Eine deutsche Galerie sorgt auf der Biennale für Furore
Dorothea van der Koelen inszeniert in Venedig die Farbe Blau. Das macht Hoffnung in einer weithin trostlosen Architektur-Biennale. Von Wolfram Weimer

Die 18. Internationale Architekturbiennale in Venedig ist eine Enttäuschung. Der Titel „The Laboratory of the Future“ verheißt den Blick nach vorn, das Erleben von Avantgarde, das Öffnen neuer Horizonte, zumindest technisch-digitale Überraschungen und deren kreative Auf-Brüche. Das Gegenteil ist der Fall. Die Ausstellung schaut im Wesentlichen zurück. Kolonialismus ist ein zentrales Thema und bewegt sich dabei in einem geistig gestrigen Horizont. Der emanzipatorisch-kritische Blick vieler Elemente wirken als kämen sie 100 Jahre zu spät.
Und auch das zweite Schwerpunktthema „Klimaneutralität“ ist nur affirmativ modern. In Haltung und Formen wird das nun wirklich „brennende“ Thema eigenartig schablonenhaft und zeigefingernd bearbeitet. Geradezu peinlich uninspiriert ist die Ausstellung „Everybody talks about the weather” in der Fondazione Prada, normalerweise ein Ort klug kuratierter, anspruchsvoller Expositionen. Im Gestus plumper Sowjetpädagogik zeigt der belgische Kurator Dieter Roelstraete große Büchertische mit den Schlüsselpublikationen der Klimawandelliteratur. Wie weiland der Sozialismus seine Werke wie Bibeln feil bot, so wirkt auch hier das schlichte hinlegen von Büchern wie ein demonstrativer Gestus, man habe die Wissenschaft auf seiner Seite. Drumherum werden Werke von Vivian Suter, Gerhard Richter, Nina Canell, Thomas Ruff und Hans Haake wahllos präsentiert in der naiven Absicht, sie konstruierten Endzeit- und Weltuntergangsstimmung. Das Ensemble wie eine Schülertheater-Inszenierung zeigefingernder Lehrer. Zu allem Überfluss erklären noch große Schautafeln aus Lehrbüchern den offensichtlich für dumm gehaltenen Besuchern, warum der Klimawandel gefährlich sei.
Das eigenartig gestrige dieser Zukunftsschau spiegelt sich selbst an den neuen Ausstellungsorten wie der Stanze della Fotografia. Ein großartiges Ausstellungszentrum von Marsilio Arte und der Giorgio-Cini-Stiftung auf der Insel San Giorgio zeigt Arbeiten des vor 50 Jahren allzu jung verstorbenen Mailänder Avantgardisten Ugo Mulas Mulas, zwischen 1954 und 1972 der bedeutendste Chronist der Kunstbiennale, entwarf ab den Sechzigerjahren auch Bühnenbilder mit dem Theatermann Giorgio Strehler. Doch auch diese feine Ausstellung führt einen ganz in die Vergangenheit.
Der deutsche Pavillion versinkt in den siebziger Jahren. Die „Instand(be)setzung des Deutschen Pavillons in den Giardini, um Prozesse der räumlichen und sozialen Sorgearbeit sichtbar zu machen“ wirkt wie eine Zeitreise in Documenta-Aktionen vor fünfzig Jahren. Es geht – auch hier der oberpädagogische Impetus - um „Wissensvermittlung und Handwerk“, indem der Pavillion selbst Baustelle wird und die verblüffende Erkenntnis, dass „ökologische Nachhaltigkeit untrennbar mit der sozialen Frage verbunden ist“.
Der britische Pavillion wiederum scheint inspiriert von Drogenpartys und indischen Erweckungserlebnissen der Hippies aus den Sechzigern. "Dancing before the moon celebrates" nennen die Briten ihre hilflose Suche nach Gemeinschaft in der Diaspora, nach Tanz und Natur und irgendeinem Sinn. Der Architekturbegriff wird in der Selbstfindung nach Gestrigkeiten geradzu aufgelöst.
Insgesamt erfüllt die Biennale-Kuratorin Lesley Lokko zwar allerlei politische Korrektheiten, wie „Afrika sichtbar zu machen“, eine 50/50 „Gender Balance“ herzustellen und die Themen „Dekolonisierung und Dekarbonisierung“ allen groß auf die Stirn zu schreiben. Die kreative Substanz der Biennale bleibt aber auch genau dort stehen.
Einen substantiellen und erfrischenden Blick nach vorne bietet – wie zum Trost – die Ausstellung „Blue -The Color oft he Place“ in der Galeria Venezia. Die deutsche Galeristin Dorothea van der Koelen hat dort elf Künstler aus neun Ländern unter dem Thema „Blau“ vereint. Fabrizio Plessi, Italiens Doyen der Videokunst hängt dort neben dem französischen Streifenmeister des Minimalismus Daniel Buren. Der Nagelkönig Günther Uecker neben dem koreanischen Neu-Star des Monochromen Tschun-Mo Nam. Und vor allem Lore Bert, die Altmeisterin der Papierkunst. Sie alle sind unter der Losung „Blau“ vereint. Ein Ensemble von Blau-Pausen für das Morgen. „Das Blau dieser Künstler verkörpert die Zukunft“, verkündet die Galeristin Van der Koelen mit der augenzwinkernden Botschaft , die Zukunft sei blau. Und wer anfangs verblüfft fragt, wie sie das meint, der bekommt beim Ausstellungsbestaunen eine Ahnung. Denn die blauen Kunstwerke sind geschickt verwoben zu einer blauen Sinnsuche, sie sind supermodern und abstrakt. Und doch fließen sie aufwärts wie die blauen Wasser in Plessis Installation. Sie weisen fragend zum blauen Himmel wie die koreanischen Monochromien, die beim genauen Hinsehen zu Wolken der Unendlichkeit werden. Sie wirken zuweilen appellativ wie eine Europafahne und die Uno-Flagge, dann wieder fordernd wie eine Startrampenmarkierung eines Flugfelds. Allenthalben Assoziationen der Dynamik unserer Moderne, die hier jedoch derart statisch in geometrischen eingefangen, ja gebändigt wirkt, dass man sich nach dem eigentlichen Charakter der Zukunft fragt. Was wird uns darin halten, im großen Blau von morgen?
Die blaue Papier-Kugel von Lore Bert gibt eine Antwort. Sie steht zentral im Hauptsaal – wie das i-Tüpfelchen dieser Ausstellung. Das Laboratorium der Zukunft, das die Biennale bieten will, bekommt in dieser Kugel ihre Verdichtung. Denn die Kugel ist aus vergänglichem (die Biennale-Leitung würde in Fettschrift betonen „nachhaltigem“ und „klimafreundlichem“) Material, sie ist scheinbar glatt und stellar in ihrer Fortschrittssymbolik und doch so perforiert wie die Seele modernen Menschen. Sie ist aus weichem Asienpapier und doch als Kugel so griffig-manifest wie das alte Europa. Denn genau auf dieser Achse wird sich dir Zukunft dieses Jahrhunderts entscheiden. Und sie ist blau – wie die kalte Moderne, aber eben auch blau wie die Freiheit des Himmels und die Kraft des Meeres. Vor allem aber blau wie die Blume der Sehnsucht von Novalis.