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Europa > Ein Knall mit Ansage

Der Rauswurf des polnischen Wirtschaftsministers war vorhersehbar

Polen stehen weitere turbulente Wochen und Monate bevor. Mitte August bat Premierminister Morawiecki um Entlassung des Vizepremiers und Wirtschaftsminister Jarosław Gowin. Für politische Beobachter stellte dies jedoch keine große Überraschung dar. Seit Monaten ging auf den Fluren des politischen Warschaus das Gerücht umher, dass das Gowin-Lager spätestens bis Herbst dieses Jahres die Koalition verlassen würden. Von David Gregosz.

Flagge von Polen, Quelle: Shutterstock
Flagge von Polen, Quelle: Shutterstock

In den deutschen Medien wird immer wieder vereinfacht von der PiS-Regierung gesprochen. Tatsächlich handelt es sich um eine Regierungskoalition mehrerer Partner. Zwar trägt diese Koalition bezeichnenderweise den Namen „Vereinigte Rechte“, jedoch wurde die Einheit in den letzten Monaten immer wieder in Frage gestellt. Vor fast genau einem Jahr hatten die Parteiführer deshalb versucht, mittels eines Koalitionsvertrages Ruhe in die eigenen Reihen zu bringen. In Folge wechselte Parteichef Kaczyński selbst als Vizepremier in die Regierung, auch um ein Auge auf die Koalitionäre zu werfen. Weder das Vorhandensein eines Koalitionsvertrages noch das politische Gewicht des PiS-Parteivorsitzenden konnten das Bündnis jedoch stabilisieren und so stolperte die Regierung von einer Krise in die andere. In Folge verlor sie im Frühsommer vorrübergehend ihre Mehrheit im Parlament. Durch verschiedene Absprachen und Kuhhandel gelang es der Regierung ihre Mehrheit formal wiederzuerlangen. Dennoch ist jede Abstimmung mittlerweile zur Zitterpartie für das Regierungslager geworden – was insbesondere die gestrige Abstimmung zu einem umstrittenen Mediengesetz gezeigt hat.

Der nun eskalierte Streit zwischen der PiS und dem wesentlich kleineren Koalitionspartner Porozumienie (dt. Verständigung) von Jarosław Gowin (7-10 Abgeordnete) stellt nur ein Konfliktfeld von mehreren dar. Auch mit dem zweiten Koalitionspartner Solidarna Polska (dt. Solidarisches Polen) gibt es große Unstimmigkeiten – insbesondere bezüglich des Umgangs mit der EU. Dennoch führte eben dieser Streit nun zum Ende der Regierungskoalition. Vorausgegangen war eine immense Kritik der Porozumienie am Wiederaufbauplan für die Zeit nach der Covid-Pandemie. Gowin und seine politischen Mitstreiter, die sich durchaus wirtschaftsliberaler und unternehmerfreundlicher als die PiS zeigen, kritisierten insbesondere die Steuerpläne der Kaczyński-Partei, welche in ihren Augen Unternehmer und den polnischen Mittelstand massiv belasten würden. Teile der Vorschläge zum Wiederaufbauplan bezeichnete Gowin explizit als „extremen Sozialismus“.

Dahinter steckt jedoch Kalkül. Gowin und auch den meisten anderen Abgeordneten der Porozumienie-Partei ist nach Monaten des Streites klar, dass es auf längere Sicht keine Zusammenarbeit mit der PiS mehr geben konnte. Während sie bei den Parlamentswahlen 2015 und 2019 noch gemeinsam auf der Wahlliste der PiS antraten, waren viele politische Beobachter seit Monaten überzeugt, dass sich eine solche Zusammenarbeit bei den nächsten regulären Wahlen 2023 nicht wiederholen würde. Und so schien sicher, dass diese Koalition ein Ablaufdatum hatte.

Für Polen stellt sich die Frage, wie es nun weitergehen wird. Nicht erst in der Eskalation, sondern bereits in den Monaten zuvor zeigte sich, dass die PiS vor einer Machterosion steht und Kaczyński der Machterhalt immer schwieriger fällt. Vorgezogene Neuwahlen sind im Bereich des Möglichen und eventuell nur noch eine Frage der Zeit. Es ist jedoch klar, dass die PiS versuchen wird, sich mit allen Mitteln an der Macht zu halten und Neuwahlen nur anstrebt, wenn sie der Meinung ist, einen Wahlsieg zu erringen. Sie könnte diesen Wahlkampf vor dem Hintergrund ihrer Versprechen aus dem Wiederaufbauplan und damit der Verteilung europäischer Gelder führen. Jedoch weiß Kaczyński sehr gut, wie gefährlich die Option von Neuwahlen sind. Er selbst war es, der sich als Premierminister 2007 zunächst seiner Koalitionspartner entledigte, Neuwahlen einleitete und dann die Macht auf Jahre verlor.

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