Die Äußerung fiel in einem Interview, in dem Palmer unter anderem gebeten wurde, Schäubles Satz vom Lebensschutz, dem nicht alles unterordnen zu sei, zu kommentieren. Sinngemäß hat Schäuble nicht wirklich etwas anderes gesagt als Boris Palmer: die im Grundgesetz verankerte Menschenwürde schließt eben nicht aus, dass wir sterben müssen, und trotz aller Schutzmaßnahmen werden Menschen weiter an Corona sterben. Wir wissen, dass der durchschnittliche Covid-19-Todesfall über 80 und durch einige Vorerkrankungen geschädigt ist, beides Dinge, die ein langes Weiterleben eher unwahrscheinlich machen – ob mit oder ohne Corona.
Was für Empörung sorgt, ist eher der in Palmers Satz zum Ausdruck gebrachte Zweifel, ob die Lebensrettungsmaßnamen für diese Personengruppe Sinn machen. Auf bis dahin nicht für möglich gehaltene Weise zeigt sich eine ganze Gesellschaft solidarisch mit den in der Pandemie besonders schwachen, besonders angreifbaren Menschen. Wir tun das, weil uns der Lebensschutz der Menschen wichtig ist, und zwar jedes Menschen – egal wie alt, krank, schwach oder schutzbedürftig er ist. Selten hat man von so vielen Politikern aller Parteien so einmütig gehört, wie wichtig es sei, Leben zu schützen und zu retten.
Der Lebensschutz ist ein hohes Gut
Wir riskieren dabei einiges: neben wirtschaftlichen Existenzen und schulischen Karrieren auch die psychische und physische Gesundheit von Menschen, die entweder die Isolation nur schwer ertragen oder aber eine Operation, einen Krankenhausaufenthalt notgedrungen aufschieben. Wir ertragen seit Wochen einen Shutdown, der unser gesellschaftliches Leben nahezu vollständig zum Erliegen bringt, unsere Wirtschaft um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurückwirft und uns als demokratisches Volk nachhaltig wandelt. Wir haben gelernt, dass unsere Grundrechte keineswegs selbstverständlich sind und uns sozusagen im Handstreich genommen werden können. Wir werden fortan in dem Bewusstsein leben müssen, dass ein Ansteigen von Infektionsraten ausschließlich unserem Fehlverhalten geschuldet ist, und wir daher auch die Strafen zu ertragen haben: Hausarrest und Schulverbot. Wie gesagt, der Lebensschutz ist ein hohes Gut. Der Mensch geht vor. Da ziehen alle mit.
Die Grünen wollen die Abschaffung des § 218 und damit eine völlige Legalisierung der Abtreibung
Man könnte die Empörung der Grünen also durchaus verstehen, wenn sie sich auch bisher als Partei für den Schutz jedes Menschenlebens hervorgetan hätten. Das ist jedoch mitnichten der Fall: es sind Politikerinnen und Politiker der Grünen, die eine Abschaffung des § 218 und damit eine völlige Legalisierung der Abtreibung verlangen. Und es sind Grünenpolitikerinnen, die jetzt in einem Autorinnenpapier einen Verzicht auf nahezu alle Schutzmaßnahmen fordern, die das ungeborene Kind vor dem Tod bewahren könnten: Während der Corona-Pandemie sei die dreitägige Bedenkzeit vor einer Abtreibung ebenso auszusetzen wie die Beratungspflicht. Das sei ohnehin nur eine Bevormundung der Frau (wieso eine laut Gesetz ausschließlich ergebnisoffen zu führende Beratung bevormundend ist, bleibt das Geheimnis der Grünen), die Bedenkzeit sei eine Zumutung (warum ausgerechnet bei diesem medizinischen Eingriff, anders als bei allen anderen, keine Bedenkzeit nötig sein soll, ist nicht nachvollziehbar), und überhaupt müssten Abtreibungen mit Hormonpräparaten auch im Home-Office durchgeführt werden können, mit „telemedizinischer Betreuung“. Das heißt: Anruf beim Arzt, Rezept und Abtreibungspille per Post. Ein Blick auf den Beipackzettel der Abtreibungspille Mifegyne mit dem Wirkstoff Mifepriston lässt eine Vorstellung davon aufkommen, was für ein böses Spiel hier mit Frauen getrieben werden soll. Abtreibungen mit Mifepriston dürfen laut Herstellerangaben nur durchgeführt werden, wenn zuvor ein Arzt mittels Ultraschalluntersuchung die Schwangerschaft bestätigt und deren Stadium bestimmt hat. Das ist notwendig, um eine Eileiterschwangerschaft auszuschließen und festzustellen, ob eine chemische Abtreibung überhaupt noch möglich ist. Nach der neunten Schwangerschaftswoche ist das in Deutschland verboten, weil es auch für die Frauen zu gefährlich wird. Selbst unter direkter ärztlicher Kontrolle kommt es häufig zu schweren Komplikationen: massive Blutungen und Infektionen, auch bis hin zum Tod durch Sepsis oder Schock.
Das alle ficht die Grünen nicht an. Sie nutzen die Corona-Pandemie, um ihre Abtreibungsagenda weiter durchzusetzen, und in dieser Agenda haben ungeborene Kinder prinzipiell keinen Anspruch auf Lebensschutz. Die Kinder, die bei Abtreibungen getötet werden, haben ihr ganzes Leben noch vor sich. Ein Parteimitglied ausschließen, weil es vermeintlich am Lebensschutz für ältere Menschen gekratzt habe, gleichzeitig aber den Lebensschutz der ungeborenen Kinder vollständig schleifen wollen – und dabei bedenkenlos auch die Gesundheit der Schwangeren gefährden: das ist politische Heuchelei in Höchstform.