baskenland – keine gemeinsame Kandidatenaufstellung zustande.

Auch während des Wahlkampfes, der wegen der Pandemie nun länger wurde als geplant, scheute sich Feijóo nicht, die Madrider Parteispitze zu kritisieren. Drei Beispiele: Feijóo betonte immer wieder (z. B. in einem ausführlichen Interview in El País vom 24. Februar 2020) die Interessen des Landes vor Parteiinteressen zu stellen. So kam es, dass Casado bei nur zwei Wahlkampfauftritten persönlich zugegen war und das Parteilogo der populares mehr verdeckt als offen präsentiert wurde („Mi compromiso con Galicia es mucho mayor que con mi partido“).  Er verteidigte öffentlich und ohne Scheu den baskischen Parteivorsitzenden der PP, Alfonso Alonso, den Casado auf brutale Art und Weise vor die Tür gesetzt hatte. Und er grenzte sich mehrfach vom „Hypernationalismus“ der rechtsextremen Vox ab  („No, no descolgaría el teléfono para negociar con Vox si no tengo mayoría”).

Die größte Provokation fügte er seiner eigenen Partei zu, als er am 7. Juli, eine Woche vor der bevorstehenden Parlamentswahl, der Tageszeitung El País ein weiteres Interview gab.  Auf die Frage, ob er, falls er anstelle von Casado an der Spitze der Partei stehen würde, mit den Sozialisten paktieren würde, meinte Feijóo: „Si me pronuncié para hacer un pacto de legislatura con el PSOE“ Und fuhr fort: „Sigo pensando, ahora más que nunca, con este terremoto económico que vamos a sufrir … qué bien nos iría con un Gobierno a la alemana! Qué bien nos iría si el PSOE volviese a ser un partido socialdemócrata y pudiese pactar con otro reformista de centroderecha como el PP”.

Podemos im freien Fall

Der Misserfolg für Unidas Podemos bei den Wahlen in beiden Autonomen Gemeinschaften war vorauszusehen, vielleicht nicht in dem Umfang, aber in der Tendenz. Galicien ist jetzt die dritte Region (neben Cantabria und Castilla La Mancha), in der die Partei über keine parlamentarische Vertretung mehr verfügt. Im Baskenland haben sich ihre Mandate halbiert und UP landete auf dem vierten Platz. Wie konnte das geschehen? Es lassen sich bei genauerer Betrachtung zwei wesentliche Gründe dafür ausmachen: strukturelle innerparteiliche Probleme und eine erratische Bündnispolitik.

Das Hauptproblem der Partei ist ihr innerparteilicher Zentralismus, der im autoritären Auftreten des Generalsekretärs Pablo Iglesias sichtbaren Ausdruck erhalten hat. Dieses Problem ist so alt wie die Partei selbst. Iglesias hat nicht nur von Anfang an die ideologische Marschrichtung der Partei definiert und vorgegeben und damit Austritte führender Persönlichkeiten provoziert und Abspaltungen ermöglicht. Der Mitbegründer der Partei Íñigo Errejón, der einen gemäßigten politischen Kurs vertritt und früh schon eine Zusammenarbeit mit den Sozialisten anstrebte, ist nach langen innerparteilichen Querelen ausgetreten und hat mit Más País eine neue politische Gruppierung ins Leben gerufen, die allerdings außerhalb Madrids nur wenig Zuspruch findet. Im Februar 2020 spaltete sich der so genannte „antikapitalistische“ Flügel ab, der die Koalition von UP mit dem PSOE strikt ablehnt. Aber nicht genug damit. Iglesias hat sich immer wieder und mit großer Härte in die regionalen Parteigliederungen eingemischt, sowie unliebsame Kandidaten und ganze Parteivorstände ausgetauscht, wenn sie nicht der offiziellen Parteilinie folgten. Dies hat sich im Vorfeld der Juli-Wahlen sowohl in Galicien wie im Baskenland in erschreckender Weise gezeigt und das katastrophale Wahlergebnis mit verursacht.

Die Bündnispolitik, die für viele Wähler und Wählerinnen nicht mehr durchschaubar war, hat dazu geführt, dass Aussenstehende nicht mehr so recht wussten, mit wem und mit wem nicht UP bei den Wahlen antreten will. Besonders eklatant war dies in Galicien zu spüren. Bei der Wahl 2016 war die „Linke“ unter dem Namen En Marea relativ geschlossen angetreten und mit 14 Parlamentssitzen zur zweitstärksten Partei aufgestiegen.  Aber noch während der Legislaturperiode zerbrach das Parteienbündnis En Marea. Erst kurz vor der Juli-Wahl konstituierte sich ein neues Parteienbündnis aus verschiedenen links-nationalistischen lokalen und regionalen Gruppierungen, das sich den Namen Marea Galeguista gab und Pancho Casal zu ihrem Koordinator wählte. Unidas Podemos befürwortete seinerseits nun ein Zusammengehen mit den Kommunisten der Ezquerda Unida. Iglesias setzte darauf, dass er mit der Galicierin Yolanda Díaz, die aus der Ezquerda Unida kommt und als derzeitige Arbeitsministerin in der Regierung Sánchez einiges Ansehen erworben hat, punkten kann. Jorge Lago, ein Opfer der parteiinternen „Säuberungswellen“ und jetzt Ex-Mitglied hält die „ideologische, identitäre und sentimentale Bindung“ an die Kommunisten für einen schweren Fehler, der das Wahldebakel entscheidend beeinflusst hat.

Bedeutung und Auswirkungen auf die spanische Politik

Welche Folgen sich aus den Wahlergebnissen für die zukünftige Politik auf nationaler Ebene erkennen lassen, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur erahnen. Es gibt allerdings bereits einige deutliche Anzeichen, in welche Richtung sich die einzelnen Strategien entwickeln könnten.

In der Regierungskoalition (PSOE und UP) bestand nach dem mäßigen (aber erwartbaren) Abschneiden der Sozialisten und der gewaltigen Wahlschlappe von Unidas Podemos die Gefahr, dass eine Radikalisierung beim weiter links stehenden Partner zu einer Belastung der Regierungsarbeit führen könnte.

Pablo Iglesias hüllte sich nach dem Debakel seiner Partei in Galicien und im Baskenland zunächst in Schweigen und verwies auf eine kommende Analyse für die Gründe des Scheiterns und die möglichen Konsequenzen daraus. Verschärft wurde die unübersichtliche Lage Anfang August, da die Verabschiedung des Haushaltes in den Cortes zur Eile zwang. Pedro Sánchez benötigt für eine absolute Mehrheit die Stimmen anderer Parteien. Es gibt zwei Optionen, die in der Partei kontrovers diskutiert werden. Entweder man stützt sich, wie bei der Wahl des Regierungschefs im Januar 2020 auf die Stimmen der beiden linksnationalistischen Parteien, der baskischen EH Bildu und der katalanischen Esquerra, oder man versucht mit der rechtsliberalen Ciudadanos-Partei eine Übereinkunft zu treffen. Unidas Podemos befürwortet einhellig die erste Variante und fürchtet um ihren Einfluss in der Koalition, wenn man Inés Arrimadas mit ins Boot holt. Arrimadas sendet zwar positive Signale aus, die Regierung bei der Verabschiedung eines Haushaltes zu unterstützen, wollte diese aber nur mit den Sozialisten unter Ausschluss der Regierungsvertreter von Podemos erreichen, wogegen sich deren Führungsspitze zur Wehr setzte. Die Konsequenz ist, dass der Haushalt bis zum jetzigen Zeitpunkt noch keine parlamentarische Mehrheit gefunden hat. Es lässt sich jedoch feststellen, dass die Formation von Pablo Iglesias bisher weder die Koalition in Frage stellt, noch auf ihren Maximalforderungen weiter besteht und letztendlich eine Beteiligung der Rechtsliberalen akzeptieren wird.

Der Partido Popular spaltete sich seit der Wahl Pablo Casados zum Parteivorsitzenden immer mehr in einen gemäßigten und einen radikalen Flügel. Als Mariano Rajoy nach seiner Niederlage als Ministerpräsident den Parteivorsitz aufgab, wählten die Delegierten nicht seine Wunschkandidatin, die moderat agierende Soraya Sáenz de Santamaría, sondern entschieden sich für den weithin unbekannten Pablo Casado, der der Partei seitdem einen radikalen Rechtskurs verordnet hat. Politiker und Politikerinnen in teilweise hohen Positionen verließen daraufhin die Partei. Casado, der in der ultrarechten Tradition des früheren Ministerpräsidenten José María Aznar steht und als sein Testamentsvollstrecker gilt, sammelte eine Reihe von Hardlinern um sich, die wichtige Parteiposten erhielten. Mahnende Worte der Mäßigung seitens einiger Regionalpräsidenten (neben Feijóo auch Alfonso Fernández Mañueco von Castilla-León) schlug er ebenso in den Wind, wie den Versuch von Ana Pastor, der vorherigen Parlamentspräsidentin, angesichts der um sich greifenden Pandemie dem sozialistischen Gesundheitsminister Salvador Illa eine Zusammenarbeit zur Reform des Gesundheitswesens anzubieten. Seine bisherigen Leistungen waren, sich in verschiedenen Autonomen Gemeinschaften (Andalusien, Murcia, Madrid) von der rechtsradikalen Vox-Partei unterstützen zu lassen. Auf nationaler Ebene sticht er durch seine konsequente Blockadepolitik der Regierung Sánchez hervor und durch die wiederholten Versuche, die Regierung trotz der verheerenden Gesundheits- und Wirtschaftskrise zu Fall zu bringen. Erst die Ergebnisse der Autonomiewahlen in Galicien und im Baskenland scheinen ihn in Schwierigkeiten zu bringen. Der überdeutliche Wahlsieg des konservativen PP-Chefs in Galicien und schärfsten Casado-Kritikers war eine klare Bestätigung des galicischen Wahlvolkes für eine Politik des politischen Augenmaßes und des ausgleichenden Dialogs mit der Opposition. Sein von ihm persönlich eingesetzter Kandidat, der seinen harten Konfrontationskurs durchsetzen sollte, erhielt eine schallende Ohrfeige.

Es ist noch zu früh, um voraus zu sehen, welche Folgerungen Casado aus diesen Ergebnissen ziehen wird. Eine Personalentscheidung allerdings fiel unmittelbar nach den Wahlen. Er setzte seine Fraktionssprecherin Cayetana Álvarez de Toledo ab. Ein Schritt, der auch parteiintern von vielen mit Erleichterung aufgenommen wurde. Es waren nicht nur die radikalen politischen Thesen der Aznar-Vertrauten, sondern auch ihre scharfen persönlichen Angriffe gegen einzelne Parteifreunde, die den erzwungenen Rücktritt notwendig machte.

Es bleibt abzuwarten, ob Álvarez de Toledo nur das sprichwörtliche  „Bauernopfer“ war, um den gemäßigten Parteiflügel zu beruhigen, oder ob es weitere personelle Veränderungen in seiner engeren Umgebung geben wird.  Als besonderes Beispiel soll hier auf Isabel Díaz Ayuso, die Regionalpräsidentin der Comunidad de Madrid, verwiesen werden, die weniger wegen ideologischer Positionen seit Beginn ihrer Amtszeit unter heftigem Beschuss steht, als vielmehr wegen ihrer Unfähigkeit die Hauptstadtregion in der Pandemiekrise zu regieren. Als im September 2020 die so genannte „zweite Welle“ über Spanien hereinbrach und insbesondere die Hauptstadt und die umliegenden Schlafstädte erneut mit großer Wucht traf, verfügte sie ein erneutes confinamiento über die südlichen Distrikte und barrios sowie einige angrenzende municipios. Die rund 850.000 Bewohner durfen ab 21. September ihre Wohnungen nur zum Arbeiten, zu Arztterminen und zum Schulbesuch verlassen. Viele Bürger dieser Viertel sind Arbeiter und Immigranten (gehören also nicht zur typischen Wahlklientel des PP) und protestierten nach Bekanntwerden der neuen Ordnung gegen „soziale Diskriminierung“ und für die „Würde des Südens“. „In Madrid haben die konservative Regionalpräsidentin Díaz Ayuso und der PP-Bürgermeister Almeida längst die Kontrolle verloren“, schrieb der angesehene Spanien-Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (in der Ausgabe vom 21. September 2020) und bezeichnet den selektiven confinamiento als das, was er tatsächlich war, ein „Lockdown für Arme“.

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