Die Europäer haben sich fast ganz aus dem Ringen um eine Lösung des Nahostkonflikts verabschiedet. Sie scheinen mehrheitlich der Ansicht, dass die derzeitige Gemengelage – sowohl in Israel und als auch aufseiten der Palästinenser – keine Mühen lohnt. Eine kluge israelische Regierung würde daraus Kapital schlagen – gerade jetzt, da der Atomstreit mit Iran zu eskalieren droht, könnte sich die Empathie des Westens für Israel auf einem historischen Hoch befinden. Doch Benjamin Netanjahu ist offenbar nicht klug genug. Mit seinem dramatischen Auftritt vor der UNO wollte er sich im eigenen Land profilieren und vom Image des emotionslosen Taktierers Abstand nehmen. Doch diese Regierung verwirklicht keinen Traum. Sie handelt so, weil sie glaubt, es sich leisten zu können.
Sozialdemokratische Orthodoxie
Israels zionistische Linke legte hingegen immer Wert auf einen moralischen Überbau: ob sie Soldaten in die Schlacht schickte, oder den Palästinensern in Oslo und Camp David Verträge unterbreitete – immer schien sie überzeugt, dem einzig gangbaren Weg zu folgen. Eine Haltung, die man als sozialdemokratische Orthodoxie bezeichnen kann, geboren aus der Sehnsucht, für die moralische Glaubwürdigkeit von anderen geliebt zu werden. Dumm daran ist nur, dass diese Haltung nicht mehr geholfen hat als Netanjahus Amour fou zur Macht. Das Gegenstück seines Politikerentwurfs ist Staatspräsident Shimon Peres, der einstige Doyen der Sozialisten. Ein Romantiker von Krieg und Frieden, eine Sphinx, eine Mensch gewordene und danach erstarrte Geste der Geschichte. Westliche Politiker und Diplomaten würden sich freuen, wenn ein neuer Peres Israels Geschicke lenkte. Wenn Israel ihnen mehr Gründe böte, mit Herz und Hand an seiner Seite zu stehen. Es ist schließlich ein einnehmendes Land, ein Freund, für dessen Benehmen man sich jedoch oft genug genieren muss. In Europa glauben viele, dass linke Zionisten die besseren und friedlicheren sind, und kein Politiker hat dieses Bild derart schillernd gezeichnet wie Peres.
Peres hat Frieden zur schönen Illusion gemacht
Die israelische Historikerin Tami Amar-Dahl hat nun eine Biografie über ihn verfasst, die die Lebenslügen eines Staatsmanns und den Selbstbetrug einer weitverbreiteten Geisteshaltung offenlegt: Den Frieden hat Peres zur schönen Illusion gemacht und sich selbst eingeredet, dafür seien keine politischen Opfer notwendig. Auch deshalb sei Israel heute so enttäuscht und sprachlos gegenüber seinen eigenen Interessen. Vor allem aber hat das linke Establishment sich bei der Verwirklichung der zionistischen Idee genau auf das gestützt, was man mit dem rechten Lager in Verbindung bringt: die Armee, die Siedlungen und die Wirtschaftseliten, die allesamt vom Status quo eines ewig ungelösten Konflikts im Nahen Osten profitieren. Lange haben linke Israelis die Schuld bei denen gesucht, die auch im Ausland wenig Sympathie finden: Siedler, Orthodoxe, Rechtspopulisten wie Avigdor Liebermann und Zynikern wie Netanjahu. Was auch immer man diesen Männern vorwerfen kann – Krieg haben sie noch niemandem erklärt. Möglicherweise ist es ein Irrtum anzunehmen, dass linksbürgerliche Regierungen mehr Aussichten auf Frieden bieten. Das kann einen traurig stimmen, aber auch versöhnlich. Denn viel mehr falsch machen, als in den vergangenen Jahrzehnten falsch gemacht wurde, kann diese Regierung nicht. Netanjahu ist nicht überzeugt von dem, was er tut oder auch nicht tut. Er ist politisch korrumpierbar – und deshalb von Natur aus fähig zum Kompromiss.