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Europa > Österreich wählt einen neuen Kanzler

Wahlkampf – die Zeit der erlernten Hilflosigkeit

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Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Demokratie ist die beste Form gesellschaftlicher Steuerung. Damit verbunden sind alle Rechte des demokratischen Handelns, wie Meinungs- und Pressefreiheit, das Recht auf Einhaltung der Menschenrechte sowie unsere Wahlfreiheit, um nur einige zu nennen. Dabei ist entscheidend, dass die Demokratie der Politik die Strukturen, Prozesse und Regeln vorgibt, nach denen politische Entscheidungen und Handlungen zu treffen sind. Ohne Wenn und Aber, wenn ein Land dem Anspruch von Demokratie genügen will.

The European

Als Folge eines politischen Skandals (Ibiza-Video) und den in der Österreichischen Bundesverfassung festgelegten Recht zur Einbringung eines Misstrauensantrags gegen eine Regierung, finden in Österreich nunmehr Neuwahlen statt. Aus Ibiza wurde zwischenzeitlich ein seltsames Zauberwort: Es klingt ein wenig nach Insel, nach Sonne und Meer, nach Urlaub und Strand und dann war da noch die „bsoffene Geschichte“ von Herrn Strache. Die mediale Kommunikation und Empörung war groß und dennoch verstärkte sich – so zumindest der augenblickliche Befund – die Hinwendung und Unterstützung zur HC-Community und dem gesamten Umfeld. Der Song „We´re going to Ibiza“ wird zum Sommerhit des Jahres. Zum Zeitpunkt des Skandalons formieren sich Proteste am Ballhausplatz, sie sind gegen das Aktuelle was da stattgefunden hat und für etwas Anderes was noch nicht da ist. Sie sind lauwarm und friedlich, ein sozialer Lärm, der den Anspruch auf den Hinweis für etwas Neues in unserer politischen Landschaft hat.

Was da passiert ist, ist in dieser Form in Österreich noch nicht dagewesen, formuliert Alexander Van der Bellen bei seiner Pressekonferenz die Zusammenfassung des verächtlichen politischen (Ibiza)Habitus, der Österreichs Medienlandschaft verändern will, der alternative Kräfte als linksintellektuell abwertet und der der Korruption Tür und Tor öffnen will. Vielleicht lässt sich die These wagen, dass gerade diese irrational anmutenden politischen Handlungen eine Chance gewesen wären, demokratische Prinzipien wieder zu stärken. Bürgerinnen und Bürger wieder einzuladen sich inhaltlich politisch vermehrt einzubringen und nicht den Attraktivitätsmangel (Politikverdrossenheit) zu bejammern. Die selbstbegeisterte Begeisterung der Politik findet nunmehr in einer Reihe von Sommergesprächen und einem intensiven Wahlkampf statt.  Die Themen sind überschaubar, massenmedial möglichst anschlussfähig formuliert: Klima, Soziales, Sicherheit, Wirtschaft, Bildung und ein wenig Migration und Integration. Für die Argumentationen werden Großeltern, Eltern, Tanten und Onkeln und auch die Enkelkinder bemüht: Man wisse über die Problemstellungen der Bildung Bescheid, weil die Mutter Pädagogin sei, die gesamte Familie in einem Dorf im Waldviertel wohne und damit auch die Herausforderungen im ländlichen Bereich kenne und man wisse schließlich wie die Enkelkinder vor der Klimakrise zu schützen seien. NLP-artig werden die Antworten hübsch aufbereitet in drei Lösungsvorschläge gekleidet: Das Einzelbeispiel wird als Generalisierung auf den gesamten Bereich des politischen Frames übertragen. So funktioniert politische Kommunikation – scheinbar (?).

Die Auftritte werden in Arenen und Duellen abgehandelt und schließlich analysiert. Die Politikwissenschaftler, Medienvertreter und strategischen Kommunikationsberater haben eine Minute Zeit für die Zusammenfassung. Die mintunter etwas prekäre Situation wird genutzt um die Körpersprache und deren Funktion zu analysieren, und um vielleicht noch die eine oder andere Variante künftiger Kooperationen (Koalitionen) herauszulesen. Die erstaunliche Inhaltsleere ist der Zeit geschuldet, so zumindest die Vermutung. Anders ist es nicht erklärbar, warum die Eigenleistung der Beobachter auf der Ebene des Beobachtens und nicht der Erkenntnis stecken bleibt.

Vorsicht ist angebracht, wenn nach 525 Tagen voller Skandale (Süddeutsche Zeitung) auf Seiten der politischen Parteien und deren Beobachter nicht die Chance ergriffen wird, grundsätzliche Antworten zu finden: Wie können wir hochkomplexe Fragestellungen (Klima, Soziales, Wirtschaft, Migration etc.) mit den konstitutiven Elementen des Demokratiemodells bearbeiten und jenseits von populistischen Antworten neue kompetente Möglichkeiten und Varianten für Lösungen aufzeigen? Dabei wird es immer um die Balance bewusst gegensätzlicher Interessen und Meinungen gehen, die im Sinne demokratischer Legitimität frei ausgehandelt werden müssen. Dass dies in Zeiten des Wahlkampfes viel zu wenig genutzt wird, lässt sich durch die Organisationstheorie treffend beschreiben: Sie hat dafür die Begrifflichkeit der „Eingeübten Inkompetenz“ gefunden. Die damit erlernte Hilflosigkeit, führt dazu, dass die politischen Parteien alles unternehmen, um sicherzustellen, dass man genau so weitermachen kann wie bisher. In Anbetracht der täglichen Verlogenheit und der permanenten Einzelfälle deren Aufzählung mittlerweile schwierig ist, muss vor Verwahrlosungserscheinungen (Christian Aigner) und damit der eingelernten Hilflosigkeit der Politik dringend gewarnt werden. Vielleicht werden wir uns später einmal daran erinnern, an die durchgestylten Wahlevents, an die Auftritte der Politiker die möglicherweise genau wussten, wie sie uns täuschen.

Entsprechend dieser offensichtlichen Befunde, die mittlerweile nicht nur von „linken“ Medien aufgegriffen werden, stehen wir zurecht vor der Aufgabe achtsam hinzuhören und mit unserer Stimme sicherzustellen, dass auch die Zukunft einer liberalen Demokratie gewährleistet wird. Die Revitalisierung des Humanismus (Julian Nida-Rümelin), als eine Praxis der Menschlichkeit und damit die Hoffnung auf eine prosperierende Gesellschaft der Zukunft wird uns Antwort geben und leitend sein für die nächsten Dekaden.

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