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Europa > Coronakrise: Ohne Zwang geht es nicht

Die Ökonomie von Kontaktsperren

Auf der ganzen Welt suchen Regierungen nach Möglichkeiten, das Prinzip der sozialen Distanzierung zu etablieren, um die COVID-19 Infektionen in den Griff zu bekommen. Dabei zeigt sich fast überall: Ohne Zwang geht es nicht.

Kurze Kurze Schilder Alltag Leben German "Sperre Alltag"
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Momentan erleben wir durch die Corona-Pandemie Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der persönlichen Freiheitsrechte, wie die meisten Deutschen es sich niemals hätten vorstellen können. Als China rigorose Ausgangssperren verhängte, taten dies viele in der westlichen Welt noch als Maßnahme ab, die nur in einem autoritären System möglich ist. Es folgten kurz darauf Italien, Spanien, Österreich und eben auch Deutschland, und mittlerweile mit Großbritannien und Teilen der USA selbst die liberalsten Länder der Welt. Auch in vielen anderen Staaten legten die Politiker ihren Bürgern inzwischen teils dramatische Beschränkungen auf, um die rasante Ausbreitung des COVID-19 Virus zu verlangsamen.

Kontakt- oder Ausgangssperren als ultima ratio

In Deutschland wie auch in den Nachbarländern war dabei immer wieder derselbe Prozess zu beobachten. Regierungen ermahnten zunächst und versuchten, den Bürgern mit eindringlichen Appellen die Notwendigkeit von „sozialer Distanz“ zu erklären. Kurz darauf folgte dann der staatliche verordnete Abstand – entweder Kontakt- oder Ausgangssperre genannt.

Aber warum hat es in Gesellschaften, die auf die Selbstverantwortung des Einzelnen bauen nicht funktioniert, dass sich die Bürger selbst einschränken, Vernunft walten lassen und somit dazu bereitragen, dass die Anzahl der COVID-19 Patienten nicht explodiert? Es sind Kräfte am Werk, die Spieltheoretiker und Ökonomen nur zu gut kennen.

Die Situation ist ein sogenanntes Koordinierungsproblem, bei dem sich Entscheidungen, die von Einzelpersonen getroffen werden, auf das Wohl aller in der Gesellschaft auswirken. Jeder Einzelne trifft seine persönliche Entscheidung auf der Grundlage einer Art Kosten-Nutzen-Analyse. Wir beobachten, dass insbesondere jüngere Generationen von Berlin bis London zu dem Schluss kamen, dass es nicht in ihrem Interesse liegt, dem dringenden Ruf der Regierung und der Virologen zu folgen. Die Menschen trafen sich weiterhin in Parks und Bars.

Von London bis New York: Junge Menschen mit wenig Einsicht

Mit wachsender Besorgnis verkündete Boris Johnson am 22. März, dass die Bevölkerung in Großbritannien sich innerhalb von 24 Stunden an seine Aufrufe zu mehr Distanz halten müsse oder es neue, radikalere Maßnahmen geben werde. Am darauffolgenden Tag folgte der „lock down“ in Großbritannien – getrieben von Bildern aus vollen Parks mit jungen Leuten.

Ebenfalls am 22. März sagte der New Yorker Gouverneur Cuomo vor der Presse: „Zu viele junge Leute nehmen die Dinge nicht ernst and deshalb wird es noch viel schlimmer werden". Seit genau diesem Tag unterliegt New York ebenfalls einem „lock down“.

Nur in Schweden verlässt sich die Politik noch darauf, dass die Einsicht der Bürger und eine freiwillige Selbstbeschränkung zur Eindämmung ausreichen wird – ein Experiment, dessen Ausgang wir erst in einigen Monaten beurteilen können.

Junge Menschen zeigen wenig Einsicht

Warum kommt es aber dazu, dass Vernunftappelle ihre Wirkung verfehlen? Ökonomen würden sagen, dass die Jungen die negativen Auswirkungen (auch Externalitäten genannt) ihres Handelns nicht ausreichend bei ihren eigenen Entscheidungen berücksichtigen. Die individuellen "Kosten", die ihnen entstehen, wenn sie zu Hause bleiben, keine Freunde treffen oder ihren Hobbys nicht nachgehen können, sind für sie extrem hoch. Der positive Effekt ihrer Selbstbeschränkung jedoch kommt vor allem den älteren Generationen zugute. Solange die Menschen die negativen Auswirkungen ihrer Handlungen nicht in ihre eigene Entscheidungslogik einbeziehen, werden sie strikt in ihrem Eigeninteresse handeln.

Da Politiker aber zunächst nur an die Verantwortung der Menschen appellieren, nicht aber deren persönlichen Entscheidungsprozess ändern können - das heißt ihre persönliche Abwägung von Kosten und Nutzen - ist die ökonomische Antwort zwangsläufig. Es ist eine Art „Marktversagen“, bei der die Politik eingreifen muss, um ein gesellschaftliches Optimum beziehungsweise ein politisches Ziel zu erreichen – und dies geht am schnellsten und effektivsten mit strengen Regeln und Gesetzen. Und darum haben wir eben nun Kontaktsperren oder Ausgangsbeschränkungen.

Viele wählen gern die bequemere Option

Dies ist im Übrigen dasselbe Anreizproblem wie bei CO2-Emissionen. Für jeden ist es absolut vernünftig, die einfachere und bequemere Option zu wählen, zum Beispiel das Auto statt Bus oder Bahn zu nehmen, da dies die individuell empfundenen „Kosten“ reduziert, während der Umweltnutzen kaum direkt erlebt wird. Solange die Menschen die negativen Auswirkungen ihrer Entscheidungen nicht einbeziehen, werden wir auch unsere globalen CO2-Ziele nicht erreichen. Deshalb greift auch dort die Politik mit Maßnahmen wie CO2-Steuern oder Zertifikaten ein, die die Menschen dazu zwingen, die negativen Auswirkungen ihrer individuellen Entscheidungen zu internalisieren. Interessanterweise ist es in diesem Fall die ältere Generation, die viel zu opfern hat, während die jüngere Generation davon profitieren würde.

 

 

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